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14.

In der That ging ich am andern Tage aus, um den Damen meinen Besuch abzustatten, und da die Frau Miller es war, die mir die Thür der Wohnung öffnete, so ließ ich mich mit ihr, ehe ich mich anmelden ließ, noch in einiges Gespräch ein. Diese Frau sagte mir, daß sie von der Wohlanständigkeit ihrer beiden Kostgängerinnen und von der Stille ihrer Lebensweise sehr befriedigt wäre; daß seit ihrem Eintritt in das Haus nichts verändert schiene, so wenig Umstände verursachten sie; daß sie alle Morgen ihr jüngstes Kind zu sich kommen ließen, um es ein wenig im Lesen zu unterrichten, und daß sie selbst, als sie etwas unpäßlich gewesen sei, sich der liebreichen Behandlung dieser Damen zu rühmen gehabt hätte. »Nur verbrauchen sie«, fügte sie hinzu, »viel Linnenzeug, Wasser im Uebermaß für eine übertriebene Reinlichkeit, und mein Mann und ich glauben, daß sie seit ihrer Ankunft hier noch nicht ihre Betten berührt haben, was uns peinlich ist, mein Herr Prediger, da sie in gutem Zustande sind und wir sie hierin auf's Beste zufrieden zu stellen gesucht haben.« – Hinsichtlich des letzten Punktes gab ich der Frau Miller zu verstehen, daß sie sich nicht im geringsten darüber zu betrüben hätte; daß mir die Damen hätten sagen lassen, sie fänden sich zu ihrer vollkommnen Befriedigung logirt, und es beruhe Alles darauf, nicht ob man so oder so handle, sondern daß man sich ineinander finde, wenn man unter Einem Dache wohnt. Hierauf, nachdem ich abermals eingeschärft hatte, daß man Niemanden, außer meinen Sohn und mich, zu den Damen einlasse, unter welchem Vorwand es auch wäre, ließ ich diese bitten, mich zu empfangen.

Kaum war diese Bitte gethan worden, so fühlte ich die beiden Freundinnen in meinen Armen, so daß ich, stark und voll, wie ich bin, ein wenig Mühe hatte, nach beiden Seiten zugleich die Lebhaftigkeit ihrer Liebkosungen zu erwiedern. Sie zogen mich in ihr Zimmer, und nachdem sie mich daselbst auf einen großen, alten, gepolsterten Lehnsessel, der, wie sie sagten, ihr Ehrenthron war, hatten niedersitzen lassen, baten sie mich, noch ehe ich mich ganz darin zurecht gerückt hatte, recht, recht lange bei ihnen zu bleiben. Von vorn herein sah ich mit Vergnügen, daß sie die Kleider an hatten, von denen mir mein Sohn gesprochen, und fand, daß dieser ungewohnte Anzug ihnen nichts von der Anmuth ihrer Gestalten und von den Vorzügen ihrer Personen benahm. Ihre Haare ergossen sich in mindern Locken, und dies ließ mich einige Magerkeit in ihren Gesichtern entdecken, die ich außerdem ein wenig durch Blässe und durch Spuren von Mattigkeit verändert fand. Und als ich sie fragte, ob sie die Nächte gut schliefen, so versicherten sie mich, ja, obgleich sie mir sogleich darauf gestanden, daß sie, die erste Nacht ausgenommen, wo es ihnen wenig möglich gewesen wäre, in ihren Betten zu schlafen, in allen übrigen als Aushülfe den Lehnsessel und die Anpassung einiger Möbel benutzt hätten. Ich bemühte mich, sie zu überreden, daß es doch besser wäre, die Empfindlichkeit zu überwinden und einige Unbequemlichkeiten zu ertragen, als in dieser Weise fortzufahren; aber ohne diesen Punkt zu bestreiten, versprachen sie mir doch auch nicht, meinem guten Rathe zu folgen.

Nun fing ich von dem Gegenstand an, der mir am Herzen lag. »Keine Briefe, meine theuren Kinder?« fragte ich sie. – »Keine, keine, niemals!« gab die Verheiratete zur Antwort, indem sie plötzlich traurig wurde; »auch nimmt meine Besorgniß wegen Ludwig (dies war der Vorname des Grafen) täglich zu, und ich bin sehr unglücklich!« – Darauf ergriff sie der Schmerz und ihre Thränen flossen. – »Nun wohlan«, erwiederte ich, »Sie müssen um jeden Preis aus dieser Lage herauskommen, und noch heute werden Sie selbst, oder ich, wenn Ihnen dies genehmer ist, an Ihre Familien schreiben, damit diese Sie sobald als möglich zu sich kommen lassen. Befinden Sie sich einmal wieder im Schoße der Ihrigen, so wird Sie der Herr Graf dort eben so gut erreichen als hier, und andrerseits und weit eher können Sie dort sichere und fast unmittelbare Nachrichten erhalten.« – Bei diesem Vorschlag errötheten die beiden Freundinnen, und ihre Haltung verrieth ihre große Verlegenheit. Endlich sagte die Vermählte schüchtern: »Das ist unmöglich!« – »Nicht möglich! ... nicht möglich! sagen Sie?« – »Nein, Herr Bernier, das ist nicht möglich. Unsere Stütze, unsere Rettung, unser Glück, unsere Zukunft beruht einzig und allein auf Ludwig, meinem Gatten. Was unsere Familien anbetrifft, so haben wir nichts von ihnen zu erwarten!« –

