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28.

An demselben Tage berichtete mir mein Sohn beim Mittagsbrod, daß er veranlaßt worden wäre, einen seiner Genossen nach dem Hotel zu begleiten, aus dem ich die Damen befreite, und daß, indem er auf jenen wartete, er den jungen Herrn gesehen hätte, der sich mit Vorbereitungen zur Reise beschäftigte. Auf einige Fragen, die er deshalb an Jemand gerichtet, hätte man ihm gesagt, daß jener wirklich das Hotel im Laufe des Freitags verlassen würde. Da Alles dies öffentlich vor sich gegangen war, so mußte ich wohl an die Wirklichkeit dieser Abreise glauben, und es blieb mir nur noch einige Ungewißheit übrig in Betreff des absichtlich verbreiteten Gerüchts, daß der junge Herr nach Paris reiste, während ich doch gesehn hatte, daß sein Paß auf Basel lautete.

Nach Tische schrieb ich einen Brief an die Eltern Rosa's, sowie an die Gertrudens; dann ging ich aus, um den Lauf meiner Geschäfte, der so unglücklicherweise unterbrochen worden war, wieder aufzunehmen. Ich fand, daß eines meiner Beichtkinder, welches ich liebte, am Morgen gestorben war, und wenn ich als Seelsorger es nicht zu bereuen hatte, daß ich ihm in seinen letzten Momenten nicht hatte beistehn können, so lag der Grund darin, daß es eines von denjenigen war, die zu jeder Zeit sich gerüstet und bereit halten, zu erscheinen. Dennoch war mir diese zeitliche Trennung von einem meiner Geliebtesten schmerzlich, und indem sie sich mit den erst kürzlich empfangenen Eindrücken verband, erschien es mir, als ob die gute Frucht um mich her schwände, so daß ich mich endlich im Unkraut verloren fühlte. Bewegt von diesen Gedanken, trat ich in eine Allee und ließ dort einige Augenblicke meinen Thränen freien Lauf.

Als ich indessen gegen acht Uhr Abends in meinem Hause ankam, fand ich daselbst auf meinem Tische zwei Visitenkarten vor, auf denen ich las: »Der Baron von Bülau, nebst Frau.« Ich wußte nicht, was ich über diesen Vorfall denken sollte, weil ich wohl einer der Menschen auf der Welt bin, die am meisten vor dem Verkehr mit solchen Standespersonen gesichert sind. Es bildete sich bei mir also die Vorstellung irgend eines neuen ränkevollen Anschlages aus, der sich auf die Kriegslisten des jungen Herrn bezog, als die Alte, die uns die geringen Dienste leistet, in mein Zimmer herbeieilte, um mir zu sagen, daß wohl zehnmal Jemand von den Millers gekommen wäre, um mich von Seiten der Damen zu suchen. Ich war nur zu sehr überzeugt, daß dort wieder eine Störung vorgefallen sein müßte, so daß ich, sogleich Stock und Hut ergreifend, schleunigst auf die Straße hinabstieg und nach dem Millerschen Hause eilte.

