Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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4

Nach ziemlich langem Nachdenken sagte Laudin: »Vor allem möchte ich Sie vor Illusionen warnen. Das Testament hat die Frau ohne Zweifel vernichtet; sie kann es also auch nicht herausgeben.«

»Sie kann aber nicht leugnen, daß es vorhanden war,« rief der junge Mensch.

»Warum sollte sie es nicht leugnen?« entgegnete Laudin achselzuckend; »da sie vor der Unterschlagung nicht zurückgeschreckt ist, warum sollte sie vor der Leugnung zurückschrecken? Wie wollen Sie beweisen, daß das Testament existiert hat, daß es überhaupt abgefaßt worden ist, und selbst diese Möglichkeit zugegeben, wie wollen Sie beweisen, daß sie davon Kenntnis gehabt hat? Da steht Aussage gegen Aussage, da doch Ihre Schwester keinen Zeugen hatte, als Hartmann seine letztwillige Verfügung traf.«

Konrad Lanz sah den Advokaten an wie einen Mann, von dem er Wunder erhofft hatte und der ihn nun mit nüchternen Tatsachen abspeiste. Seine Niedergeschlagenheit nötigte Laudin ein Lächeln ab. »Ich bin Jurist und muß mich an Fakten halten,« sagte er. »Wär ich als Wahrheitfinder unfehlbar oder nur reicher begabt, so müßt ich die mühseligen Wege nicht gehn, die alle, oder doch die meisten, die ihr Recht bei mir suchen, sehr bald entmutigen. Immerhin, der Fall interessiert mich. Nicht bloß Ihrer Person wegen, sondern auch ganz allgemein. Ich werde sehen, was sich ausrichten läßt.« Er zog ein Notizbuch aus der Tasche und schrieb einige Worte hinein. »Heute haben wir Donnerstag. Können Sie sich Samstag vormittag für zwei bis drei Stunden frei machen? Schön. Es ist mir wichtig, Sie dabei zu haben. Seien Sie um zehn Uhr in meiner Kanzlei. Das Auto wird bereit stehen, wir fahren nach Kottingbrunn; daß wir zu so früher Stunde Frau Hartmann zu Hause treffen, ist ja wahrscheinlich.«

Lanz stammelte: »Wie soll ich Ihnen danken, Herr Doktor . . . ein solches Opfer . . .«

»Lassen wir das,« wehrte Laudin ab. Er erhob sich und begleitete Lanz zur Tür. »Die Frau sehe ich,« sagte er, an der Türe stehenbleibend, »die Frau kenne ich. Zug für Zug, und ihre Rede Wort für Wort, glauben Sie mir. Es ist ein Typus, der in allen Abarten vorkommt und zum Erschrecken überhand nimmt.«

»Den Typus kennen Sie gewiß, Herr Doktor, aber ich fürchte, das Exemplar wird Ihnen noch Überraschungen bereiten,« versetzte der Student schüchtern.

Laudin nickte. »Das ist die Eigenschaft der Exemplare, jawohl. Nun, gute Nacht. Samstag um zehn.«

Pia hatte sich schon in ihr Schlafzimmer zurückgezogen. Als er bei ihr eintrat, saß sie vor dem Spiegel und kämmte ihr Haar, das trotz seiner Länge und Fülle sich gehorsam jeder Bewegung der Hand anschmiegte. Sie wandte ihm die ruhig leuchtenden Augen zu, in denen eine vollkommene Abwesenheit von Neugier in bezug auf den Besucher war, und sagte: »Es hat lange gedauert.«

»Ja, es hat lange gedauert,« seufzte er und ließ sich in einem Fauteuil nieder.

»Du mußt müde sein, Friedrich. Geh zur Ruhe jetzt. Ich habe dir einen Apfel und ein Glas Milch an dein Bett gestellt.«

»Stets beschämst du mich, meine teure Pia,« sagte Laudin in einem Ton, der matter klang als er ihn offenbar haben wollte; »ich hatte nämlich die Absicht, dir Blumen zu bringen, aber als ich die Kanzlei verließ, waren die Läden geschlossen. Das ist das Pech von Leuten, die sich damit begnügen müssen, in der Idee ritterlich zu sein.«

»Nun, dafür hast du ja deinem Sohn das Gummi-Eselchen gebracht,« antwortete Pia und blickte schelmisch zu ihm hinüber.

»Sie vergißt nichts, diese Frau,« jammerte Laudin humoristisch; »sie vergißt nichts.« Auf einmal griff er nach seinem Taschentuch und preßte es vor das Gesicht. Als er es wieder wegnahm, war es voll Blut, das aus der Nase sickerte. Er vergewisserte sich durch einen Blick, daß Pia nichts bemerkt hatte, stand auf, küßte sie mit aller Vorsicht, damit das gerötete Tuch nicht sichtbar würde, auf die Stirn und verließ mit freundlichem Gutenachtwunsch das Zimmer. Sie hörte ihn munter pfeifen, es war eine Operettenmelodie, sie nickte ihm gleichsam im Geist zu, doch ehe er sein Zimmer erreicht haben konnte, brach er mitten in der Melodie ab, und es war still.


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