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62.

Am andern Tage holte gegen drei Uhr Nachmittags die Kutsche Gertrud ab, bei welcher wir, mein Sohn und ich, den ganzen Morgen zugebracht hatten. Unser Abschied war, wie man sich denken kann, voll Rührung und von Thränen begleitet; aber dennoch ohne Trauer und ohne Bitterkeit, so sehr hatte schon über unsere Herzen die Hoffnung Herrschaft gewonnen, daß wir uns einst wieder vereinigt finden würden.

Nichtsdestoweniger fühlten wir, als Gertrud abgereist war, eine so große Leere, daß ich mich nicht erinnere, während der schweren Widerwärtigkeiten, wovon der Aufenthalt der Damen die Veranlassung war, etwas gleich Bedrückendes, noch so Trauriges und Peinliches empfunden zu haben. Selbst mein Zimmer schien mir, als ich mich wieder darin einrichten wollte, von einer beängstigenden Einsamkeit, und unaufhörlich suchte mein Herz darin die beiden Wesen, die es so lange Zeit mit ihren Befürchtungen, mit ihrer Vertraulichkeit, mit ihren Schmerzen und auch mit ihren kurzen Freuden bevölkert hatten. In den ersten Augenblicken täuschte ich mir die Unbehaglichkeit dadurch hinweg, daß ich an den Vater Gertrudens schrieb, um ihn in Andreas' Namen um die Hand seiner Tochter zu bitten; und so lange ich die Feder führte, um ihm achtungsvoll die zahlreichen Beweggründe auseinander zu sehen, die mich bewogen, dieses Bündniß um meines Sohnes, meiner selbst und Gertrudens willen zu befürworten, da es galt, dieser baldmöglichst eine ehrenhafte und geordnete Stellung zu bereiten, fand ich die Arbeit leicht, und die Zeit verlief angenehm. Als ich aber, nach Beendigung dieses Briefes, den ich übrigens nicht eher als nach Verlauf von einer oder zwei Wochen absenden wollte, versuchte, mich wieder an meine gewohnten Geschäfte zu begeben, war es mir während mehrerer Tage unmöglich, mich in ununterbrochener Folge denselben zu unterziehen, und diese gelegentliche Muße trieb mich, mehr als jeder andere Beweggrund, dazu, das Kästchen wieder vorzunehmen, um die Briefe durchzusehen, welche es enthielt.

Diese Briefe reichten bis ungefähr zu der eiligen Abreise des Grafen nach Hamburg zurück, und die ersten aus Mailand datirten bezeugten schon durch diese Thatsache allein den abscheulichen Betrug des Ruchlosen, der sie geschrieben hatte. Uebrigens machten einige Stellen darin Anspielungen auf Thatsachen, die vor dieser Epoche Statt fanden, namentlich auf die scheinheiligen Kunstgriffe und die trugvollen Schlingen, mittelst deren es dem Grafen gelungen war, die arme Rosa in die Sümpfe seiner Lüste zu ziehen, wodurch er es bewirkte, daß sie ohne ihr Wissen eine Ehe, die keine Gültigkeit hatte, mit ihm einging. Der Graf scherzte nicht allein darüber gegen den jungen Herrn, seinen Freund, sondern verspottete ihn auch deswegen, weil er, von ihm aufgemuntert, da er seinen glücklichen Erfolg zum Vorbild habe, und ihm nicht eine ganze Familie mit ihrer Wachsamkeit im Wege stehe, es noch nicht dahin gebracht habe, Gertrud in derselben Weise zu umgarnen, als er es unter weit größern Schwierigkeiten verstanden habe, Rosa in's Netz zu ziehen.

