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47.

Am folgenden Tage befand sich Rosa in der That weit besser, und am dritten schleppte ich mich, da ich zum erstenmale seit meiner Niederlage versucht hatte aufzustehen und mich anzukleiden, auf eine Bewegung, die ich im Zimmer der Freundinnen vernahm, mit großer Mühe hinüber, um dort ein recht freuderweckendes Schauspiel zu genießen. Rosa hatte soeben ihr Kind sich wieder bewegen gefühlt und bei dem Freudenschrei, den sie ausgestoßen hatte, war Gertrud an ihr Bett herbei geeilt, um ihr Glücksgefühl zu theilen und mit ihr Gott dafür zu danken. Ich gesellte mich zu dieser Gefühlstheilnahme, und so erschienen Zufriedenheit und Hoffnung zugleich plötzlich wieder in meinem Hause. So sehr hat die Vorsehung in ihrer billig abwägenden Weisheit gewollt, daß das Glück etwas Beziehungsweises bliebe, so daß es sogar bei den Unglücklichen selbst einkehrt und sich gänzlich nur von einem todbringenden Schicksal fern hält.

Dennoch war ich noch so schwach, daß ich, weil mir schwindelte und meine Füße schwankten, zu Gertrud sagte: »Mein gutes Kind, wenn Sie mir nicht zu Hülfe kommen, so fürchte ich auf den Boden hinzustürzen.« – Sie eilte hierauf sogleich herbei, und nachdem sie mir ihren Arm als Stütze geliehen hatte, auf dem so schwer aufzuliegen ich mich wahrhaft schämte, half sie mir das Zimmer wieder erreichen, wo ich, mich sogleich auf einen Stuhl niederlassend, sagte: »Jetzt verabschiede ich Sie, denn ich bin in Wahrheit unfähig, etwas zu sagen oder ein Wort anzuhören.« – Nachdem Gertrud sich wegbegeben hatte, erkannte ich, daß ich auch gleichsehr unfähig war, mich auf dem Stuhle aufrecht zu erhalten, so daß ich mich auszuziehen unternahm, um mich darnach wieder in's Bett zu legen. Aber ich konnte damit nicht zu Stande kommen, und faßte also den Entschluß, auf dem Stuhle halb entkleidet sitzen zu bleiben, bis mein Sohn zurückgekehrt wäre und mir seinen Beistand leihen könnte. Nach einer halben Stunde ließ sich indeß ein Zug an der Klingel vernehmen: es war Miller, der mich zu sprechen verlangte. Mit dessen Hülfe konnte ich mit meinem Unternehmen zu Stande kommen und wieder in's Bett gelangen. Sobald ich mich in die rechte Lage gebracht hatte, fragte ich ihn: »Was habt Ihr mir denn zu sagen, Miller?«

Miller war eiligst gekommen, mich zu benachrichtigen, daß er soeben, indem er über die Rhonebrücke gegangen wäre, den jungen Herrn erkannt hätte, der aber keine Miene gemacht hätte, als kenne er ihn; daß er selbst sogleich aus eignem Antriebe gegangen wäre, dessen Rückkehr bei dem Polizeikommissär anzuzeigen, und daß dieser, der davon noch nicht unterrichtet war, sofort zwei Gensd'armen den Befehl ertheilt hatte, ihn aufzusuchen und festzunehmen. – »Hier wird einmal die Gerechtigkeit walten, mein braver Miller«, rief ich bei dieser Nachricht aus; »aber vor allen Dingen konnte sich wohl für meine armen Damen nichts Glücklicheres ereignen, da sie berufen sind, sich binnen wenigen Tagen auf die Reise zu begeben und sich auf diese Art vollkommen im Schutz vor den Nachstellungen dieses schlechten Menschen befinden werden. Ihr habt da einen guten Einfall gehabt, und ich bin Euch um so mehr für euren Eifer verpflichtet, als Ihr mit Augen seht, wie sehr ich außer Stande bin, in eigner Person zu handeln.« – Gleichzeitig, und damit meinem Sicherheitsgefühl nichts fehlte, was in diesem Augenblicke nicht größer sein konnte, berichtete mir Miller, daß Marie, in Folge eines Streites, in welchem sie eine Verwundung durch den Wurf einer Flasche erhalten hatte, die ihr in die Brust gedrungen war, wenigstens noch vierzehn Tage lang das Bett hüten mußte, so daß es von ihrer Seite nichts zu fürchten gab. Nachdem ich den guten Miller gebeten hatte, mich über Alles, was von neuem dazu kommen könnte, in Kenntniß zu setzen, verabschiedete ich ihn, und nachdem er fort war, schlief ich einen guten Schlaf.


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