Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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Ernevoldt telegraphierte aus Berlin: »Arnold Keller vor meinem Eintreffen aus der Anstalt entlassen. Derzeitiger Aufenthalt unbekannt. Unterrichtet Lu.«

Laudin fand den Alarm, weil er von dieser Seite kam, übertrieben und im Ton anmaßlich. Da ihm kaufmännische Pedanterie nun einmal anhaftete, rechnete er sich bisweilen vor, wieviel Zeit er für die Dercumschen Angelegenheiten unbelohnt opferte. Seine Freiwilligkeit, die er dabei einräumte, benahm ihm nicht das Gefühl des Ausgenütztwerdens. Doch derlei Gedanken regten sich nur in Augenblicken der Müdigkeit und wenn er sich beklommen fragte, was da werden solle. Auch sooft er das verwunderte, bedauernde, köpfezusammensteckende Raunen der Welt zu spüren glaubte. Rief Luise, so kam er. Befahl sie, so gehorchte er. Lächelte sie, war ihm froh ums Herz. Klagte sie, wurde ihm die Luft zum Atmen schwer. Vernahm er bloß ihre Stimme, wich eine Last von der Brust. Waren ihre im braunen Glanz goldschimmernden Augen auf ihn gerichtet, so war er mit der Welt einverstanden.

Er las alle Tageszeitungen, nur um auf ihren Namen zu stoßen. Die Kritiken, die über sie erschienen, schnitt er sorgfältig aus und sammelte sie wie ein Gymnasiast, der heimlich entzückt die Lebensphasen der von ihm vergötterten und von fern angestaunten Bühnenheldin verfolgt. Die wenigen Briefe, die er von ihr besaß, flüchtige Zeilen in einer großartig turbulenten Schrift, bewahrte er auf wie Schätze. Unterhaltungen mit gleichgültigen Personen wußte er oft in ungemein schlauer Art so zu führen, daß vom Theater gesprochen wurde, und da der Name Luise Dercum in aller Munde war, dauerte es natürlich nicht lange, bis man ihn nannte. Er selbst aber schwieg dann und lauschte nur.

Wir sehen Lippen sich spöttisch kräuseln und hochweise Personen die Achseln zucken. Aber sie täuschen sich. Es ist hier nicht der Ort, mit Erfahrungen zu prunken, die billig wie Brombeeren sind. Es erhellt aus den gelegentlichen Notizen, auf die bereits hingedeutet wurde, daß ein sich selbst messender und befragender Geist wie der seine wohl befähigt ist, Meinungen vorwegzunehmen und zu entkräften, die seine innere Situation zu einer belächelns- oder bemitleidenswerten Dutzendverfassung stempeln, als wären die Laudins in allen Gassen anzutreffen und eine Frau vom Schlage Luise Dercums höchstens eine Spezialität für bürgerliche Feinschmecker.

Er machte sich in den besagten Aufzeichnungen sogar lustig über die Möglichkeit einer verliebten Entzündung, späten Leidenschaft des alternden Mannes, und obschon dies ein gültiger Beweis für die Abwesenheit derartiger Gefühle nicht zu sein braucht, da hierin der Selbsttäuschung keine Grenze gezogen ist, so lassen doch sein Redlichkeitsstolz und seine Wahrheitsstrenge zum mindesten die Vermutung von sehr geheimnisvollen Hintergründen zu.

Von leerer Schwärmerei und verblasenem Phantasiespuk konnte nicht die Rede sein. Hätte die Gefahr bestanden, im Beginn vielleicht, wo der Anblick eines brennend auf seinem Wege hinstürmenden Temperaments und die etwas naive Vorstellung des liberalen Bildungsmenschen vom Wesen einer Priesterin der Kunst den Blick trübten, so hätten die Erlebnisse dreier Tage genügt, sie zu zerstreuen, und das schon ist eine ausreichend lange Frist, zu lang, um aus einem im Staub knienden Anbeter nichts weiter als einen Bewunderer zu machen, wie sie jeder Thespiskarren schockweise hinter sich herschleift.