»Armer Ferdinand«, schrieb er ihm, »ich bereue es fast, Dir die Verfolgung dieses Wildprets überlassen zu haben, da Du es, wie sehr es auch keucht, nicht zu erjagen verstehst. Wie! die Tauben sind da, auf freiem Felde, verdutzt, verwundet, mit den Flügeln zappelnd, und Du, Meister Fuchs, schleichst mit all Deiner Verschlagenheit nur scheu um sie herum! – Nein, lieber Freund, Du wirst immer nur ein ganz ordinärer Fuchs bleiben, der es höchstens so weit bringt, bei Nacht in einen Hühnerstall einzudringen, um Dich an irgend einem Stück bürgerlichen Federviehes zu erlaben, und Deine Jugendtage und Jugendkraft werden dahin sein, ehe Du bei hellem, lichtem Tage eine so schöne und zarte Beute erhascht und verzehrt hast, wie es meine Rosa war!« Diese wenigen Zeilen reichen übrigens hin, um die Natur des Vertrages anzudeuten, welcher den Grafen und den jungen Herrn aneinander band, und um begreiflich zu machen, gegen welche Art von Menschen ich meine unglücklichen Schützlinge zu vertheidigen hatte. Nachdem der Graf vermuthlich Vergnügen an der Schwierigkeit der Jagd nach einem jungen Mädchen gefunden hatte, das von allen seinen Verwandten umgeben und in sich selbst durch den dreifachen Schutz von Wohlanständigkeit, Zartgefühl und Scham vertheidigt war, hatte er, sobald er seine Leidenschaft erschöpft sah, den Gegenstand derselben seinem Freunde abgetreten, sei es nun, daß er diesem einräumte, Rosa so weit herabzuziehen, um sich dann zu ihrem Besitzer zu machen, sei es, daß er es für besser hielt, durch eine kühne List Gertrud so zu täuschen, wie er selbst Rosa getäuscht hatte. Es scheint, daß Ferdinand sich mehr zu dem letzteren Entschluß hinneigte, ohne sich jedoch des Wechselfalles zu berauben, wieder zur andern zurückzukehren, und es war grad in dem Augenblick, wo er in den Zug kam, die ersten Fäden seines Gewebes zu knüpfen, als mich ihm die Vorsehung in den Weg stellte, um die einen wie die andern zu zerreißen. Ich fand die Spur des Verdrusses, den er in Rücksicht dessen empfunden hatte, in den Antworten des Grafen auf seine damaligen Briefe. »Nichts hat mich mehr belustigt«, schreibt er ihm, »als Dein Zorn gegen den guten, einfältigen Prediger, dessen Zähigkeit doch grade ganz besonders dazu geeignet ist, um sich daran zu ergötzen und ein Genie zu entflammen, das nur etwas mehr Kühnheit hat, als das Deinige. Uebrigens betrübt es mich weder, noch erregt es mir Erstaunen, Ferdinand, daß er Dich als Satan behandelt hat, weil es doch, außer daß Du diesen Titel Wohl verdienst, wenn auch nicht wegen Deiner Geschicklichkeit, doch wenigstens wegen Deiner Absichten, nach allem Wohl möglich ist, daß unter so vielen Predigern, die kein anderes Verdienst als ihren Talar haben, sich einer finden mag, welcher Herzhaftigkeit mit einigem Scharfblick verbindet. Meine Meinung ist daher, daß Du mehr als jemals die Kirchen besuchen und von Ehe sprechen mußt; denn so lange Du nicht Deine wahre Gestalt hinter dieser doppelten Maske versteckst, wird der gute Prediger stets in Dir den Fürsten der Teufel erblicken, ein so guter Kavalier Du sonst auch bist.«

