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64.

Indessen waren sechs Wochen nach Gertrudens Abreise verflossen, und wir begannen schon über ihr Schweigen uns zu beunruhigen, als wir mit einmal von der Mutter Rosa's, von den Eltern Gertrudens und von Gertrud selbst einen reichlichen Vorrath von Nachrichten erhielten, von denen allen die eine immer erfreulicher war als die andere. Das Ganze bestand aus der Ankündigung, daß die Mutter Rosa's diesen Herbst kommen würde, aus der günstigen Antwort auf den Verbindungsantrag und endlich aus den Zeilen Gertrudens, deren jede mein Herz mit den süßesten Gefühlen überströmte und meinen guten Andreas vor Freude ausgelassen machte. Ich setze diese Zeilen Gertrudens her, weil sie die Theilnahme mehr erwecken werden, als ein Bericht, den ich davon an deren Stelle geben könnte.

»Mein bester Herr Bernier!

Wenn Sie diesen Brief beantworten werden, mag ich dann an der Spitze des Ihrigen die Worte lesen: Meine liebe Tochter; denn von diesem Tag an bin ich die Verlobte des Herrn Andreas, und meine Wünsche haben ihren Gipfel erreicht. Ich habe Ihnen zwar noch viel anderes zu berichten; aber, zwischen einem noch so frischen Schmerz und einer noch so neuen Freude mitten inne stehend, weiß ich weder mehr recht, was ich fühle, noch was ich sage, noch was ich schreibe, und Sie müssen mir wenigstens diesmal erlauben, meine Feder auf gut Glück laufen zu lassen.

 

»Was habe ich gelitten, mein bester Herr Bernier, bei jedem Schritte der Pferde, die mich von meiner Rosa, von Ihnen, von Ihrem Sohne entfernten! Zum Glück zeigte sich meine Tante, anstatt mich, wie am Tage vorher, hart zu behandeln, von dem ersten Augenblick an theilnehmend für meine Trauer, und als ich in ihr eine Freundin erkennen konnte, die mir erlaubte, mich an ihrer Seite auszuweinen, habe ich mich dadurch recht getröstet gefunden. Aber – ich bitte um Verzeihung, mein gütiger Herr Bernier! – sie richtete an mich alle Arten von Fragen über mich, über Sie, über Herrn Andreas, und nachdem ich zwei- oder dreimal vor ihr roth geworden war, entschlüpfte mir mein Geheimniß, und ich vertraute ihr die Absicht, die Sie hätten, für Herrn Andreas um meine Hand zu bitten, an. Anstatt aber darüber erzürnt zu werden, war sie über mein Zutrauen erfreut: sie prüfte diesen Plan nach allen Seiten, versprach mir ihren Beistand, und von diesem Augenblick an gestaltete sich alles so gut und so leicht, als wir es nur immer wünschen konnten.

»Als wir in Bremen einfuhren, überfiel mich in der Kutsche eine Ohnmacht, und wie ich das Bewußtsein wieder erlangte, befand ich mich im Salon, umgeben von meinen Eltern und der Mutter Rosa's. Lange Zeit konnte ich kein Wort hervorbringen; aber ich las meine Verzeihung auf den Mienen der ersteren, und in den Augen der zweiten einen Schmerz, worin sich der meine wiederspiegelte. Meine gute Tante sprach schon von Ihnen, und die Gerechtigkeit, die sie Ihnen zu Theil werden ließ, war die Veranlassung zu meinem ersten Lächeln. Bald konnte ich mich in Thränen ergießen, und statt der Vorwürfe vernahm ich nur liebreiche Worte, für die ich mit meinen Liebkosungen dankbar war.

»Mein Vater, welcher beschlossen hatte, mich auf sein Landhaus zu schicken, stand von diesem Entschluß ab, indem er mir jedoch mit Güte begreiflich machte, daß es der Schicklichkeit angemessen sein würde, daß ich, einige Monate wenigstens, in Zurückgezogenheit dort zubrächte. Dies war ja mein eigener Wunsch, und ich konnte mich ihm daher nur für seine Nachsicht dankbar bezeigen.

An den folgenden Tagen lebte ich in der steten Gesellschaft unserer beiden Mütter: Rosa's Mutter ist untröstlich. Der Tod meiner Freundin hat sogar ihren Vater bestürzt gemacht, und seitdem die Nachricht davon in Bremen angelangt war, ist sie, anstatt verleumdet zu werden, nur noch beklagt worden. Doch hauptsächlich hat Ihr Schreiben, mein gütiger Herr Bernier, Allen die Augen geöffnet, und meine Tante, die nun unerwartet hinzu gekommen ist, um alle einzelnen Umstände zu bestätigen, hat vollends bewirkt, daß die Tugend meiner Rosa in ihrem reinen Glänze leuchtet. Jetzt beeifert man sich nur, wer ihrem Schicksal am meisten Antheil bezeigt, und Ihren Namen, der bei allen diesen Zeugnissen genannt wird, spricht man nur mit dem Tone der Anerkennung und Ehrerbietung aus.