Halten wir uns vor Augen, daß der Anlaß, Beziehung zu Luise Dercum zu schaffen, der Tod eines wunderbaren jungen Menschen gewesen war. Um die düstern Grübeleien des Freundes, des Vaters zu beenden, den an allem menschlichen Geistes- und Herzensgut sich ohnmächtig vergreifenden Groll zu mildern, auch um die eigene quälende Unruhe zu beschwichtigen und dabei im Ganzen wie unter einem höheren Gebot handelnd, war er in den Kreis dieser Frau getreten. Sie hatte ihm willfährig Auskunft erteilt. Es waren gar keine umständlichen Nachforschungen erforderlich gewesen. Anscheinend eine simple Geschichte. Eine gar zu simple Geschichte, wenn man näher zusah. Glaubte er sie? War kein Argwohn in ihm? Nahm er sie von A bis Z für bare Münze? Es ist kaum festzustellen, doch wahrscheinlich würden wir dem gewiegten Juristen Unrecht tun, wenn wir annähmen, daß sich hinter seiner einschmeichelnden Artigkeit sowohl beim ersten Hören wie bei seinem weiteren Verhalten nicht der seinem Tun und Lassen von je verbrüderte Zweifel stärker und stärker geregt und fernerhin auf Posten gestanden hätte. Freilich ist nicht zu vergessen, daß er schon bei jener ersten Begegnung unter dem Eindruck einer ihn vollkommen überwältigenden Leistung oder Darbietung sich befand und daß dieser Eindruck sich nicht nur nicht verringerte, sondern von Mal zu Mal, von Tag zu Tag, von Begegnung zu Begegnung an Umfang und Nachhaltigkeit gesteigert wurde und daß ihn diese andauernde innere Überwältigung seiner im tiefsten bescheidenen Natur, die jede fremde Überlegenheit freudig, ja fast mit einer Art von Demut anerkannte, äußerlich zur Scheu, zur Rücksicht und zur steten Respektserweisung zwang.

Dann kamen aber die Zuflüsterungen; von allen Seiten. Dagegen wäre er zur Not gewappnet gewesen. Er atmete ja seit zwanzig Jahren in einem beständigen Wirbel der Verleumdung. Was Menschen über Menschen redeten und was anzuhören sein Geschäft war, hatte das ganze Dasein längst in einen schmutzigen Tümpel verwandelt und drang als konzentriertes Gift auch durch die dichtvernieteten Fugen des Privatlebens, wenn es etwas dem Ähnliches noch für ihn gab. Aber der Augenschein, mit unbarmherziger Allmählichkeit sich enthüllend; das Selbstsehen und Selbsthören; die gewonnene Kenntnis von Dingen in den Mienen der Zuläufer und Herumsitzer, Schmarotzer und Lobhudler, Dinge, die dort eine nicht mehr des Aufhebens werte Lappalie waren, ihm aber entgingen und mit solcher Selbstverständlichkeit vorenthalten wurden wie einem Knaben die Abendvergnügungen von Lebemännern. Woran lag denn das? mußte er sich fragen, da er offenbar nicht wußte, daß die Untadeligen einen Panzer haben, der sie hermetisch abschließt gegen die Besudelten, die sich um so rascher miteinander verständigen, als sie gewöhnlich alle denselben Kehrichthaufen bewohnen. Viel schlimmer und auch sonderbarer war jedoch der Verrat, den Luise an sich selbst beging, dieser leichtfertige, lachende, zynische Verrat, der sich aus Vergeßlichkeit, Neugier, Übermut und Herausforderung zusammensetzte. Nicht erfindlich, weshalb sie das wagte, seine Ehrfurcht und Verehrung drangab und hinwarf, sein Zutrauen in den Wind schlug; warum? Einem Kitzel zuliebe? Als ob sie sich nicht im mindesten achtete, das Magische, das Göttliche in ihrer Seele, als ob dies was sei, was man mit Füßen treten könne und was bloß als Beifallsgeklatsch, Zeitungsschreiberei und die Rekordhöhe der Gage zu belangvoller Erscheinung wurde.