»Ei, aber welch köstliches Bild! Ferdinand, wie er andächtig an den Stufen der göttlichen Altäre kniet! Ferdinand, wie er schüchtern heftiges Verlangen nach Vermählung herstammelt und sich darbietet, um sich die heiligen Fesseln des Ehestandes anlegen zu lassen! Nimm Dich in acht, Freund, wenn der Augenblick gekommen sein wird, Dich nicht zu sehr in diese Fesseln zu verwickeln: die falschen sollen dabei den wahren gleichen und die wahren sind nicht sehr verschieden von den falschen, so daß der geringste Irrthum in diesem zarten Spiel, in dem Du Dich versuchen willst, das unbezahlbare Resultat haben würde, aus Dir ein gutmüthiges Exemplar von Ehemann zu machen, ganz so einfältig, so erbaulich und so betrogen, wie so viele andere.« – In Folge der Anstachelung durch diese Rathschläge und Spöttereien hatte der junge Herr, theils gegen mich, theils gegen die Millers und hauptsächlich gegen Gertrud selbst – mittelst des durch die Marie überbrachten Briefes – bald die Absicht kund gethan, bald bestimmte Form dem Wunsche gegeben, die Hand Gertrudens zu erlangen und auf diese Weise zwei jungen verlassenen weiblichen Wesen zugleich ein Glück und einen Beschützer zu gewähren. Da ihm aber dieser entscheidende Schritt vereitelt worden war, und er von jetzt ab daran verzweifelte, daß es ihm eher mit diesen Plänen glücken könnte, als bis er sich entschiede, sich selbst unsichtbar zu machen, damit man ihn vergäße, hatte er jene Abreise nach Paris vorgegeben, und sie mit den Millers deshalb festlich gefeiert, damit diese bei mir als um so Weniger verdächtige Zeugen dafür gelten konnten, Weil sie ihm ganz ergeben schienen, und endlich alles vorbereitet, um die beiden jungen Personen, welche er in Basel erwarten wollte, von dem Baron entführen zu lassen.

Um diese Zeit hatte sich der Graf von Mailand nach Venedig begeben, wo er den Glücksfällen eines neuen Abenteuers nachjagte, dessen verschiedene Wendungen er in seinen Briefen an Ferdinand in jenem leichtfertigen Tone einer ausgelassenen Prahlerei, untermischt mit seinen Spöttereien und geistreichem Cynismus, mittheilte. Als Gegengabe erzählte dieser seine Niederlagen, klagte jenem seinen Verdruß, rief ihn um Beistand an und verlangte, daß der Graf ihm einen ihrer gemeinschaftlichen Freunde zuschickte, der mit einem Briefe von seiner Hand versehen wäre, welcher Rosa an Hamburg erinnerte. »Wenn Du das thust«, versicherte er ihn, »so halte ich den Sieg für gewiß, und dem von Bülau soll dafür als Lohn die sanfte Rosa zu Theil werden, mir die reizende Gertrud. Er soll mir beide nach Basel bringen, und dort wollen wir die köstliche Beute theilen.« Auf diese Zumuthung antwortete der Graf anfangs: »Schämst Du Dich denn nicht, Ferdinand, daß Du nichts aus Dir selbst zu schöpfen weißt und mir anzusinnen wagst, Rosa, nachdem ich sie zuerst meinem Gelüste geopfert habe, nun auch noch zum zweitenmale für das Deinige zu opfern? Nein, nein; ein so großer Wüstling ich auch bin, so habe ich doch noch einen Rest von Gefühl, und sollte es sich auch übel für mich schicken, Dir Mitleid zu predigen gegen dieses sanfte Kind, so steht es mir doch um so besser an, zu wünschen, daß sie Deiner Lüsternheit vielmehr entschlüpfe, als daß ich sie dieser durch meine eigenen Hände überliefert sähe.«

Nichtsdestoweniger kommt er in einem spätem Briefe auf dieses Thema zurück: »Nach allem scheint mir Dein Einfall ein glücklicher zu sein, und wenn ich ihn nicht unterstützen will, so geschieht es aus Rücksicht für meine arme Wittwe Rosa; was Gertrud anbetrifft, so verdiente ihr jüngferlicher Stolz Wohl eine Züchtigung. Denn es scheint mir unerhört, daß ein so hübsches Kind, verlassen von den Eltern, wie sie ist, sich durchaus in den Kopf setzt, so liebenswürdigen und so gewandten Kavalieren wie uns zu trotzen. Ich ziehe demnach Dein Ansuchen in Berücksichtigung, und an einem Tage, an welchem mir meine hiesigen Triumphe Muße genug lassen, kann es Wohl geschehen, daß ich den Brief aufsetze, der Dir Deinen Sieg sichern soll.«

