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37.

Ich hatte nun im Ueberflusse Aufklärung über die Moralität des Barons und über die Natur seines Auftrags. Zwei Punkte nur blieben noch zu erfahren übrig, nämlich der Antheil, den der junge Herr an diesem Unternehmen hatte, und jener anscheinend von der Hand des Grafen geschriebene Brief; der erstere in Schatten gehüllt, der zweite in ein tiefes Geheimnis; eingeschleiert. So begab ich mich denn, als ich meine Gänge abgemacht hatte, und ohne auf den Widerwillen zu achten, der mich dem Vorsatz abwendig machen wollte, nach dem Gefängniß, um daselbst ein Gespräch mit Marie zu halten und auf diese Art, sei es durch ihre Verräthereien oder ihre Unvorsichtigkeit, sei es durch den Ausbruch ihres Zorns, Aufklärungen von ihr zu erlangen, die mir bei dem Bestreben, welches ich mir vorgesetzt hatte, um Rosa und Gertrud, bis sie wieder unter dem Schutze des Grafen oder ihrer Familien wären, vor Unheil zu bewahren, von Nutzen werden konnten. Da die Marie zu meinen Beichtkindern gehörte, so erhielt ich ohne Schwierigkeit die Erlaubniß, mit ihr zu sprechen, so daß ein Gefangenwärter sich sogleich in Bewegung setzte, mir zu öffnen, und dann hinter mir die mit eisernen Riegeln versehenen Thüren, welche zuerst von der Straße absperren, dann die Verwaltungslokale, die inneren Abteilungen des Gefängnisses, zu verschließen. Obwohl sie nur einfach angeklagt war, so hatte man die Marie doch, in Betracht ihres Gewerbes, in die Abtheilung der Frauenzimmer von schlechtem Lebenswandel verurtheilt, und dort fand ich sie mit einem Dutzend theils jüngeren, theils älteren Kreaturen, die alle auf ihrem Gesicht, in ihren Reden, ihren Geberden und Stellungen die abstoßenden Zeichen des schamlosen Lasters trugen. Sobald man hinter mir die Pforte des Gefängnißhofes abgeschlossen hatte und mich diese Frauenzimmer so ihrer Willkür überliefert sahen, beeilten sie sich, hierzu durch Marie angereizt, mich mit Spöttereien zu necken, bis sie mich, als die eine ausrief: Er soll tanzen! sogar bei den Händen ergriffen und mich mit sich fortzuziehn versuchten, – »Was das anbetrifft, liebe Kinder, nein, das geht nicht, und ihr wißt wohl, daß mir das schlecht gelingen würde.« – Hierauf bildeten sie einen Kreis um mich und begannen sich mit immer steigender Schnelligkeit zu drehen, indem sie kreischendes Geschrei unter cynischem Gelächter ausstießen; worauf sie, triefend von Schweiß, inne hielten; und, als wenn ich nicht zugegen wäre, setzten sich einige zerstreut hier und da auf die Fliesen hin; die andern, einzig damit beschäftigt, sich abzukühlen, nahmen ihre Mützen ab, um sich damit Luft zuzufächeln, oder lösten die Tücher, die ihre Brust verhüllten.

Als ich sie so von Müdigkeit erschöpft sah, sagte ich zu Marie: »Mit dir wollte ich sprechen.« – »Nun gut, so sprecht, mein lieber Herr Prediger«, antwortete sie, »und gesteht zu, daß wenigstens diesesmal Satan der Stärkere gewesen ist, da Sie die beiden armen Würmer nicht gegen ihn haben vertheidigen können.« – Dann sich zu ihren Genossinnen wendend, gab sie ihnen in Ausdrücken, die zu cynisch waren, als daß ich sie wiederzugeben wage, die Erzählung dessen zum Besten, was sich bis zu dem Augenblick zugetragen hatte, da der Baron, endlich Rosa's und Gertrudens Herr geworden, in einer Postkutsche Genf verließ. Beim Anhören dieser Kriegslisten, deren Frechheit ihrer Genossin den Sieg verschafft hatte, jauchzten diese Unglücklichen alle miteinander auf, und ich sah dem Augenblick entgegen, wo sie, von dieser Aufregung einer infernalen Prahlerei hingerissen, wieder ihren Rundetanz beginnen und durch verdoppelte unzüchtige Ausgelassenheit diesen vorgeblichen Triumph des Lasters über die Keuschheit feiern würden.