Nicht dies allein machte ihn trübe, eigentümlich versonnen, eigentümlich brüchig in seiner Führung und immer mehr im Gesamten der Existenz. Einsicht in die Lüge und Wissen um die Lüge sind nicht schlimm, meine Guten, ihr, meine spärlichen Freunde, und du, Pia, und ihr, Töchter, und du, kleiner Sohn, nicht geradezu zerstörend, auch wenn Lüge uns so umstrickt, daß wir gleichsam ein Teil von ihr werden; schlimm ist nur die mutlose Unterwerfung, in die sie uns mit listiger Achtlosigkeit, Fädchen bei Fädchen, hineinspinnt, liebenswürdig spielend und, Gott bewahre uns vor dem Übel, von einem zauberischen Element getragen.

Lüge, wenn sie sagte: ich bin im Kaffeehaus gewesen. Sie war bei der Modeausstellung. Lüge, wenn sie sagte: ich war bei der Modeausstellung. Sie hat eine Autofahrt mit irgendeinem reichen Gimpel gemacht, den sie köderte. Lüge, wenn sie berichtet: auf der Straße hat ein Mann einen andern geohrfeigt. Es war kaum ein erheblicher Wortwechsel. In der Nacht sei ihr schlecht gewesen; sie habe den Arzt rufen lassen. Lüge. Sie habe den und den interessanten Roman gelesen und sich das und das dabei gedacht. Lüge; sie hatte nicht die Geduld, einen Brief von anderthalb Seiten zu lesen, um wieviel weniger ein Buch. Ein Gastspiel in Amerika sei ihr angeboten worden. Kein wahres Wort. Den smaragdbesetzten Platinring an ihrer Hand habe sie von ihrer Großmutter geerbt. Purer Schwindel. Ihre Großmutter war ein Aufwaschweib in Olmütz gewesen. Sie erzählt von ihrer Jugend: sieben Geschwister, alle kränklich, in drei Jahren riß der Tod drei von ihnen ins Grab; der Vater hochbegabter Brückenbauingenieur, durch die Verfolgung eines unerbittlichen Feindes um Amt, Karriere und Brot gebracht und beim Alkohol Trost suchend; die Mutter eine ehemals europäisch berühmte Tänzerin, von fabelhafter Schönheit, von einem Liebhaber auf offener Bühne in die Hüfte geschossen und dadurch zeitlebens zur Krüppelhaftigkeit verurteilt. Alles aus dem Ärmel geschüttelte Erfindung. Ein paar Tage später bezeichnet sie den Vater als Besitzer eines Zirkus und die Mutter als geborene Baronin Schlichtenfels oder ähnlich. Kein Vorfall, den sie aus ihrer Vergangenheit mitteilt, stimmt auch nur annähernd. Soll, beim unbeträchtlichsten Faktum, der Beweis erbracht werden, etwa zum Zweck einer Amtshandlung oder weil ein Paß neu ausgestellt werden muß, der Taufschein verloren ist und sie eine prächtige Stadt als Geburtsort angegeben hat und nicht das elende Dorf, wo ihre Wiege gestanden, so muß sie sich selber Lügen strafen, und sie tut es mit der Anmut einer Fee, die ihre Lippen niemals mit einer Unwahrheit befleckt hat, und mit einem Lächeln, als habe sie dem andern zu verzeihen, daß er ihr fünf Minuten lang geglaubt hat.