Endlich heißt es in einem dritten Briefe: »Ich habe es mir überlegt, Ferdinand. Diese Geistlichen sind ein Gezücht, das uns Kinder des Vergnügens ohne Gnade verdammt, und der Deinige scheint nur der schlimmste unter allen denen zu sein, die sich jemals unterstanden haben, unsere Liebesaffairen zu kreuzen. Also keine Schonung! Von Bülau, dem ich gesagt habe, welchen Antheil an der köstlichen Beute Du ihm zugedacht hast, geht morgen voll feuriger Begierde und versehen mit dem Brief für Dich von hier ab. Es ist nun Deine Sache, eine Baronin aufzufinden, und euer Beider Angelegenheit, das Uebrige zu thun.« – In dieser Weise war nun der schändliche Brief überliefert worden, und von da ab sieht man, ohne daß es nöthig wäre, noch weitere nutzlose Auszüge zu geben, das Geheimniß der abscheulichen Kriegslist entschleiert, durch welche Rosa und Gertrud nahe daran streiften, ihre Opfer zu werden.

Ehe ich noch mit diesen Briefen zu Ende kam, deren Ton im Allgemeinen der jener leichtfertigen Heiterkeit war, die den reichen und vornehmen Wüstlingen eigen zu sein pflegt, bemühte ich mich, darin nach Ausdrücken der Reue und der Gewissensvorwürfe zu suchen. Aber vergebliche Mühe! Neue und Gewissensmahnungen fanden sich wohl, aber gewöhnlich unter starkgeisterischen Gotteslästerungen versteckt, oder unter gedankenlosem Wegleugnen alles dessen, was den ehrenhaften Seelen heilig ist, oder unter Formen, hier ungekünstelter Munterkeit, dort sinnlosen Zornschnaubens. Demungeachtet gaben sich hie und da Zeichen von Leere, von Langweile, ja selbst von Ueberdruß ziemlich unverdeckt kund, so daß ich mich mit Erstaunen fragte, wie es möglich wäre, daß, da sie doch selbst von ihren Uebelthaten nicht einmal den sichern Tribut des Vergnügens oder Wohlbefindens zögen, junge, dabei mit glänzenden geistigen Eigenschaften begabte und von den Vortheilen des Standes und des Vermögens begünstigte Männer sich so um nichts und wieder nichts allen Beschwerlichkeiten des Lasters und aller Schmach, die der Verderbtheit inwohnt, überließen. »Ein gewöhnlich stattfindender Nebel«, schreibt der Graf aus Venedig, »trübt hier die Helle des Morgens, und nur gegen Abend wird Alles zugleich von Purpurglanz erfüllt. Deshalb möchte ich mich auch in freundlichere Gegenden begeben, wo der Himmel weniger zögert, hell und heiter zu sein. Denn, Ferdinand, wenn zu diesen Nebeln noch die Umdüsterungen meiner Seele kommen, so liegt es auf mir wie eine traurige Nacht, die andauert, bis mir endlich am Abend die Freude aufgeht. Oft findet aber auch dies nicht einmal statt, und dann komme ich mir, zurückgezogen in irgend einen dunklen Saal meines gemietheten Palastes, vor, wie jene armen Teufel, die, wenn der Rausch versiegen ist, verschlafen und mürrisch mit Verdruß gewahr werden, daß ihnen nicht einmal die Lust oder das Rettungsmittel übrig geblieben, sich von neuem zu berauschen.«


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