»Ach, Unglückselige!« rief ich aus, indem ich mich mit einer Geberde des Vorwurfs, des Schreckens und des Mitleids zugleich erhob: »wie! der Zweig hat sich von seinem Stamme getrennt, die Blume hat sich von ihrem Stiel abgelöst? Ich habe es mit strafbaren weiblichen Wesen zu thun? Ich beschütze solche, die ihre vornehmlichsten Beschützer, welche Gott ihnen zuerkannt hat, verleugnet haben? Ich unterstütze, was man um jeden Preis verhindern, verbannen, verwünschen sollte, die Auflehnung des Kindes gegen die Eltern, den der heiligsten der Pflichten, dem heiligsten der Gebote angethanen Schimpf! Arme Kinder, was also habt ihr zu thun gewagt, und wie ist es möglich, daß ich verbrecherischen Handlungen, wie die euren, meine Dienste und euch meine Liebe widmen kann?« ... Nach diesen Worten fiel ich, von meiner eignen Beängstigung überwältigt, in den Lehnstuhl zurück, während beide junge Damen, zugleich von Schreck und Verzweiflung ergriffen, sich, jede in ihrer Art, stillschweigendem Ergusse ihres Schmerzes überließen.

Einige Augenblicke nachher fragte ich: »Was bedeutet das nun, was Sie mir einst sagten, daß diese Ehe zu Delmenhorst eingesegnet worden wäre an dem nämlichen Tage, an welchem Sie Ihre Familien verließen?« – »Das ist wahr«, erwiederten alle beide wie aus Einem Munde; »das ist wahr, Herr Bernier!« – »Diese Heirat ist also mit Bewilligung der Ihrigen geschehen, Rosa?« (so hieß die Verheiratete) ... Sie schwiegen. – »Ach, ihr Unglücklichen!« rief ich abermals aus, »und möge Gott selbst euch hinfüro in seinen Schutz nehmen, da ich erkenne, daß ich euch den meinigen, so gering er auch ist, doch entziehen muß!« ... Hierauf umfaßten sie mich, und meine Hände ergreifend, als wollten sie mich bei sich zurückhalten, überströmten sie sie mit Thränen und bedeckten sie mit Küssen. Aber ich empfand wenig Mitleid dabei. »Ach, Rosa! ach, Gertrud!« fuhr ich fort, »also auch über diesen Punkt, und nachdem ich euch ausgescholten, weil ihr mir eure Entblößung von Gelde verborgen, habt ihr mich in grobem Irrthum gehalten, und führtet mich, der ich euch wegen eurer Offenherzigkeit liebte, durch eure Verstellung hinter's Licht! Schmach über junge Töchter, die, nachdem sie die Ihrigen hintergangen haben, auch noch so weit gehn, den bejahrten Freund, den ihnen die Vorsehung sendet, zu täuschen, und die sich seiner als eines abgetragenen Mantels bedienen, um damit ihre Schande zu bedecken!« – Hier mußte ich einhalten; denn vom Schluchzen war Rosa in Schmerzensschreie, und nach diesen in Ohnmacht gefallen und sank, erstarrt, empfindungslos und bedeckt mit Todtenblässe, hin. Während ich sie mit meinem Körper unterstützt hielt, eilte Gertrud in die Küche, um Essig herbeizuholen; Madame Miller kam herbei, und Rosa erhielt nach einigen Minuten das Bewußtsein wieder. Doch der Auftritt hatte sogar die Kinder aus dem Hause herbeigezogen, und als ich sie bitten mußte, aus dem Zimmer zu gehn, sah ich ihren Mienen Wohl an, daß sie schwer reinen Mund halten würden über die Scene, von der sie soeben Zeugen gewesen waren.