Ihr Schreiben an meinen Vater ist unter dieser Stimmung angekommen, und ehe meine Tante noch etwas von Ihren Absichten hatte verlauten lassen, wie ihr Versprechen war. Mein Vater hat Ihr Gesuch von vorn herein günstig aufgenommen; meine Tante hat es aus allen Kräften unterstützt, und selbst die Mama, der es mehr Kummer verursacht, daß sie mich von sich entfernt wissen soll, hat sich doch endlich in den Willen der Familie gefunden. Von diesem Augenblick an habe ich mich in dem Kreise der Meinigen wieder befunden, wie ehedem, und ich habe das Glück genossen, zu denken, daß ich, anstatt nur meine Familie gegen die Ihrige zu vertauschen, ich nun deren zwei statt einer werde zu verehren und zu lieben haben. Theilen Sie gefälligst diese Nachrichten dem Herrn Durand mit, der sich so gütig und so edelmüthig gegen uns in unserem Unglücke bewiesen hat.

Inmitten all dieses Glücks vermisse ich doch, mein theurer Herr Bernier, Ihre Fürsorge wie Ihre Zeichen der Liebe sehr. Ich bewohne in Gedanken noch immer Ihr Zimmer; alle Augenblicke rufe ich meine Rosa dahin, und ich sehne mich, die Orte zu verlassen, wo sie einst so glücklich war, um mich an denen wiederzufinden, wo sie so vieles erlitten hat. Ich sehe, daß ich aus einem leichtfertigen Mädchen, das ich war, ein ernstes geworden bin, und mit Freuden denke ich daran, diesem Wirbel zu entkommen, worin wir uns hier bewegen, um mein übriges Leben dem stillen Reize dauernder Neigungen, geliebter Erinnerungen und der Tugenden, die Sie mich lehren werden, zu widmen. Sagen Sie Herrn Andreas, daß ich an ihn mit eben so innigem als sicherem Gefühle denke, und daß, nach allen den Unklugheiten, die ich begangen, und allen den Prüfungen, die ich ausgestanden habe, seine Achtung der Trost ist, der mich erhebt, wie seine Liebe der Hafen, dem ich zusteure.

Gertrud.«

Nachdem wir den Brief gelesen und abermals gelesen hatten, auf den wir unaufhörlich zurückkamen, mußten wir uns über die Mittel besprechen, um die Kosten einer weiten Reise zu beschaffen, so wie über die Anordnungen, welche eine Hochzeit erforderte, die der Vater Gertrudens in ziemlich nahe Aussicht stellte. Es war wirklich sein Wunsch, daß wir uns gegen das Ende des Herbstes auf die Reise nach Bremen machen möchten, um dort einige Zeit in seinem Hause zuzubringen, wornach man die Hochzeit feiern würde, und bald darauf sollten wir Gertrud nach Genf zurückführen. Gleichzeitig und zugleich in der zartesten und großmüthigsten Weise setzte er als die Mitgift seiner Tochter die Summe von fünfzigtausend deutschen Gulden fest, wobei er es meinem Sohne frei stellte, ob er das ganze Kapital in Empfang nehmen, oder, wenn er dies vorzöge, die Zinsen bestimmen wollte. Die Wahrheit zu sagen, diese beträchtliche Summe erschreckte mich, und ich fing an wegen dieses plötzlichen Reichthums für meinen Sohn zu fürchten. Als ich hierauf aber bedachte, daß selbst dann, wenn er nächstens zu einer Predigerstelle erwählt werden sollte, seine Mittel doch noch sehr beschränkt sein würden, um Gertruden eine angenehme Behaglichkeit zu schaffen: so schloß ich damit, mich mit dieser wenngleich sehr großen Summe vertraut zu machen, und beschäftigte mich ohne Aufschub mit den mancherlei Veranstalten, welche die Abwesenheit, zu der ich bald veranlaßt werden würde, so wie die neue Lage, in die mein Sohn eintrat, nöthig machten. Vor allen Dingen beantwortete ich die Briefe, die ich erhalten hatte, während Andreas seinerseits an Gertrud und deren Eltern schrieb, sobald er nur einigermaßen seiner freudigen Aufregung hatte Herr werden können, um im Stande zu sein, seine Gedanken zu ordnen und deren Ausdruck zu regeln.


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