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7.

Auch erstaunte ich ausnehmend, als ich eines Sonnabends Abends, kurz nachdem ich meine Gefährtinnen soeben nach Hause zurück gebracht hatte, und indem ich aus ihrem Zimmer herauskam, den Wirth vor mir stehen sah, der mich abgewartet hatte, um mich wissen zu lassen, daß, weil er bisher noch keine Contozahlung auf den ziemlich beträchtlichen Aufwand, den diese Damen machten, erhalten habe, er in Betracht dessen unruhig zu werden anfange, und daß er, insofern ich die einzige Person wäre, an die er sich in dieser Angelegenheit wenden könne, mich bitten wolle, ihnen die Schicklichkeit begreiflich zu machen, sich des Ganzen oder doch wenigstens eines Theils dieser Schuld ohne zu große Verzögerung zu entledigen. Ich erwiederte ihm, daß er sich ohne Grund beunruhige; daß die Lage sowohl dieser Damen als ihrer Familien ihm alles Zutrauen einflößen dürfte, und daß außerdem ich selbst mich dafür verbürgte, daß alle seine Unkosten ihm ungeschmälert wieder erstattet werden würden. Diese Worte schienen mir ihn vollkommen sicher gemacht zu haben, denn er drückte mir alsbald sein Bedauern aus, daß er erst diesen Schritt gethan hätte, sowie den sehr lebhaften Wunsch, ich möchte gefälligst doch ja nichts davon gegen die Damen verlauten lassen. Während der Wirth mit mir sprach, hatte ich bemerkt, daß der junge Herr von neulich, ohne daß er übrigens unserem Gespräch Aufmerksamkeit zu leihen schien, sich doch nichtsdestoweniger nur in solcher Entfernung befand, um etwas davon zu hören.

Als ich nach meiner Wohnung durch die untere Straße zurückging, trat ein Juwelier, mit dem ich von ehedem in Gemeindebeziehungen stand, schnell in seine Thür, sobald er mich ansichtig wurde, und indem er mich bat, in seinen Laden einzutreten, legte er mir zwei schöne goldne Agraffen vor, womit ich wirklich mehrmals die beiden jungen Freundinnen geschmückt gesehen hatte. – »Ich habe sie nach dem Gewichte gekauft«, sagte er zu mir; »Sie kennen aber diese Damen, da man Sie ja dieselben jeden Tag auf die Promenade geleiten sieht. Sie werden mir also sagen können, ob ich unbedacht gehandelt habe, als ich diesen Kauf machte, den ich übrigens sehr bereit bin wieder rückgängig werden zu lassen.«

Ich bezeigte ihm gleich sehr mein Erstaunen wie mein Bedauern, zu erfahren, daß diese Damen genöthigt wären, sich so ihrer Kostbarkeiten zu entäußern, und indem ich ihn bat, so gut zu sein, und diese Agraffen noch einige Tage zu behalten, zum wenigsten bis zur Ankunft des Grafen, dessen Ausbleiben ohne Zweifel der Grund dieser augenblicklichen Verlegenheit wäre, ermahnte ich ihn, einen Umstand nicht ruchbar werden zu lassen, der zwei jungen, übrigens aber der Theilnahme und der Achtung würdigen Personen beleidigende oder ungünstige Vorurtheile zuziehen möchte. Er versprach es mir, ohne mir jedoch zu verbergen, daß er seines Theils nicht sehr an die Tugend dieser jungen Personen glaube, und noch weniger an die Wirklichkeit dieses so lange Zeit erwarteten und stets unsichtbaren Grafen. Dieses Stachelwort machte auf mich einen peinlichen Eindruck, nicht weil ich an der Wirklichkeit des Herrn Grafen gezweifelt hätte, sondern weil ich, unfähig, den unwiderleglichen Beweis dafür zu führen, eine junge Frau und ihre Freundin auf solche Art allerlei gefährlichen Verleumdungen, welche eine ungewisse Stellung und eine zweideutige Lage glaublich machen, ausgesetzt sah.