Doch auch in höhere Regionen gings, wo Stichprobe und Ertappung ihres Ziels verfehlten. Gott und die Religion sind ein Teil ihres Herzens; ergreifende Hingebung, mit der sie von den heiligen Sakramenten spricht, Beichte und Kommunion. Man kann sie in der Kirche beten sehen; sie wirft sich auf die Fliesen nieder und vergräbt, wie Italienerinnen es tun, das Haupt zwischen weit vorgestreckten Armen. Sie reicht dem Bettler an der Straßenecke Almosen; nach zwanzig Schritten kehrt sie um und gibt noch einmal; es war zu wenig, sie war zerstreut. Unnachahmlicher Augenaufschlag; kann Mitleid sich inkarnieren, sie ist die Inkarnation. Das Leiden der Welt, es dringt ihr ins Mark, es raubt ihr den Schlummer. Doch war sie nicht gestern noch steinernes Bild der Gleichgültigkeit, als die kleine Markmann schluchzend vor ihrer Garderobentür stand, weil die gefeierte und allmächtige Luise sich weigerte, mit ihr als Partnerin zu spielen, ohne Grund, ohne Erklärung, aus dunklem Haß von Weib gegen Weib? Sie ist für Aufteilung der irdischen Güter; der kommunistische Gedanke reißt sie zu prophetischer Beredsamkeit hin, und keine Blutgreuel, die sie um dieses erhabenen Menschentraumes willen nicht entschuldigte, ja anpriese; was nicht hindert, daß sie an Gold und Seide, Brokat und Spitzen nicht satt werden kann, unermeßlich viel Geld sinnlos verschleudert, jede Verstimmung wie jede zarte Regung des Gefühls in Champagner ertränkt und aus der richterlichen Heldentat der Charlotte Corday einen Sensationsfilm zu machen gedenkt.

Aber sie weiß wahrscheinlich so gut wie nichts von Charlotte Corday. Ein Literat mag ihr den Stoff eingegeben haben.

Wie sie für Freundschaft glüht; die schmelzendsten Versicherungen, die feurigsten Schwüre bewegen das Herz dessen, der sich ihr anschließt, der ihr gefällt, Mann oder Weib. Aber es kann sein, daß sie vierundzwanzig Stunden danach an derselben Person ohne zu grüßen vorübergeht, weil sie sich einfach ihrer nicht mehr erinnert. Zwei oder drei Frauen haben in ihrem Leben eine Rolle gespielt, fünf oder sechs Männer; denen bewahrt sie eine nur ihr eigene Art von Treue, eine animalische Dankbarkeit, die zumeist darauf beruht, daß das betreffende Individuum ihr gegenüber auf jede Willensäußerung verzichtet, ihr wie ein Gerät zu Diensten steht, wenn sie es fordert, ihre Langeweile vertreibt, ihren Ärger besänftigt und sich unter Umständen auch von ihr mißhandeln läßt. Mit der Mehrzahl ihrer Liebhaber verfährt sie wie mit dem unnützen Kram, den sie manchmal in ihren Schubladen aufstöbert, um Platz für neuen Kram zu schaffen; eins oder das andere war jeweils zu irgend etwas gut, schmeichelte der Eitelkeit, versüßte eine schmacklose Stunde, befriedigte eine Laune oder durstige Regung, Ungeduld des Fleisches. Anspruch gab es keinen. Eine liebeswilde Nacht; am Morgen war er schon ein fremder Herr.

Das alles wußte Laudin, hatte es erkannt, erspäht, erspürt, hatte schweigend seine Beobachtungen zusammengefügt und ohne Illusion die Summe gezogen. Auch ihm hat sie Freundschaft geschworen, Freundschaft bis in den Tod. Sie hat sich im Überschwang ihrer Erkenntlichkeit und beinah unterwürfigen Anhänglichkeit bis zu dem Wort verstiegen, bei ihm wolle sie für alle Zukunft ihr Herz verpfänden und erst seit dem Umgang mit ihm habe sie einen Begriff davon, was ein wirklicher Mann sei und bedeute. Sie hätte nicht die ausdrucksgewaltige Künstlerin sein müssen, die sie war, die Frau, deren bloße Stimme das Innerste der Seele bewegte, wenn er dabei kalt geblieben wäre. Aber er wußte, daß sie ihn brauchte. Er wußte, daß er ihr in gewisser Hinsicht unentbehrlich geworden war. Er wußte ferner, daß sie sich in ihrer eigenen Rede badete wie in einem wohlriechenden Wasser und den Klang ihres Organs genoß wie Geigenspiel. Er wußte, daß ihre Versprechungen Luft waren, die Abmachungen, die man mit ihr traf, in der nächsten Minute keine Gültigkeit mehr besaßen, daß sie ihn schon belog, wenn sie nichts weiter sagte als: morgen wollen wir eine Viertelstunde lang allein sein, oder: gestern hab ich an meinen Bruder über Sie geschrieben (wahrscheinlich hatte sie überhaupt keinen Bruder), und daß es nicht im geringsten von Belang war, wenn sie sich zärtlich, töchterlich, zart-verführerisch an seine Schulter schmiegte und mit gefalteten Händen glücklich lächelnd zu ihm aufsah; am andern Tag wird sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken verleugnen.

