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30.

Am folgenden Morgen fand ich beim Aufstehn auf meinem Tische zwei goldne Ketten und ein also abgefaßtes Billet vor:

»Lieber Herr Bernier!

Die beiden Ketten, die Sie hier beigefügt finden werden, haben bis jetzt zwischen Gertrud und mir als Sinnbild der Freundschaft gedient, die uns aneinander knüpft. Es ist der gemeinsame Wunsch unserer Herzen, daß sie von nun an das Sinnbild unserer dankbaren Liebe werden, die uns bis zu unserm letzten Seufzer an Sie und Ihren Herrn Sohn binden wird. Erzeigen Sie uns also die Gunst, sie von uns unter diesem Anspruch anzunehmen.

Rosa und Gertrud.«

Ich bedauerte, daß die Damen sich hatten einfallen lassen, meinem Sohn und mir ein Geschenk zu machen; aber ich konnte nicht umhin, über dieses, zwar das Maß überschreitende, aber nichtsdestoweniger aufrichtige Zeugniß, womit sie es begleiteten, sehr ergriffen zu sein. Sogleich begab sich mein Sohn zu ihnen, um ihnen in meinem und seinem Namen unsere Gefühle der Dankbarkeit zu bezeigen. Als er bei ihnen ankam, fand er, daß sie ihre Koffer schon nach dem Hotel hatten bringen lassen, und daß sie selbst, nachdem sie ihre Schuld bei den Millers abgetragen hatten, damit beschäftigt waren, einige kleine Geschenke an die Kinder zu vertheilen und der Mutter derselben einige Kleidungsstücke zu vermachen. Worauf sie sich von ihren Wirthen verabschiedeten und meinen Sohn baten, sie zuerst gefälligst zu mir zu geleiten, um mir ihr Lebewohl zu sagen, und dann dieser Gunst noch die hinzuzufügen, sie nach dem Gasthaus zur Wage zu führen ... Ich erhielt also sogleich ihren Besuch. Sie waren, wie natürlich, von Freude erfüllt und strahlten von Heiterkeit bis auf den Augenblick, wo wir uns trennen mußten. Da stürzten ihnen die Thränen herab. Nachdem ich ihnen noch meinen Rath ertheilt hatte, küßte ich sie zärtlich, und sie gingen mit meinem Sohne hinweg.

Als sie fort waren, mußte auch ich der Rührung nachgeben. Ohne Zweifel, denn ich gewahre es jeden Tag mehr, benehmen uns die Jahre des höheren Alters bei Gemüthsbewegungen, die wir erfahren, die Herrschaft, uns der Thränen zu enthalten; aber ebenso unzweifelhaft knüpfen uns Dienste an diejenigen enger, denen wir solche erwiesen haben. Das Unglück derer, bei denen es Besserung bewirkt, erweckt mit Recht unsere Theilnahme für sie; die Anhänglichkeit und die Liebkosungen unbefangener Herzen werden zur süßen Gewohnheit; und zu allen diesen Ursachen kam noch jene schmerzliche Leere, die mich immer heimsucht, wenn ich diejenigen meiner Beichtkinder verliere, die mir zugleich Sorge und Befriedigung, Unruhe und gerechte Hoffnung gewährt haben. Ich schlug das Evangelium auf, und nachdem ich mich durch einiges Lesen darin gestärkt hatte, richtete ich zu Gott die inbrünstige Bitte, daß er die beiden jungen Freundinnen, die ich soeben wahrscheinlich zum letztenmal im Leben gesehn hatte, in seinen Schutz und unter seine besondre Obhut nehmen möchte.


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