In meiner Wohnung angekommen, fand ich einen Brief vor, den ein Mensch soeben abgegeben hatte. Dieser Brief, den ich sogleich öffnete, hatte keine Unterschrift, doch ließ sich der Schreiber desselben absichtlich errathen. Er lautete:

»Herr Prediger!

Sie sollten jetzt begreifen, wer Ihre Schützlinge sind, und daß etwas Kluges in meinen Worten lag, als ich Sie neulich, indem ich Ihnen rieth, sich um Ihre eigne Heerde zu bekümmern, verblümterweise vor der Beschämung retten wollte, sich von zwei Kreaturen hintergangen zu fühlen, die ich selbst zu besuchen aufgehört habe, nachdem ich in Erfahrung gebracht, welcher Art sie sind, und was ihr Anschein von Reichthum zu bedeuten hat. Hören Sie also auf, Ihre weißen Haare bloßzustellen, und lernen Sie die Demuth, zu glauben, daß in solchen Dingen ein junger, mit der Welt vertrauter Gelbschnabel klarer sieht, als ein Prediger, der nur seine Kirchgemeinde kennt.

Genehmigen Sie meinen eiligen Gruß.«

Dieser Brief, so sehr er mir auch ebenso großen Unwillen als Mißtraun gegen den jungen Mann einflößte, verursachte mir doch eine lebhafte Beängstigung und, wie ich gestehen muß, Zweifel, an denen die Eröffnungen des Wirths, die des Goldschmieds, sowie die Spangen, die er mir gezeigt hatte, sicherlich einigen Antheil hatten. Und da ich zu gestört in mir war, um auf der Stelle einen ruhigen Entschluß zu fassen, so ging ich zuvörderst auf mein Zimmer, wo ich nach einem kurzen Gebet das Evangelium aufschlug und mich daran begab, einige Seiten mit einem lebhaften Gefühl meiner Schwäche zu lesen, und mit einem nicht minder lebhaften Gefühl der Hülfe, der man immer begegnet, wenn man sich über die irdischen Beweggründe und Vorurtheile erhebt, um an jener Quelle aller hehren Gnade und jeder vollkommnen Gabe zu schöpfen. Nach dieser Erbauung empfand ich in der That keine Beschämung mehr darüber, daß ich, wenn dies ja der Fall wäre, meine weißen Haare im Dienst einer ehrenwerthen Absicht und eines selbstsuchtlosen Irrthums hatte bloßstellen können. Ich fand mich bestärkt in dem Gedanken, der außerdem von christlicher Liebe zeugte, daß ich, trotz so großer Ungewißheit, in der ich schwebte, doch größeren Glauben in die Anzeichen von Wohlanständigkeit, die mir Achtung für zwei Personen von noch so zartem Alter eingeflößt hatten, setzen sollte, als in stets zur Verlästerung geneigte und oft sogar sträflich an der Welt betheiligte Aeußerungen; daß ich endlich, setzt man auch voraus, diese beiden jungen Mädchen wären wirklich »Kreaturen«, als Diener eines Herrn, der mit den Zöllnern verkehrte, der Menschen von schlechtem Lebenswandel seine Hand darreichte und die Ehebrecherin wieder aufrichtete, ihnen ganz so meinen Beistand schuldig wäre, als wären sie nur zwei anständige und blos unvorsichtige oder vorübergehend in Bedrängniß befindliche Mädchen. Ich beschloß also, meine Vorsicht zu verdoppeln, ohne von der christlichen Liebe nachzulassen, und nachdem ich noch an demselben Abend meinen Sohn zum Mitwisser aller meiner Besorgnisse und meiner Entschlüsse gemacht hatte, sei es, um seine Meinung zu hören, sei es, daß er gewaffnet wäre gegen das, was ihm etwa zu Ohren käme, und auch, um ihn unvermerkt darauf zu richten, daß er seinen Weg von den sich durchkreuzenden Pfaden dieser Welt trenne, suchte ich mein Lager, wo ich eines friedlichen Schlafes genoß.


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