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59.

Am Morgen des andern Tages, als ich, wie gewöhnlich, bei Gertruden eingetreten war, welche ihr auf das Zimmer beschränktes Leben fortsetzte, fand ich sie damit beschäftigt, die Kleider und alle kleinen Gegenstände, die das Eigenthum Rosa's seit ihrem Einzug bei mir gewesen waren, von den ihrigen zu sondern und so deren Erhaltung zu sichern. Doch unterbrach sie sich sogleich in diesem Geschäft, um mir den Entwurf eines Briefes vorzulegen, den sie an ihre Eltern zu richten beabsichtigte, ob ich den Inhalt desselben billige. In diesem Briefe sprach Gertrud, nachdem sie die Prüfungen und den ergreifenden Tod ihrer Freundin erzählt hatte, von den Diensten, die ich ihr erwiesen, und dem Wohlwollen, das ich derselben bezeigt hätte; wornach sie auf ihre persönliche Lage und die Schicklichkeit kam, welche es erfordern möchte, daß sie noch einige Monate in der Verschollenheit eines sichern Zufluchtsortes zubrächte, anstatt, wenn sie sogleich nach Bremen zurückkehrte, sich dort der Gefahr auszusetzen, daß sie ein Gegenstand von Bemerkungen würde, die der Familie Verlegenheiten zuziehen und vielleicht sogar der Versorgung der Schwestern hinderlich sein könnten, und bat ihre Eltern ehrerbietig um die Erlaubniß, daß sie bis zum künftigen Sommer noch unter meinem Dache und in meinem Schutze verweilen dürfe. Dann würde, fügte sie hinzu, die in ihrer Frische gedämpfte Erinnerung an ihre theure Rosa ihr überdies mehr Freiheit gönnen, um sich den notwendigen Bedingungen ihrer neuen Lage anzubequemen und um ihre Pflichten, so schwer oder erfolglos sie auch sein möchten, gewissenhaft zu erfüllen. Endlich schloß sie damit, daß sie sagte, dieser Plan habe meine Billigung.

Noch beunruhigt durch die Eröffnung, die mir mein Sohn am Tage vorher gemacht hatte, und außerdem befürchtend, daß, wenn ich diesem Briefe meine Billigung ertheilte, es später scheinen möchte, als sei ich der wenig zartfühlende Mitbetheiligte bei Andreas Plänen gewesen, weil ich dadurch selbst und zwar auf eine versteckte Weise die Ausführung derselben unterstützt hätte, ohne mich vorher in irgend einer Art der Genehmigung der Eltern Gertrudens versichert zu haben, befand ich mich in der harten Nothwendigkeit, dieser zu erklären, daß es mir unmöglich sei, diesem Briefe meine Beistimmung zu geben. Sie sah mich hierauf mit einem aus Beängstigung, Furcht und Zweifel gemischten Staunen an, und da es in der That unmöglich war, daß ich ihr die Ursache gestand, die mich bewog, so zu sprechen, wie ich es soeben gethan, so setzte sie sich, weil sie mich zugleich standhaft und verlegen sah, in den Kopf, daß ich mich wohl verschworen habe, sie auf's eheste zu ihren Eltern zurückzuschicken. – »Wenn auch Sie mich verlassen«, sagte sie, sich in Thränen ergießend, »und wenn ich Ihnen zur Last geworden bin, was soll dann aus mir werden? Wenn ich mir erlaubt habe, so zu schreiben, so ist dies geschehen, weil Ihre Güte mir dazu das Recht zu geben schien; oder sagen Sie mir dann, mein theurer Herr Bernier, ich beschwöre Sie, was Ihre Gesinnungen gegen mich so hat verändern können?« – Ich versicherte ihr, daß meine Gesinnungen gegen sie niemals freundschaftlicher und ergebner gewesen waren, als grade in diesem Augenblicke, daß das Verkennen derselben, wie es eben von ihrer Seite stattfände, mir die größte Betrübniß verursachte, und daß ich sie obendrein noch bäte, hinreichendes Vertrauen in mich zu setzen, weil sie gewiß sein könnte, daß, wenn ich es nicht über mich gewönne, den Brief zu billigen, dies aus Beweggründen geschähe, die ganz außer allen Zusammenhange stünden mit dem Wunsche, den ich sonst hätte, sie nicht blos bis zum nächsten Sommer bei mir wohnen zu lassen, sondern sie auch niemals von mir scheiden zu sehen.

