Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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Seit Monaten führte Laudin den Prozeß einer großen Aktiengesellschaft gegen den Staat. Es war eine verwickelte und langwierige Affäre, und bedeutende Werte standen auf dem Spiel. Jede Maßnahme mußte mit äußerster Bedachtsamkeit erwogen werden, der geringste Fehlgriff konnte verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen.

Bei dem gerichtlichen Termin, es war bereits der vierte in der Angelegenheit, erschien Laudin um eine halbe Stunde zu spät, was mit Befremden vermerkt wurde. Der gegnerische Anwalt hatte die Zeit zu benutzen verstanden, indem er den Richter bestimmt hatte, auf die Verlesung eines Protokolls zu verzichten, das zur Kenntnis des Gerichtes zu bringen von Wichtigkeit gewesen wäre. Ein schwer gutzumachendes Versäumnis. Es entspann sich eine Debatte zwischen Laudin und dem Richter, bei welcher Laudin auf die mangelhafte Instruktion seines Stellvertreters hinwies, und im Laufe des Wortstreits wurde er in ungewöhnlicher Weise heftig. Der gegnerische Anwalt remonstrierte; Laudin fiel ihm ins Wort, und zwar mit einer Ungeduld und einem verächtlichen Hohn, die unliebsames Aufsehen erregten, da ja seine geradezu zeremoniösen Verkehrsformen gleichsam zum festen Inventar des Hauses geworden waren.

Es gelang dem Richter, einem jovialen und erfahrenen Mann, ihn zu beschwichtigen. Die Verhandlung wurde fortgesetzt. Aber den meisten Anwesenden, fast lauter Sachverständigen, schien es auf einmal, wie wenn es Laudin in der Beurteilung des Falles an der sonstigen Klarheit gebreche. Auf Unbeträchtliches legte er übertriebenen Nachdruck; entscheidende Argumente ließ er unversehens fallen; einigemale war er sogar genötigt, das Versagen seines Gedächtnisses zu entschuldigen. Es war, als sei er des Materials nicht mehr Herr; der Schwäche seiner Führung innewerdend, wollte er gewisse Resultate durch gewaltsame Verfügungen erzwingen, die nur, wie er wohl wissen mußte, durch biegsame und sorgfältig berechnete Diplomatie zu erreichen waren.

Seine Klientenvertreter, in Schrecken gesetzt durch die Möglichkeit einer ungünstigen Wendung des Prozesses, wünschten den Abbruch der Verhandlung. Der Richter selbst, der bisweilen einen bedenklich fragenden Blick auf Laudin geworfen hatte, verkündete alsbald die Vertagung.


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