»Ja«, erwiederte Rosa, als sie wieder zu sich gekommen war, »ja, Herr Bernier, wir haben es an der Achtung fehlen lassen, die wir Ihren weißen Haaren schuldig sind. Aber wenn Sie uns dieses Unrecht als ein vorsätzliches anrechnen, anstatt es unserer Scheu oder unserer Lage zuzuschreiben, dann sind Sie ungerecht gegen uns, und Ihr Vorwurf ist sehr grausam ... Wenn wir Ihnen auch nicht Alles gesagt haben, so haben wir Sie, ich schwöre es Ihnen, doch niemals hintergangen; ja, ich wage es zu sagen: wir haben uns selbst niemals verabredet, Ihnen etwas zu verhehlen, und wenn immer Sie auch dieselben Aeußerungen oder dieselben Fragen an uns gerichtet hätten, so würden Sie stets dieselben Aufklärungen und dieselben Antworten erhalten haben. Verlassen Sie uns also nicht in diesem so großen Unglück, in dieser hülflosen Verlassenheit, und während wir jenen abscheulichen Menschen preisgegeben sind, denen es schon gelungen ist, unsern bisher tadellosen Wandel zu beflecken!« – Thränen verhinderten sie abermals, fortzufahren, und Gertrud richtete an ihrer Stelle flehentliche Bitten in demselben Tone an mich, die noch rührender und dringender waren. – »Haben Sie Nachsicht, bester Herr Bernier«, fügte sie hinzu, »mit zwei weit mehr unerfahrenen als strafbaren Wesen, und da diese sich Ihren gerechten Zorn durch Verschweigungen, welche, das schwöre auch ich Ihnen, niemals beabsichtigt waren, auf sich geladen haben: so haben Sie die Güte, jetzt deren ganze Geschichte anzuhören, damit man nicht sagen kann, daß sie auch nur eine einzige ihrer Handlungen, noch ein einziges ihrer Gefühle einem so gütigen und so ehrwürdigen Freunde verborgen haben, als Sie uns gewesen sind und uns gewiß noch bleiben werden: ich flehe, ich beschwöre Sie darum!« – Hierbei wollte sie sich vor mir auf die Kniee niederwerfen, aber ich hielt sie davon zurück, und da ich beide in einem Zustande sah, den ich nicht länger dauern lassen durfte, wenn ich vermeiden wollte, daß sie in eine ähnliche Verzweiflung, wie kurz vorher, zurück verfielen, so sagte ich zu ihnen: »Für heute sei es genug. Ja, meine Kinder, ich werde euch anhören, ich werde euch behülflich sein, ich werde euch nach meinen Kräften beschützen, und ich nehme das wenig christliche Wort zurück, welches mir der erste Eindruck eures sehr großen Fehls abpreßte. Für jetzt sucht euch zu beruhigen; leset mit Andacht etwas in den Büchern, die ich euch geliehen habe; ändert nichts in euren Gewohnheiten und eurer Lebensweise bei den Millers hier; und sobald ich von Geschäften frei bin, werde ich euch wieder besuchen, euch anhören und euch rathen. Lebt wohl!« – Hierauf drückte jede von ihnen einen Kuß auf meine Hand, und ich verließ sie grade in dem Augenblick, als mein Sohn, traurig gestimmt über seine Botschaft, kam, um ihnen zu sagen, daß er wieder keinen Brief auf der Post erhalten habe.

Als ich aus ihrem Zimmer getreten war, fand ich die Frau Miller, die auf mich wartete, um mich über das zu befragen, was vorgegangen wäre. Es war mir, wie man sich denken kann, unmöglich, ihr das mitzutheilen, was mir die Damen eingestanden hatten; auch war ich zu sehr verlegen; denn selbst da, wo sie geboten ist, widersteht uns die Nothlüge, wie eine Befleckung. Ich bediente mich also vielmehr unbestimmter Ausdrücke, als eigentlicher Lügen, um ihr zu verstehen zu geben, daß Familienzwistigkeiten und eine getäuschte Erwartung die Ursache der Betrübniß der Damen gewesen wären. Aber ich wurde recht wohl gewahr, daß mein Verschweigen einige Unzufriedenheit bei ihr erregte, und ihre Eigenliebe durch mein Rückhalten verletzt wurde. – »Nun, meinetwegen«, sagte sie, »und der Herr Prediger haben sicherlich Ihre Gründe, verschwiegen zu sein. Aber man darf wohl hoffen, daß dergleichen Auftritte sich nicht oft erneuern, denn sonst könnten, wenn man die Ursachen nicht weiß, und da ich, wie Jedermann, dem Leumund des Viertels unterworfen bin, Gerüchte umlaufen, die uns nachtheilig sein würden.« – »Madam Miller«, sagte ich zu ihr, »es liegt ganz in unserer Macht, dergleichen Gerüchte der Zügellosigkeit des Geschwätzes zu entziehen, und in dieser Rücksicht empfehle ich Ihnen, das Ihrer Kinder besonders im Zaume zu halten, weil der Zufall sie dahin geführt hat, wo sie sich besser nicht befunden hätten. Glauben Sie mir, daß, wenn ich genöthigt bin, gegen Sie, die ich als eine tüchtige und fromme Frau kenne, verschwiegen zu sein, Sie und die Ihrigen noch weit mehr nöthig haben, es gegen die zu sein, die weniger werth sind als Sie. Und so baue ich denn auf Ihre Verschwiegenheit, und sage Ihnen Lebewohl, meine gute Frau Miller.« –


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