Diesmal waren es Gertrud und Rosa selbst, die, als sie von ihrem Zimmer aus die Klingel ziehen gehört hatten, herbeieilten, um mir zu öffnen. Beide überhäuften mich um die Wette mit Liebkosungen; sie dankten Gott, sie zeigten mir einen Brief, sie sprachen mir so viel von einem Baron vor, daß ich zu ihnen sagte: »Seid ihr thöricht, Kinder?« – Hierauf zogen sie mich in ihr Zimmer, und nachdem ich darauf gedrungen hatte, daß eine nach der andern spräche, erzählten sie in Summa, daß einer der Freunde des Grafen, der Baron von Bülau, schon gestern Abend mit seiner Frau Gemahlin in Genf angekommen wäre; daß er, nach allen Arten von Nachforschungen, um ihre Wohnung zu erkundschaften, dieser endlich auf die Spur gekommen wäre durch eine Nichte der Millers, die in einem Putzladen beschäftigt ist, wo die Baronin eingetreten war, um sich einen Hut zu bestellen; daß, endlich bei ihnen eingeführt, der Baron ihnen einen Brief des Grafen eingehändigt, und daß sie von diesem Augenblick an vor Freude, Glücksgefühl und einer Seligkeit ohne gleichen den Kopf verloren hätten. Darauf begann Rosa, wieder in ihre neuliche Hingerissenheit verfallend, wechselsweise bald den Brief, bald Gertrud, bald mich zu küssen. – »Aber was enthält denn nun dieser Brief, meine Tochter?« nahm ich das Wort. – Hierauf ließ sie mich ihn von Anfang bis Ende lesen. Der Graf schrieb ihr in einem Stile, der, was die Glut und die leidenschaftliche Zärtlichkeit des Ausdrucks betrifft, gänzlich mit den Gefühlen Rosa's übereinstimmte, daß er, kaum in Hamburg angelangt, von einem Typhus angefallen worden sei, der in dieser Stadt herrschte, und daß sein Zustand mehrere Wochen lang ein so bedenklicher gewesen wäre, daß man ihm die Briefe, die sie ihm geschrieben, nicht hätte zustellen dürfen. Kaum in der Wiedergenesung begriffen, habe er sie alle auf einmal verschlungen, sei aber nichtsdestoweniger, wegen seiner ausnehmenden Schwache, nur im Stande, blos auf einige der letzten zu antworten, welche Antwort auf besondere Umstände, deren mehrere sehr vertraulicher Art waren, in der That folgte. Da er nun weder, nach dem Wunsche seines Herzens, zur Wiedervereinigung mit ihr herbeieilen, noch eine längere Trennung ertragen könne: so habe er sich entschieden, das Anerbieten seiner Freunde, des Barons und der Baronin von Bülau, anzunehmen, welches diese ihm in den ersten Tagen seiner Krankheit gemacht, nämlich nach Genf zu reisen, um sie und Gertrud dort aufzusuchen und sie ihm zuzuführen. Der Baron werde ihr alles Geld, dessen sie wohl dringend benöthigt sein würde, zustellen, und sie solle lieber verschwenden, um nur ja ihre Ankunft bei ihm um keinen Tag, keine Stunde zu verzögern. – Das Uebrige des Briefes war ganz erfüllt von Zügen der Zärtlichkeit, die ebenso wenig gemäßigt waren, als jener letztere, und eine Nachschrift enthielt, außer einigen durch Vermittlung erlangten Nachrichten über Rosa's und Gertrudens Familien, den vom Grafen ausgedrückten Wunsch, Hamburg, sobald er dazu hinreichend wieder hergestellt sein würde, zu verlassen und sich unmittelbar zu jenen zu begeben, um ihre Verzeihung zu erflehen und eine Wiederaussöhnung zu beschleunigen, die einzig seinem Glücke fehle. Als ich diesen Brief gelesen hatte, sagte ich darauf zu ihnen: »Nun wohl, theure Kinder, da wäre die Befreiung, und es war die höchste Zeit dazu! Wie sehr freue ich mich mit euch, und wie sehr bestehe ich grade in diesem Augenblicke des Glücks, in welchem euch die Vorsehung nach solchen Prüfungen zu eurem Besten alle ihre Gunst auf einmal zuwenden zu wollen scheint, daß ihr, indem ihr gewissenhaft in euren guten Entschlüssen, und zwar in Gemeinschaft mit dem Grafen, beharrt, der, wie ich mit wohlthuender Befriedigung sehe, seinerseits ähnliche bei sich gebildet und genährt hat, weder Ruhe, noch Freude, noch Sicherheit empfindet, ehe ihr nicht zu den Füßen eurer Eltern die Schuld eines tiefen Bereuens und der ehrfurchtsvollen Bitte, sie möchten noch vollkommen auf eure kindliche Liebe rechnen, um euch die Wiedererlangung ihrer Vergebung zu bewilligen, abgetragen habt. Jetzt, jetzt allein, Gertrud, Rosa, die ich liebe, so strafbar ich euch finde, die ich segne, obgleich ich euch als Abtrünnige kenne, ertheile ich euch meine volle Achtung und im Namen des Herrn jene Taufe der Ehre und der Tugend, die zu erhalten euch noch jüngst so werthvoll erschien.« – Hierauf küßte ich jede auf die Stirne, während sie, tief ergriffen von meiner Rede, die aufrichtigen Thränen der Dankbarkeit mit den heiligsten Versprechungen begleiteten, daß sie es nicht daran fehlen lassen würden, mir in kurzem die glückliche Verkündigung ihrer Wiederaussöhnung mit den Ihrigen zu schreiben.

Nach diesem sprachen wir noch von dem Zeitpunkt ihrer Abreise. Ihre eigne Ungeduld und selbst die des Barons, den seine Angelegenheiten nach Hamburg zurückriefen, sprachen zu Gunsten des allernächsten Zieles; auch war schon, während des Besuches, von übermorgen, als Mittwoch, die Rede gewesen, aber die Baronin hatte darauf bestanden, daß man die Abreise bis zum Donnerstage verschöbe. In Rücksicht hierauf sagte ich ihnen, daß, so betheiligt ich auch dabei wäre, mich ihrer Gesellschaft so lange als möglich zu erfreuen, deren beraubt zu sein, mich sehr betrüben würde, so ermuthige ich sie doch nichtsdestoweniger, sobald es sich thun ließe, abzureisen; daß sie also dazu ihre Vorkehrungen treffen möchten, indem sie ihre Reisekoffer zurechtstellten und ihre Rechnung bei den Millers berichtigten, wie auch außerdem noch den Besuch des Barons erwiederten; ich selbst würde Sorge dafür tragen, daß sie ihre Abreise beschleunigen könnten. Sie waren darüber sehr erfreut, daß meine Ansicht so mit ihrem Wunsche übereinstimmte, und nachdem sie mich um die Vergünstigung gebeten hatten, daß mein Sohn sie am folgenden Morgen in die Stadt begleiten dürfte, wo sie noch einige Einkäufe machen wollten, bat ich selbst sie um die, mich zurückziehn zu dürfen. Sie willigten ungern ein, indem sie mich mit den lebhaftesten Beweisen von Erkenntlichkeit und Zuneigung überschütteten.


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