Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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Der große Ruf Friedrich Laudins als Advokat schrieb sich von einem aufsehenerregenden Scheidungsprozeß her, den er im Jahre 1910 für den Fürsten K. geführt hatte, Magnat des Reichs, Holz- und Spirituskönig. Es hatte sich dabei um ungemein schwer zu fassende Rechtsprobleme gehandelt, Besitzfragen, Paternitätsfeststellungen, die Angelegenheit hatte diplomatische Verwicklungen und eine Interpellation im Parlament zur Folge gehabt, aber durch alle Klippen und Fährnisse hatte Laudin den Prozeß mit unvergleichlichem Takt zu steuern gewußt, und nicht bloß sein Klient, auch die gegnerische Partei hatte gegründeten Anlaß, seinen juristischen Scharfsinn, sein profundes Fachwissen und vor allem seine Vornehmheit und Zurückhaltung zu rühmen.

Seitdem galt er als einer der ersten Anwälte des Landes, namentlich in Scheidungs- und allen damit zusammenhängenden Affären, Streitigkeiten wegen Vormundschaft, Alimentierungsprozessen, Erbschaftsprozessen, Vermögensprozessen, wobei es sich im Lauf der Jahre und mit der zunehmenden Ausdehnung seiner Agenden von selbst ergab, daß er persönlich nur die wichtigen und schwierigen Fälle behandelte, während er die große Menge derer von geringerem Belang den geschulten und teilweise auch von ihm erzogenen Herren seiner Kanzlei überließ und nur die Aufsicht und Kontrolle darüber behielt.

Die ihm gesellschafteten Rechtsanwälte, die Konzipienten, die Schreiber, die Stenotypistinnen, alle liebten und verehrten ihn. Kein rauhes Wort aus seinem Munde traf sie. Niemals eine Reizbarkeit, eine Ungeduld, die den Angestellten zum Sündenbock machte. Genaue Kenntnis dessen, was der Einzelne zu leisten imstande war, und daher weder launenhafte Überforderung noch gelegentliches Gehenlassen oder feige Nachsicht. Nichts von vertraulicher Schwäche und übergreifender Beziehung; auch langjährig ihm Verbundene fanden an einem gewissen Punkt eine unverminderte Distanz vor; Artigkeit hielt sie fern, wenn nicht eine verfließendere Schranke. Man wußte oft nicht seine eigentliche Meinung, aber die er äußerte, genügte, die Richtlinien seines Handelns ein für allemal festzulegen.

Er hatte nie seine Hände in anrüchigen Geschäften gehabt oder nur in zweifelhaften; er übernahm die Vertretung eines Klienten nur, wenn er dessen Sache zu der seinigen machen konnte. Er durfte wählen; seine Notorietät und sein großes Einkommen ermöglichten es ihm, sich in bedenklichen Fällen zu versagen. Wenn er nicht auch Gewissensrat sein konnte, wo er Rechtsbeistand war, verweigerte er seine Hilfe, und keine noch so große materielle Verlockung konnte ihn dann zu einer Änderung seines Entschlusses bewegen. Aber nicht immer sind die Schicksale und Verwicklungen so einfach, die Charaktere so überschaubar, daß ein Mann, selbst der erfahrenste und herzenskundigste, es nur durch die Lauterkeit seines eigenen Charakters vermeiden könnte, in Situationen zu geraten, die ihn in Zwiespalt mit seiner Überzeugung bringen. Das geschah Laudin oft genug, mit den Jahren immer häufiger und meist gerade dann, wenn er aus Vorsicht überlang gezaudert hatte. Plötzlich war er verstrickt; die Fäden konnten nicht mehr zerrissen werden; er war getäuscht worden, hatte sich selber getäuscht, wußte es nun und konnte und durfte doch nicht mehr zurück. Er legte es der Überbürdung zur Last, dem Vielzuviel an aufreibenden Verpflichtungen, dem Nachlassen seiner Kraft im allgemeinen, seiner Kombinationsgabe, seines Urteilsvermögens; aber an dem war es nicht. Möglicherweise dachte er zu wenig über den Anteil nach, den die Zeit daran hatte, und gab sich im Lärm der Geschäfte und unter dem Druck tausendfacher Obliegenheiten keine Rechenschaft über gewisse Wandlungen, die minder vom Leben Beanspruchte heftiger zu spüren pflegen als Leute seiner Art.

Für das Barreau war er ein Vorbild, Zierde des Standes. Er genoß hohe Schätzung bei den Behörden; die Richter bis hinauf zu den Spitzen des Verwaltungsgerichtshofes betrachteten eine Sache, die er vertrat, von vornherein mit günstigen Augen. Viele der hohen Gerichtsbeamten kannte er von der Schulbank her, oder sie waren Freunde aus der Universitätszeit. In den Jahren 11 und 13 hatte ihn die Regierung zum Haupt einer viergliedrigen Kommission ernannt, die mit England und Amerika wegen einer Anleihe verhandeln sollte. Trotzdem die Verhandlungen beide Male im wesentlichen scheiterten, bewies er bei der ihm völlig ungewohnten Tätigkeit eine Umsicht und Geschicklichkeit, die ihm die Anerkennung seiner Auftraggeber eintrugen, abgesehen von einer Ordensauszeichnung, die er freilich am liebsten ignoriert wußte. Sieben Jahre später erinnerte man sich der Dienste, die er bei dieser Gelegenheit geleistet, und glaubte in ihm den richtigen Mann gefunden zu haben, der das Wrack des zertrümmerten Reiches in seinen wirtschaftlichen Interessen schützen und dem Ausland gegenüber für die Schiffbrüchigen als Sachwalter wirken konnte. Man wollte die Stellung eines Generalbevollmächtigten mit fast unbeschränkten Befugnissen und bedeutenden Einkünften für ihn schaffen. Er lehnte ab. Das Anerbieten wurde in dringlicher Form wiederholt. Er lehnte abermals ab. Gründe konnte er dafür angeben, soviel man wollte. Den triftigsten behielt er für sich.

Friedrich Laudin war der Sohn eines Volksschullehrers von der schlesischen Grenze. Er war in den allerengsten Verhältnissen aufgewachsen, und sein Studienweg war ein beständiger Kampf gegen die Not gewesen. Der Aufstieg, von den größten Entbehrungen begleitet, war langsam. Er hatte nichts dem Zufall zu verdanken, alles sich selbst. Er verschmähte die Machenschaften, die Bekanntschaften, die Beziehungen, die Gönnerschaften, die Protektionen; er ging, seltener Fall in einem Lande, wo fortwährend eine Hand die andere wusch und jeder sich dafür bezahlt machte, daß er den Hintermann schieben ließ, wenn er den Vordermann schob, still und zuversichtlich seinen Weg.

Im Jahre 1906 führte er einen Verlassenschaftsprozeß, den die Witwe des Hofrats Rossi, eines Beamten im militärgeographischen Institut, der in der Bukowina verunglückt war, gegen die Brüder ihres Mannes angestrengt hatte. Ein Jahr darauf heiratete er Pia Rossi, die Tochter der Hofrätin, und diese lebte seitdem im Hause des Schwiegersohnes.


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