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19.

Indeß hatte die Täuschung, die Rosa seit dem gestrigen Tage erfahren mußte, sie in eine große Trostlosigkeit zurückgeschleudert, so daß ich, als ich mich am andern Morgen bei ihr einfand, sie durch ein hitziges Fieber so geschwächt antraf, daß ich aus menschlichem Mitgefühl meinen Besuch abkürzen mußte. Ueberdies, da die Heftigkeit des Uebels sie genöthigt hatte, sich ganz angekleidet auf ihr Bett hinzustrecken, so schämte sie sich, daß ich sie in dieser Lage angetroffen hatte, und ich beeilte mich, sie von dem Mißgefühl der Beschwerlichkeit meiner Gegenwart zu befreien. Indeß nahm Gertrud den Augenblick wahr, mich hinaus zu begleiten, um einige Thränen fließen zu lassen, deren Anblick sie ihrer Freundin verbergen wollte, und sie sagte mir, daß, als sie in dieser Nacht die Ohnmachten bei Rosa so oft habe auf einander folgen sehen, ihr zum erstenmal die Möglichkeit, sie zu verlieren, in den Sinn gekommen sei, so wie die, selbst vor Schmerz zu sterben, nachdem sie ihr die Augen zugedrückt hätte.

Indem ich sie verließ, ging ich, um meine Kirchspielbesuche abzumachen, und da mein Beruf mich verpflichtet, sogar in die verrufensten Orte einzutreten, so war der Gedanke, meinen armen Schützlingen irgendwie nützlich zu sein, Ursache, daß ich an der Thür jener schlechten Frauensperson die Klingel zog. Als ich geklingelt hatte, ließ sich einiges Geräusch in ihrem Zimmer vernehmen, und bald darauf öffnete sie selbst mir die Thüre. – »Darf ich eintreten?« fragte ich sie. – »Warum denn nicht, Herr Prediger?« antwortete sie; worauf sie mich in ein Zimmer führte, aus welchem sie sogleich wieder hinausging, indem sie mich bat, einen Augenblick zu warten. Ein unsauberer Geruch war in diesem widerwärtigen Aufenthalt verbreitet, wo man auf unreinlichen Möbeln, hier leere Flaschen, dort durchlöcherte Strümpfe umherliegen und daneben wieder auf einem Halter einen Hut nach der neuesten Mode und mit Blumen verziert sah. – Uebrigens keine Spur von Ordnung, von Sorgfalt, von Beschäftigung, von häuslichem Leben, und die Abwesenheit jedes anständigen und tröstlichen Eindrucks um mich her war eine solche, daß ich nach einigen, unter diesem Warten zugebrachten Augenblicken einen Schauder empfand, welcher an eine Art von Schrecken grenzte. Gepriesen seist du, o mein Gott, rief ich bei mir aus, daß du deinem Diener zur Seite stehst, denn hier ist es nur deine Rechte, die mich zurückhält, und deine Gegenwart, die mich zu fliehen hindert.

Das Frauenzimmer trat wieder ein. »Ich brauche nur dieses Zimmer anzusehn«, sagte ich zu ihr, »so errathe ich, Marie, daß du noch immer in derselben ungeregelten Weise lebst, schmausend, trinkend, deinen Körper der Unsittlichkeit und deine Seele den Flammen Gehenna's überliefernd!« – »Ich treibe nur mein Handwerk«, erwiederte sie, »wie Sie das Ihrige; in dieser Welt muß Jeder sich aus der Noth zu ziehn suchen, so gut er kann.« – »Ein Jeder, Marie, soll vielmehr der Gerechtigkeit und der Mäßigkeit nachleben, damit er am großen Tage des Gerichts verschont bleibe. Aber ferner, warum willst du dich noch mit freiwilligen Sünden belasten, und warum verabredetest du dich neulich mit jenem Elenden, der sich deiner zu seinen Ränken bedienen will? Wisse, Tochter der Verdammniß, daß, wenn du auch nicht den Zorn des Höchsten fürchtest, du wenigstens – verzeihe mir, großer Gott, die Lästerung, die in dieser Vergleichung liegt – die Strenge der Polizei fürchten solltest!« ... Ich hatte kaum diese Worte ausgesprochen, als drei Männer tobend aus dem anstoßenden Gemache herausstürzten, über mich herfielen und mich beim Kragen faßten, indem sie schreckliche Drohungen von Mord und Tod ausstießen, wenn ich wagen sollte, Marie anzugeben oder nur im geringsten ihre eigenen Vorhaben zu kreuzen. Da ich jetzt viel minder Furcht empfand, als da ich mich vor wenig Minuten in diesem Zimmer allein gesehn hatte, so sagte ich ruhig, indem ich mich an einen von ihnen wandte, den ich einst im Religionsunterricht gehabt und dessen Familie ich Hülfe geleistet hatte: »Und auch du, Peter, bedrohst deinen Beichtvater?« – Durch diese Worte plötzlich außer Fassung gebracht, nahm er erst seinen Hut ab, und dann, fast auf der Stelle seine Wuth gegen seine beiden Genossen kehrend, schrie er, indem er ein Messer, welches auf dem Tische lag, ergriff: »Ihr habt mir nicht gesagt, daß es sich um diesen Prediger hier handelte! Wagt nicht, ihn anzurühren, oder ich richte ein Unglück an!« – »Peter«, sagte ich zu ihm, »gib mir das Messer her und erweise mir dann den Liebesdienst, dich zu entfernen.« – »Dann gehen Sie nur zuerst fort, Herr Prediger; gehen Sie fort, rathe ich Ihnen. Diese werden Ihnen nichts thun, aber wir sind nicht allein hier.« – »Ich weiß es«, antwortete ich: »ihr seid alle drei bezahlt und angetrieben von einem Herrn, der sich im anstoßenden Zimmer befindet; aber fürchte nicht, daß dieser Herr mich anrühre, noch auch sich nur zeigen werde.« Als mich die beiden andern Männer so reden hörten, machten sie sich eiligst davon; Peter folgte ihnen, und ich befand mich wieder Marien gegenüber.

»Mein Kind«, sagte ich zu ihr, »so verderbt du auch bist, und weil du es bist, würde ich dir einiges Gute erwiesen haben, wie es mir die Pflicht gebietet; aber gestehe, daß du meine gute Absicht schlecht vergolten hast, und bemühe dich, ein wenig von jener Scham wiederzugewinnen, die du seit so lange verloren hast in Folge der Verhärtung durch die Schamlosigkeit des Lasters und durch die Verspottung der Religion. Ich weiß, daß du eine von denen bist, die sich preisgeben, aber ich weiß noch nicht, ob du schon auf dem Wege bist, wo ihr von Stufe zu Stufe bis zum Grunde jener Kerker hinabsteigt, die, wie du weißt, sich nicht weit von hier befinden. Nun, da ich dir nicht behülflich sein kann, zu Gott zurückzukehren, so werde ich zum Ersatze vielleicht im Stande sein, dir durch mein Zeugniß in diese finstren Löcher hinabsteigen zu helfen, und werde so wenigstens der menschlichen Gesellschaft einen Dienst erweisen, gegen welche du dich im Einverständnisse mit jenem schlechten Menschen, der da drinnen ist, verschwörst. Das ist, was ich dir sagen wollte. Jetzt kehre zu ihm zurück, und ich werde an meine Geschäfte gehen.«


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