Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28

Luise gab Ernevoldt das Heft zurück. Er lächelte in seiner gutmütigen und beschämten Weise und steckte es in die Brusttasche. Die Zofe kam und meldete ihrer Herrin, jemand habe bereits zweimal telephonisch angerufen. Luise befahl, es solle Tee serviert werden. Ernevoldt sprach von einem Schauspiel, bei dessen Erstaufführung er gewesen, und sagte, daß er sich an den Verfasser wegen einer Verfilmung des Stückes gewendet habe. Er sah dabei auch Laudin an, als müsse diesen die Mitteilung besonders interessieren; Laudin schien seine Worte nicht gehört zu haben. Er richtete den Blick fast gierig auf Luise, als sie zu sprechen anfing, doch war in seinen abgespannten Mienen ein Ausdruck der Enttäuschung, da sie sich an Ernevoldt wandte und eine geringschätzige Äußerung über jenen Schriftsteller machte. Sie gebrauchte dabei gewisse Fachworte, die den Laien im unklaren darüber lassen, was eigentlich gemeint sei. Während es das Bestreben Ernevoldts war, den bedrückt schweigenden Advokaten in die Unterhaltung zu ziehen, schien Luise keine solche Absicht zu haben, wenigstens klangen ihre Worte unbefangen.

May Ernevoldt trat ins Zimmer. Sie legte das Buch, in welchem sie gelesen, auf den Tisch, ging mit lautlosen Schritten zu Luisens Stuhl und lehnte sich zärtlich an die Freundin. Luise schaute lächelnd zu ihr empor und streichelte ihr die Wange. Laudin betrachtete forschend das blasse Geschöpf mit den silbrig-seidenen Haaren und der Gestalt wie Schilf. May runzelte die Stirn und schmiegte sich wie unwillkürlich noch enger an Luise.

Luise fand, daß May müde aussehe und man sie nach Hause schicken müsse. Höflich stellte Laudin sein Auto zur Verfügung. »Und Sie?« fragte Luise, wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn auffallend fremd und kühl an. Es gebe Autos genug in der Stadt, erwiderte er. Ernevoldt erkundigte sich mit Vertraulichkeit bei Laudin, welche Automarke nach seiner Meinung die beste sei. Man habe ihm einen Daimler zu billigem Preis angeboten; es seien jetzt überall Wagen um ein Spottgeld zu kaufen. Laudin antwortete verbindlich, aber zerstreut.

Er trank die Schale Tee leer, stellte sie vorsichtig, fast zaghaft auf den Tisch und erhob sich, da sich May Ernevoldt indessen zum Gehen fertig gemacht hatte. »Ich bin Ihnen großen Dank schuldig, gnädige Frau,« sagte er gehemmt, als bereite ihm das Reden Schwierigkeit.

Luise blickte ihn erwartungsvoll an und lächelte mit verstecktem Spott. Auch May und Bernt Ernevoldt hefteten erwartungsvolle Blicke auf ihn. Sonderbarerweise schien dies den vielgewandten Mann in Verlegenheit zu setzen. Zögernd und nach jedem Satz innehaltend und zu Boden schauend fuhr er fort, es seien in dem Memoire Gedanken ausgesprochen, die sich mit seinen eigenen vielfach berührten. Man müsse nicht einmal den durch die Vorlesung erhaltenen tiefen Eindruck abziehen; es erübrige sich da jedes Lob; Bewunderung sei fast wie Anmaßung; er gestehe, daß es solcher Vermittlung bei ihm kaum bedurft hätte; was in ihm angeregt, aufgeregt sei, lasse sich nicht so eigentlich ausdrücken; er spüre wohl, daß da etwas zur Entscheidung dränge, unbedingt und mit aller Macht, etwas, woran man sich bis jetzt feig vorübergeschlichen habe, und er hoffe, sobald er einigermaßen zur Klarheit gelangt sei, darüber Rechenschaft geben zu können.

Alle begriffen zweifellos, daß dies gewichtige und weittragende Worte waren, Worte, durch die sich ein Mann wie Friedrich Laudin unweigerlich band und die in gewissem Sinn die Richtung seines Handelns bestimmen mußten. Daher das tiefe Schweigen, das ihnen folgte. Luise Dercum war die erste, die das Schweigen brach. Sie reichte Laudin die Hand und sich über die Schulter hinweg an May wendend, sagte sie: »Siehst du, May, ich habe gewußt, daß wir an Doktor Laudin einen Freund haben werden. Nun, wir warten, Doktor, wir warten auf Sie wie die Heiden auf den Apostel.«

Sie drückte seine Hand kameradschaftlich fest, und ihr Blick war heftig und kühn. Vielleicht dachte sie sich gar nichts bei diesen Worten. Laudin schien solchen Argwohn nicht zu hegen; er verneigte sich stumm. Ernevoldt lächelte gutmütig-beschämt. May sah nachdenklich vor sich hin.


 << zurück weiter >>