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34.

Als mein Sohn die Lampe angezündet hatte, sagte ich: »Ah so, nun wollen wir uns passend einrichten. Dieses Kabinet hier, meine Damen (wir befanden uns in demselben Zimmer, worin sie mit uns am vorhergehenden Sonntage gegessen hatten), soll zugleich unser Speisezimmer und unser Versammlungssaal werden; man wird zwei Stühle mehr hineinsetzen. Aber das allerdringendste ist wohl jetzt, zu ruhen, nicht? ... Halt«, sagte ich zu meinem Sohn, indem ich ihm einen Schlüssel übergab, »geh und nimm ein Paar Betttücher heraus, und Sie, Rosa und Gertrud, folgen Sie mir.« – Als ich sie in mein Zimmer geführt hatte, welches eine Art von Bibliothek ist, mit einem kleinen Ofen in einer Ecke und einem Bett mit Vorhängen im Hintergrunde, sagte ich zu ihnen: »das hier wird Ihr Zimmer sein; ich selbst, ich werde mit meinem Arbeitstisch in das Zimmer meines Sohnes übersiedeln.« – Ich ging darauf hinaus, um die Betttücher zu holen, welche mein Sohn, um sie nicht selbst so jungen Damen einhändigen zu müssen, in das Kabinet gelegt hatte, und sagte zu ihnen: »Die Alte wird Ihnen in vielen kleinen Dingen helfen; aber Sie, meine armen Kinder, werden ihren Dienst sehr ergänzen müssen, und um damit anzufangen, so machen Sie sich Ihr Lager zurecht, während Andreas und ich Thee und einige Zukost bereiten werden.« – Nachdem sie mir sowohl ihr Bedauern, daß sie mich aus meinem Zimmer verdrängten, als auch ihre Befriedigung bezeigt hatten, sich bei mir zu wissen, gingen die Damen an das Werk. Dann, während Rosa, unsern inständigen Bitten nachgebend, sich in meinem Lehnsessel ausruhte, dessen Benutzung, so lange ihr Aufenthalt in meinem Hause dauern würde, ich sie anzunehmen nöthigte, half mir Gertrud meinen Tisch, einige Bücher und andere Sachen, die zu meinem persönlichen Gebrauch dienten, in das andere Zimmer schaffen. Dies abgethan, setzten wir uns zusammen um den Thee, und ich wunderte mich, daß selbst Rosa, statt betrübter zu werden, da sie sich doch in einen so traurigen und abgesonderten Zufluchtsort, wie unsere Wohnung, versetzt sah, dem ungeachtet ruhiger und von mindern Schmerzgefühlen heimgesucht schien, als seit unsrer Abreise von Versoix.

Da ich sie also gestimmt sah, so wagte ich sie zu fragen: »Ist es möglich, meine liebe Rosa, daß Ihnen noch irgend ein Zweifel über die Absichten dieses Barons und über die sittliche Beschaffenheit dieser Baronin übrig bleibt?« – »So lange das Geheimniß«, erwiederte sie, »das über diesem Briefe des Grafen schwebt, nicht erklärt ist, Herr Bernier, wie kann ich da anders, als noch einige Zweifel in mir hegen? Oder vielmehr, ich darf jetzt, da ich an mir selbst erfahren habe, wie sehr die Leute mit Vergnügen und ohne Rückhalt anzuschwärzen und zu verleumden geneigt sind, glauben, daß es boshaften Menschen gelungen sei, den Baron und die Baronin von Bülau als zweideutige Personen erscheinen zu lassen, während ich nicht einen Augenblick daran zweifeln kann, daß Ludwig den Brief an mich geschrieben hat, durch den er mich zu sich beruft.« – »Ei nun!« versetzte ich, »ich grade, Rosa, ich zweifle, daß er ihn geschrieben hat, diesen Brief; denn tausendmal eher würde ich voraussetzen, daß man die Empfindungen, die Zärtlichkeit und die Handschrift des Grafen nachgemacht hat, um Sie in eine Schlinge fallen zu lassen, als daß ich mir vorzustellen vermöchte, der Graf habe sein Vertrauen einem Menschen schenken können, dessen Schritte alle das Siegel einer niedrigen Unredlichkeit an sich tragen. Uebrigens, meine Tochter, lassen Sie uns heute nicht über das streiten, was sich später gewiß aufhellen wird. Stehen Sie auf, und nachdem wir uns zu Gott durch Gebet erhoben haben werden, wollen wir nachher im Schlummer die Erholung von unsern Beschwerden und einen Aufschub unserer Bekümmernisse suchen.« – Hierauf erhoben sich Rosa und Gertrud, und ich betete folgendermaßen:

»Wir demüthigen uns vor dir, o Gott, wie es sündhaften Geschöpfen ziemt, die dich jeden Tag in verschiedener Art beleidigen, und wir nahen dir, dich mit Reue und Zerknirschung um Verzeihung unserer Begehungs- und Unterlassungssünden zu bitten, im Namen unseres Herrn Jesu Christi. Alles, was du über uns verhängst, ist gerecht und barmherzig. O mein Gott, das Härteste reicht niemals an die Höhe unserer Sünden, die, ach! in unsern Augen klein erscheinen, die aber groß sind in deinen Augen, wie sie unverzeihlich sein würden ohne die Tiefe deiner Barmherzigkeit. Sieh hier zwei junge Seelen, welche eins deiner heiligsten Gebote übertreten haben; aber die Prüfung, durch welche du sie in deiner väterlichen Sorgfalt zu warnen gewürdigt hast, daß sie sich wieder zur Erfüllung deiner Gebote zurückwenden, hat sehr schnell ihre Herzen bekehrt, und sie wollen ohne Aufschub sich bemühen, ihre Sünden zu tilgen. So schiebe denn du, o Gott, deine Strafe auf, laß in deinem Zorne nach, segne ihre Entschlüsse und bereite, gerührt von ihrem zarten Alter, ihnen bessere Tage. Sieh in denen, die dich hier anrufen, eine einzige Familie, deren Haupt ich bin, und flöße mir den Geist ein, sie auf den Weg zu leiten, der zu deinem Wohlgefallen führt. Amen.«

Nach dieser Anrufung erhielt ich von diesen drei jungen Wesen den Kindeskuß, und beide Theile suchten das Lager, gestärkt durch Gebet und erquickt durch Sammlung des Innern.


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