Nach dieser Erklärung rief Gertrud erschreckt aus: »Sie haben also Beweggründe, die Sie mir verbergen? ... Sollten Sie Briefe von meinen Eltern erhalten haben? Muß ich fürchten, daß man mich unerwartet von Ihrer Seite reißen will?« – Dann überließ sie sich, ohne meine Antwort abzuwarten, Ausbrüchen der Verzweiflung: »Man will mich also von diesen Orten entfernen, den einzigen, welche ich liebe! ich soll von dem einzigen Freunde getrennt werden, von Ihnen, Herr Bernier! Ich bitte Sie«, fuhr sie, sich mir zu Füßen werfend fort, »ich bitte Sie, Herr Bernier, verstoßen Sie nicht eine Unglückliche, die keine Ruhestätte hat als diese hier, keinen Schuh als den Ihrigen, keinen Wunsch als den, wenn nicht in diesem Zimmer, doch wenigstens unter Ihrem Dache, im Bereich Ihres Wohlwollens und derjenigen Orte und Personen, die meine Rosa geliebt hat, zurückgezogen zu leben!« – Ich hatte sie genöthigt aufzustehen, und sagte dann zu ihr: »Ihre Wünsche täuschen Sie, Gertrud, und eine unbedachte Heftigkeit reißt Sie hin. Ich habe keinerlei Mittheilung von Ihren Eltern erhalten, und wenn ich erwarte, daß man Sie abholt, so ist dies in Folge der in dem Briefe Ihres Vaters kundgegebenen Absicht, und weil es mir scheint, daß die Nachricht von dem Tode Rosa's ihn in dieser Absicht habe bestärken müssen. Wie würden Sie nun, mein Kind, in einer ähnlichen Lage wünschen wollen, daß ich mich, sei es in der Ferne oder Nähe, zum Mitschuldigen in irgend einer Art Ihrer Ununterwürfigkeit rücksichtlich seiner Befehle oder Wünsche machen sollte? Sie müssen einsehen, daß dies unmöglich ist, und daher rührt mein Widerstand, Ihren Brief zu billigen. Lassen Sie uns zum wenigsten einige Tage warten, und in dem Fall, daß keine neue Bestimmung Ihrer Eltern ankommt, oder noch mehr, in dem Fall, daß deren Anforderungen nicht so sein sollten, wie ich sie voraussetze: dann sollen Sie erfahren, mein Kind, ob ich Sie stets innig liebe und ob mir daran liegt, daß Sie für immer meine vielgeliebte Tochter bleiben!« – Bei diesen Worten, welche augenblicklich ihre Furcht stillten, warf sich Gertrud in meine Arme, indem sie mich um Verzeihung bat, daß sie sich in Rücksicht meiner so sehr hatte vergessen können, und verschwendete an mich die zärtlichsten Liebkosungen. Ich verließ sie bald, um an meine Geschäfte zu gehen; aber wie gestern, und heute noch mehr, brachte ich dazu nur einen durch Eingenommenheit von Nebengedanken auf das lebhafteste zerstreuten Sinn mit. Ich sah mich in der That zwischen die Eröffnung meines Sohnes, die flehentlichen Bitten Gertrudens und die geheiligten Rechte ihrer Eltern gestellt, wenn nicht irgend Jemand von der Familie nächster Tage ankam, um sie uns schleunigst zu entführen, und ich mir dadurch wiederum für immer einen Wunsch vereitelt sah, dem ich schon zu viel Raum in meinem Herzen zugestanden hatte.


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