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45.

Diese Tröstungen waren übrigens von großer Beihülfe, um mich gegen die Angriffe zu befestigen, die mir immer sehr empfindlich waren, insofern sie zugleich auf den Charakter zielten, mit dem ich bekleidet war, unter der Bedingung ihn rein zu erhalten, wie auf meinen Sohn, der mir gegeben war, damit ich ihn ebenso makellos dem Rufe nach, wie in seinem Lebenswandel, bewahrte. Und er gerade war es, der nur mit einem Unwillen, den ich dennoch nicht theilen konnte, da ich weiß, daß die Leute weit mehr leichtfertig als bösartig sind in ihren Reden, berichtete, daß man in dem Viertel anstößige Dinge in Betreff meiner Rechtschaffenheit als Seelsorger aussprengte. Die so schnell von mir selbst bezahlten Schulden der Damen, ihr Eintritt in mein Haus, die Gewißheit, daß ich gänzlich für ihren Lebensunterhalt sorgte, weil man ihre peinliche Lage bei den Millers und ihre völlige Mittellosigkeit seit dem Verlust ihrer Reisekoffer wußte: Alles dies, übertrieben und durch die Müßiggänger, die Klatschgevatterinnen, die Mägde des Viertels mit boshaften Zusätzen versehen, hatte die Ansicht beglaubigt, daß die Pfennige, die ich für die Armen meines Sprengels erhielt, wahrscheinlich ganz oder theilweise zur Unterhaltung der jungen Freundinnen dienten. Und wenn sie dessen noch würdig wären, fügte man hinzu; aber es wären Landstreicherinnen, die ich vorsätzlich von der Straße aufgelesen hätte, um ihnen mit dem Gelde zu helfen, welches den anständigen Armen des Kirchspiels gehöre. Und so rechtfertigte sich, wie es gewöhnlich geschieht, die Böslichkeit der Reden, deren Gegenstand ich war, durch die Böslichkeit der Reden, womit diese die unglücklichen Damen anschwärzte. – Wolle doch Gott, sagte ich bei mir selbst, erschüttert, wie ich es noch war durch die räthselhafte Phrase im Briefe, daß die Zukunft diesen verleumderischen Reden nicht durch irgend eine furchtbare Enthüllung über die Lage Rosa's Vorschub leiste!« –

Andrerseits grämte sich die alte Frau, welche unsern kleinen Dienst verrichtete, indem sie das, was mir mein Sohn mitgetheilt hatte, bestätigte, über anderes noch weit schlimmeres Gerede, das zu vernehmen sie noch weit besser Gelegenheit hatte und dessen Gegenstand mein Sohn selbst war. Das zurückgezogene Leben der Damen reizte die Neugierde; der beständigere Aufenthalt meines Sohnes im Hause veranlaßte böse Nachreden; endlich, sei es nun, daß die Millers nicht hatten schweigen können, sei es, daß die Besuche des Arztes als im Interesse der Damen geschehen gegolten hatten, genug, die Schwangerschaft Rosa's war kein Geheimniß mehr, und so groß war bei den übrigens verächtlichen Leuten der Nachbarschaft die Frechheit und Bosheit ihrer Zunge, daß sie das Geheimniß dieser Umstände auf tausenderlei für die Ehre der Damen nachtheilige Weise ausdeutelten, ja, daß einige so weit gingen, durch ihre giftigen Verleumdungen die Sittlichkeit meines Sohnes anzugreifen. Die arme Alte, obgleich sie, so gut wie ich, die Ungegründetheit dieser boshaften, verachtungswerthen Gerüchte kannte, ereiferte sich doch so sehr darüber, daß sie Thränen vergoß, und wenn wir allein waren, konnte sie nicht umhin, mir hunderterlei derartiges mitzutheilen, das mir, weil ich es einmal nicht ändern konnte, besser fremd geblieben wäre. Ich tröstete sie, richtete sie wieder auf und rieth ihr, eben so wenig wie ich darauf zu achten, während es doch im selben Augenblicke mein Herz aus einer schmerzlichen Wunde bluten machte.

Dennoch ließ ich in der Absicht, auch die leiseste Unvorsichtigkeit zu vermeiden, welche die Zweideutigkeit einer Lage, die uns der Verlästerung des Viertels aussetzte, vermehren konnte, meinen Sohn vor mich kommen, um ihm einige Maßregeln in Betreff des Verhaltens, das er zu beobachten hätte, anzuempfehlen, wie auch die Angewöhnung einer strengen Vorsicht, der er sich in seiner ganzen Stellung zu den jungen Damen unterwerfen müsse. Insbesondere forderte ich von ihm, sich jener Unterhaltungen mit Gertrud zu entschlagen, zu denen meine Krankheit Veranlassung gegeben und bei welchen sie zwei- oder dreimal der Arzt mitten im Gespräch begriffen getroffen hatte, wenn er bei mir eintrat. Diese letzte Abmahnung allein schien meinen Sohn bedenklich zu machen, und er bemerkte gegen mich, dies hieße ihm eine Entbehrung von etwas auferlegen, das für ihn mehr Reiz hätte, als jedes Vergnügen oder jede Erholung, so sehr gefiel ihm Gertrudens Charakter, ihre Unterhaltung und ihre Gegenwart. Ich dagegen machte ihm bemerklich, daß jetzt meine Ermahnung um so mehr an der Zeit wäre, weil, wenn er sich diesem Zuge hingäbe, er gerade dadurch und ohne sich dessen bewußt zu werden, den üblen Nachreden und boshaften Gerüchten Vorschub leisten dürfte; daß übrigens, weil es sich nicht schickte, daß ich selbst gegen Gertrud irgend eine Bemerkung über diesen Gegenstand machte, alle diese Vorsichtsmaßregeln von ihm ausgehen müßten und zwar ohne daß jene etwas davon gewahr würde. Mein Sohn begriff meine Absichten und brachte sie von demselben Tag ab in Anwendung.


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