Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

39.

In dieser Zeit der Erholungsfrist und glücklichen Erwartung beunruhigte mich nur etwas, und das war Rosa's Gesundheit. Gewöhnlich blaß und auch sonst abgemagert, zwang sie sich oft sichtlich, um bei Tische zu erscheinen, und bisweilen sah sie sich noch in dem Augenblicke, wo sie dies thun wollte, durch irgend eine plötzliche Anwandlung genöthigt, ihr Zimmer zu hüten, wo wir sie dann in dem Lehnsessel sitzend fanden, zwar lächelnd, aber sehr matt und durchaus nicht im Stande, ihrem Willen zu folgen. Da sie nie einen Arzt haben wollte, so drang ich darauf, wenigstens in solchen beängstigenden Augenblicken etwas von einem spanischen Weine zu sich zu nehmen, von dem ich ein Fläschchen zu ihrem Gebrauch hinstellte, und ich sah mit Vergnügen, daß sehr oft einige Tropfen dieses stärkenden Getränks hinreichten, um bald Symptome von großer Mattigkeit, bald Annäherungen von Ohnmacht zu bannen.

Das Aufsehen, welches der ärgerliche Vorfall mit dem Baron, die Verhaftung der Marie und die sehr unschuldige Mitschuld Rosa's und Gertrudens in der Sache mit den Kaufleuten erregt hatte, war nach und nach verklungen; und wie es in einer großen Stadt zu gehen pflegt, diesen Straßengerüchten waren andere gefolgt, welche die bösen Zungen beschäftigten. Andererseits aber begann der Aufenthalt der Damen in meinem Hause die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft auf sich zu ziehen, und ich gewahrte bald, daß, wenn auch die Gespräche, die sie betrafen, weniger Aufsehen erregend und öffentlich waren, doch deswegen um nichts weniger in Thätigkeit blieben und sich bisweilen ebenso giftig erwiesen, mehr noch durch jene Unenthaltsamkeit der Zunge, welcher Fehler so vielen, sonst achtbaren Personen gemein ist, als aus boshafter Absicht oder aus Lust, ohne allen Grund zu schaden. Die Mägde des Hauses hatten, von dem ersten Tag an, um die Wette über die Ankunft dieser Damen und über das Erscheinen eines Gerichtsdieners in meiner Wohnung ihre Glossen gemacht, bis sie später, als sie erfuhren, daß Gensd'armen die Damen zur Nachtzeit und in vollem Putz einsam auf der Vortreppe des Millerschen Hauses sitzend angetroffen und deshalb hätten verhaften wollen, den Schluß zogen, es müßten dies sehr zweideutige Personen sein, deren Bekehrung ich mir vorgesetzt hätte. Daher die Blicke, die von der Treppe aus in das Zimmer der Damen drangen; daher das spöttische Lächeln und die Plauderständchen ohne Ende, bald in dem Hofe oder am Fuße der Rampe, bald sogar vor meiner eigenen Thürschwelle.

Andrerseits erfuhr ich, daß achtungswerthe Personen der Nachbarschaft, deren einige ich sogar zu den vorzüglichsten meines Sprengels zählte, die aber oberflächlich von den Damen hatten reden hören, von ihrer Entweichung, ihren Schulden, mich laut tadelten, daß ich sie in mein Haus aufgenommen hatte. Das hieße, meinten sie, die Grenzen einer vernünftigen Menschenliebe überschreiten und muthwillig die heilige Strenge brechen, welche stets in der Wohnung eines Seelenhirten herrschen sollte. Außerdem hätte ich auch zum Sohn einen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren, und wenn man auch, in Betracht seines bekannten Charakters, zugestehen könne, daß ich seine Sittlichkeit keiner Gefahr aussetze, so liege doch auf der Hand, daß ich auf diese Weise seinen Ruf in Gefahr brächte und so einen makellosen Kranz entblättere, der das Ehrenmerkmal eines zukünftigen Dieners des Herrn Jesu Christi zu sein bestimmt wäre. Ich erhielt sogar den Besuch von einem meiner Herren Amtsbrüder, der aus freiem Antriebe einer wahrhaft christlichen Bruderliebe sich zum Ausdruck dieser achtungswerthen Personen bei mir hergab, und der zu allen jenen Vorwurfsgründen noch den hinzufügte, daß ich selbst, durch die Zulassung zweier jungen, mit Recht oder Unrecht übelberufenen Personen in mein Haus, den geweihten Charakter, den ich bekleidete, preis gäbe. Ich theilte hierauf diesem Kollegen die ganze Geschichte dieser meiner beiden jungen Freundinnen mit, und wie ich, von Nothwendigkeit zu Nothwendigkeit gedrängt, dahin gebracht worden war, sie bei mir aufzunehmen, wenn ich sie nicht auf freier Straße ihrem Unglück überlassen wollte. Aber ich wurde mit Schmerzen inne, daß er, trotzdem er meine Absichten und Schritte guthieß, dennoch mich zu tadeln fortfuhr, nicht sowohl deswegen, weil ich sie den ersten Abend aufgenommen hatte, als vielmehr, weil ich sie noch ferner bei mir behalten, statt daß ich gesucht hätte, sie um jeden Preis wo anders unterzubringen. Und als ich ihm sagte, daß ich dazu nicht die Mittel besäße, so machte er sich anheischig, mir diese zu verschaffen, indem er einige reiche Personen zur Theilnahme an der Lage der Damen zu bewegen suchen würde. »Ich habe auch schon an dergleichen gedacht«, sagte ich zu ihm; »aber auch dabei legt mir die Pflicht den Zwang auf, und die Nothwendigkeit gebietet mir, anzustehen, weil ich nur zu gut weiß, daß diese armen Kinder an keinem andern Orte als bei mir vor der geheimen Nachstellung des Lasters und den Angriffen der Schlechtigkeit so geschützt sein würden.« Er begriff diesen Beweggrund wenig und entfernte sich, ohne daß ich seine Bedenken hatte beseitigen und seine Beistimmung erlangen können.

Als er fort war, bedachte ich mit Betrübniß, wie schwer die geringste That der christlichen Liebe dann ist, wenn man, um sie vollständig auszuführen, sich sozusagen zwischen Gottes Gerechtigkeit einerseits, welche die verdienten Folgen einer Auflehnung gegen ihre Gebote, wie dies bei den beiden armen Wesen der Fall war, in Erfüllung gehen läßt, und zwischen die Urtheile der Menschen andrerseits stellen muß, die, wenn sie bei besonderen Gelegenheiten ihre gerechte und achtungswerthe Seite zeigen, doch nicht unterlassen können, streng, bereit zum Tadel und geneigt zu sein, die Triebe der Menschlichkeit und Christenliebe zu Gunsten eines starren Festhaltens an dem Schicklichen sowohl in der Gesellschaft als in dem Sittlichen zu unterdrücken. Was konnte ich Unbekannter und Unbemittelter anderes thun, als sorgsam und mit eigenen Augen über zwei unglücklichen Wesen wachen, welche durch entfesselte Stürme, schon außer Athem und mit erloschenen Kräften, bis unter den Schutz meiner Wohnung getrieben worden waren? Und dennoch war mir dieser Tadel empfindlich, insofern er von wahrhaft gottesfürchtigen und meiner Achtung würdigen Personen ausging, und zwar dergestalt, daß Bitterkeit, Entmuthigung und sogar Zweifel an meinen Kräften mich in manchen Augenblicken befielen, ohne daß ich mich immer im Stande sah, sie zu bekämpfen.


 << zurück weiter >>