In ihrem Gedächtnis wird ausgelöscht, was täglich mit ihr geschehen ist und immerfort um sie vorgeht. Sie bewahrt kein Bild in sich auf; keines, das sie produziert, behält seine Züge, seine Farbe, seine Gliederung auch nur eine Stunde lang. Sie tauscht Erlebnisse, tauscht Menschen gegeneinander aus wie Spielkarten, von einem Klang bestochen, von einer Assoziation verführt. Sie stürzt sich für einen Feuerwehrmann in überflüssige Kosten der Koketterie und ist unverschämt mit Leuten, denen sie Erkenntlichkeit schuldet. Warum? Es gibt keinen Grund. Niemand vermag einen zu finden. Sie ist imstande, einem Ehrenmann Dinge nachzusagen, daß er wie ein abgefeimter Schurke dasteht; sie verfolgt eigentlich keine Absicht damit; es schlüpft ihr aus den Lippen; der Anlaß gefällt ihr, die Szene gefällt ihr, die Überraschung in den Mienen der Zuhörer gefällt ihr, und während sie mit melancholischem Augenaufschlag die Arbeit einer Giftmischerin verrichtet, sieht sie aus wie ein unschuldig staunendes Kind, das die Stoffhülle seiner Puppe zerreißt und die Sägespäne herausfließen sieht. Wie sie es beherrscht, das Staunen, harmloses und erschrockenes Staunen, wie sie die halben, kleinen, süßen Zwischenregungen beherrscht, das Unentschiedene, Zweifelnde, Fragende, Hilflose, alles Noch-nicht-Weibliche, Nicht-mehr-Jungfräuliche, wie sie jeder Haltung den absolut meisterhaften, schlechthin einzigartigen, nur ihrer Person möglichen Ausdruck verleiht, der Trauer, der Furcht, dem Übermut, dem Spott, das mußte man erfahren haben, dem mußte man unterlegen sein; wie sie Geist hat, wenn Geist erwartet wird, und treuherzige Unbildung, wenn die angenehm wirkt; wie sie gelehrig ist oder verstockt, je nach Bedarf, züchtig oder frech, je nach dem Echo, das zu ihr zurückkehrt und dem sie gehorcht. Sie schlüpft in das Wort hinein, das Wort dehnt sich aus wie eine Gummihaut, und sie empfängt von ihm alles, was sie braucht; was eine Sekunde vorher noch nicht da war, ist sie plötzlich, weil sie es kann. Heute ist sie ein kleines, armes, beladenes Geschöpf, das man auf Händen tragen muß, damit es sich wieder ein wenig mit der Welt versöhnt; so gering ist sie; man muß ihr Selbstbewußtsein einträufeln wie eine Arznei; morgen, ei was, morgen, eine Stunde später, vor einem neuen Publikum oder auch vor demselben, je nachdem, ist sie der Engel mit dem feurigen Schwert, die tragische Muse, die Rebellin und Jakobinerin, je nachdem, wahrscheinlich gerade die Figur, die der gläubigste, der nützlichste unter den Anwesenden, den sie mit untrüglichem Instinkt aufs Korn nimmt, in ihr zu sehen wünscht . . .

So weit war er nun gelangt, Schritt für Schritt, wie ein Mann, der sich mit dem Faschinenmesser in der Hand durch Bambusdickicht einen Pfad bahnt, – nicht ohne sich die Hand blutig zu reißen. Und dennoch, dennoch . . .

Da eben begannen die Hintergründe.


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