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40.

Aber am nächsten Montage wurde ich noch auf ganz andere Weise erschüttert, und es bedurfte, nach meiner Meinung, aller Bande der Neigung, des menschlichen Mitgefühls und der Frömmigkeit zugleich, stark an mich zu halten, daß ich nicht augenblicklich dem Rathe folgte, den mir der Prediger, mein Amtsgenosse, gegeben hatte, nämlich die Damen um jeden Preis in ein anderes Haus zu bringen.

Denn als wir von Tische aufgestanden waren, bemerkte ich, daß Gertrud, die an diesem Tage allein erschienen war, sich nicht gewohnterweise entfernte. Da ich nun annahm, daß sie mir etwas mittheilen wollte, so gab ich meinem Sohn einen Wink, uns zu verlassen, worauf ich, als wir allein waren, zu ihr sagte: »Was fehlt Ihnen denn, Gertrud, und woher kommt es, daß Sie so befangen und verlegen sind?« – Hierauf bedeckte sich ihr Gesicht mit einer lebhaften Röthe; fast in demselbem Augenblick rannen Thränen über ihr Gesicht, und da ich bemerkte, daß eine gewisse Scham sie am Sprechen hinderte, so machte ich mich darauf gefaßt, das Geständniß irgend eines traurigen Umstandes zu vernehmen, den sie in Übereinstimmung mit Rosa bis jetzt meiner Kenntnißnahme vorenthalten hatte, ungeachtet der dringenden Bitten wie der Rechte, die ich auf vollständiges Vertrauen und Wahrhaftigkeit ohne allen Rückhalt geltend gemacht hatte.

Glücklicherweise war es jedoch nichts derartiges, und die Erleichterung, die ich dadurch empfand, trug ohne Zweifel dazu bei, meine eigene Unruhe zu dämpfen. Denn Gertrud sagte mir alsbald mit halblauter Stimme und die Augen von meinem Gesicht abwendend, daß ihre Freundin sich guter Hoffnung fühle; daß sie in Wahrheit beide aus Unerfahrenheit und weil ihnen keine Mutter zur Seite stände, die hinsichtlich dieses Umstandes Fragen an sie gerichtet hätte, in völliger Unwissenheit über dieses Ereigniß bis zu den ganz neuerlichen Ohnmächten Rosa's gelebt hätten; daß aber Rosa in dieser Nacht, nachdem ihnen seit kaum vier Tagen Bedenken darüber in der Seele aufgestiegen wären, die zitternden Bewegungen eines entstehenden Wesens unter ihrem Herzen zu fühlen geglaubt hätte. Ihre Freude sei zwar, insofern sie nur auf sich und ihre Hoffnungen blickte, eine unaussprechliche gewesen; dennoch hätte sie mit Schmerz daran gedacht, daß dies für mich eine sehr traurige Nachricht und vielleicht ein Beweggrund sein würde, sie beide nicht mehr in meinem Hause zu behalten. Sie flehten mich trotzdem in Gemeinschaft an, weil ihre vollständige Entblößtheit von allen Mitteln sie verhinderte, meinen in dieser Rücksicht sehr gerechten Wünschen zuvor zu kommen, ich möchte sie doch wenigstens bis zur Ankunft der Antworten auf unsere Briefe bei mir behalten, und bei dieser Gelegenheit oder indem sie auch wohl zu ihren Familien zurückkehrten, würden sie mich, noch ehe diese Schwangerschaft offenkundig wäre, von ihrer Gegenwart oder vielmehr ganz von ihnen befreien; sie würden irgend anderswo unterzukommen suchen, wenn sie Zeit gewonnen hätten, ihre Eltern ihr materielles Unglück wissen zu lassen, und von diesen eine Geldunterstützung erhielten, die, so gering sie auch sein möchte, doch für ihre Bedürfnisse hinreichen würde.

Diese Eröffnung, muß ich gestehen, schmetterte mich nieder, denn ich sah sogleich voraus, welchen Stoff diese Schwangerschaft der öffentlichen Schmähsucht liefern würde; sah voraus die Verlegenheiten, die Mißstände, wozu sie in einem Hause ohne Frau unvermeidlich die Veranlassung geben würde; die Verpflichtung, worein ich vielleicht gerathen würde, weil ich mir Schulden auferlegen müßte, um neue Ausgaben bestreiten zu können; endlich das neue Hinderniß und die Erschwerung des Unglücks, worein sie die in ihrer Lage schon so beklagenswerthen jungen Freundinnen stürzen würde. Dennoch, indem ich meine Seele hauptsächlich auf diesen letzten Gesichtspunkt heftete, und außerdem bei der stehenden Eröffnung Gertrudens von Mitleid ergriffen, ließ ich die Erwägung des Zukünftigen im Unbestimmten, bemühte mich sie zu trösten und gab ihr die Versicherung, daß, wenn sie einerseits in Allem, was nicht die Grenzen des Schicklichen und Möglichen überschritte, auf mich rechnen dürften, wir doch andrerseits hoffen müßten, daß uns die Vorsehung auf eine oder die andere Art zu Hülfe käme; daß unterdessen nöthig wäre, Rosa Bekümmernisse und Beängstigungen zu ersparen, und daß ich zu diesem Zwecke sogleich zu ihr kommen würde, um ihr miteins die Absicht anzuzeigen, daß ich für jetzt nichts an ihrem Verbleiben bei mir ändern würde, sowie den Antheil, den ich an der Freude nähme, welche sie die ersten Regungen der Mutterschaft hatten empfinden lassen. Auf diese Worte bezeigte mir Gertrud ihre lebhafte Erkenntlichkeit und führte mich darauf zu ihrer Freundin.

Ich fand Rosa in dem Lehnstuhl sitzend; und ohne sich wie gewöhnlich zu erheben, schien sie unbewegt dem entgegen zu sehen, was ich über ihr Schicksal bestimmt hätte. Ihre Miene, weit entfernt, Scham oder Furcht oder Beunruhigung zu verrathen, athmete im Gegentheil die reinste Freude, und es schien, nachdem sie jetzt auf den Gipfel ihrer Wünsche gelangt war, als ob alles, wenn es ihr nur das Kind nicht raubte, das sie unter ihrem Herzen gefühlt hatte, keine Macht mehr hätte, ihre Seele zu betrüben, oder ihren Muth niederzuschlagen. Da ich sie in solcher Stimmung sah, so gab ich das unnütze Bestreben auf, sie zu beruhigen, und sagte ihr, nachdem ich mich ihr genähert hatte: »Rosa, möge Gott die Frucht Ihres Leibes segnen!« – Hierauf ergriff sie meine Hand, um sie lange auf ihrem Herzen zu halten, ohne übrigens nach Worten zu suchen, sondern wie um sich noch mehr an der Fülle der Glückseligkeit, die sie genoß, zu laben, indem sie meinen Glückwunsch gleichsam in sich sog und mein Wohlwollen in meinen Blicken las. Dann sagte sie endlich mit dem Tone tiefer Dankbarkeit: »O mein Gott! ich trug also diesen Schatz meines Lebens in mir, ohne es zu wissen! und als ich mich von dir verlassen glaubte, hatte deine Güte mir schon diese Begnadigung aufgespart, die glücklichste der Frauen zu werden! ... O mein Vater, o meine Mutter, warum seid ihr in dieser Stunde nicht in diesem Zimmer gegenwärtig, um mir zu Gunsten dieses Kindes zu verzeihen! Ludwig, mein Vielgeliebter, warum zögerst du, zu kommen? denn ist hier nicht das unzerstörliche Siegel der Liebe, die uns vereinigt?« – Während Rosa so sprach, vergoß Gertrud, die sich hinter dem Lehnsessel verbarg, im Stillen reichliche Thränen, als wenn sie ihrer Freundin hätte verhehlen wollen, daß ihre geheimen Ahnungen nicht mit den ihrigen übereinstimmten.


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