Ich war durch die Erzählung Mariens vollkommen befriedigt worden über den Hauptantheil, den der junge Herr an der Kriegslist des Barons gehabt hatte, und da ich wahrnahm, daß sie selbst an den unfehlbar geglückten Ausgang derselben glaubte, hütete ich mich, der übrigen Enthüllungen wegen, die ich noch von ihr zu erlangen hoffte, wohl, sie aus diesem Irrthum zu ziehen. – »Du kannst oder willst mir also nicht behülflich sein, Marie, diese guten Kinder zu retten?« fing ich von neuem an, als die Andern mit ihren lärmenden Ausrufungen aufgehört hatten. – »Was das anbelangt, nein, lieber Herr Prediger, und übrigens ist es auch schon zu spät. Aber wenn ich Ihnen den Baron selbst in die Hände liefern könnte, damit Sie ihn hier an meine Stelle setzen ließen, so sollte das, meiner Treu, von Herzen gerne geschehen!« Dann sich wiederum zu ihren Genossinnen wendend, sagte sie: »Denn gibt's wohl zum Beispiel etwas Spaßhafteres. Stellt euch einen Erzschelmen vor, der zu mir sagt: Du sollst die Baronin machen; geh und putze dich heraus, ich werde Alles bezahlen. Und dann, als ich ihm die beiden Täubchen überliefert habe, geht er auf und davon, ohne auch nur einen Heller für meinen Aufwand bezahlt zu haben! ... Gestern nun, als ich ganz ruhig auf öffentlicher Promenade einhergehe, siehe da, kommt ein Gensd'arm und bittet mich, ihm in meine Wohnung zu folgen. Da läßt man mich die Kleider ausziehen, und sperrt mich hier in dieses Spitzbubenloch, dieses« ... – Hier überließ sich Marie allen Ausbrüchen der Rachewuth, fing an, auf den Kopf des Barons die entehrendsten Benennungen auszuschütten, und übergab ihn dann dem Teufel, der Hölle, dem Gehenna, und endlich, gleichsam im schlimmsten Falle, den sie bei dieser Gelegenheit als Wohlthat annahm, selbst Gott!

Hierbei, welcher Art auch sonst meine Gemüthsbewegung sein mochte, bemühte ich mich, zu lächeln. – »Marie«, sagte ich zu ihr, »deine Worte sind sinnlos. Gewöhnlicherweise bittet man doch nicht seinen grimmigen Feind, daß er uns helfe; auch ist das eine thörichte Gotteslästerung, wenn man, wie du, sein Leben dazu angewandt hat, Gott zu beleidigen, und es dann wagt, solcherweise seine Hülfe anzuflehn, wie du eben gethan hast. Bleibe nur beim Satan, meine Tochter, dem du wirklich mit beharrlichem Eifer gedient hast; aber Satan ist der Gott der Uebelthäter, um sie zu verderben, nicht aber um ihnen zu helfen. Und siehst du denn nicht ein, daß dieser Baron, der noch strafbarer ist, als du, gerade dadurch auch mehr Anspruch darauf zu machen hat, daß ihn der Teufel liebe und beschütze?... Du thust mir leid, Marie; ihr alle, die ihr hier seid, vom Fluch getroffen und euch freiwillig dem ewigen Verderben weihend; euer Anblick durchdringt mich mit Mitleiden. Denn am Ende seid ihr dem Fleische nach doch meine Geschwister; und die himmlische Erbschaft war reich genug, daß wir alle mit einander daran hatten Theil nehmen können! Ihr Unseligen! Es gibt einen Gott, einen so langmüthigen, daß er, anstatt euch niederzuschmettern, euch duldet; so gütig, daß er euch die Hand hinreicht; so barmherzig, daß er eurer Reue noch seine rücksichtslose Verzeihung bietet, und doch ist die tiefe Verblendung eurer entarteten Herzen so groß, daß ihr, anstatt mit aller Eile zu diesem gütigen Vater zurückzukehren, damit er zu euch sage, wie Jesus zu dem Weibe von schlimmem Lebenswandel: Gehe und sündige in Zukunft nicht mehr – den Rest eurer Kraft, eurer Jahre und eures von dem vergifteten Aussatz der Ausschweifung schon ergriffenen Fleisches dazu anwendet, ihn mehr und mehr zu beleidigen, ihn, soweit ihr es vermögt, herabzuwürdigen zum Rang eines Mitschuldigen eurer Schandthaten und zum Vollstrecker eurer Rachegefühle!« ... Und da diese Strafrede von einigen dieser Frauenzimmer beachtet worden war, so erhob ich meine Hände und rief: »Aus tiefstem Herzen fleh ich zu dir, o Gott, laß dich herab, dieser Sünderinnen zu achten. Wohl kann man sagen, daß sie, seit so lange den Werken der Finsterniß sich hingebend, nicht mehr wissen, was sie thun! Hilf du ihnen; denn hier ist die Stimme deines Dieners unwirksam, wenn er ihre Thorheit sieht, ihren Wurmfraß untersucht, über ihre Reuelosigkeit seufzt, wenn er endlich erkennt, daß der Tod ihnen naht, während sie tanzen, und daß ihr Grab gegraben wird, während die Fäulniß der Ausschweifung ihr Mark durchdringt und schon an ihren Gebeinen nagt!« ...

Als ich dieses Gebet geendet hatte, fielen meine Blicke auf die Unseligen, die der Gegenstand desselben waren. Eine oder zwei der jüngsten trockneten sich einige Thränen ab; die andern aber, hauptsächlich Marie, waren mehr noch bestürzt, als gerührt, und in dem Maße, wie die Sekunden verflossen – denn die Beweglichkeit für Eindrücke wird bei dieser Art von Frauenzimmern eine zweite Natur, noch undankbarer als die erste für den Nachdruck des Wortes, – erkannte ich an ihrem Gesichtsausdruck, wie das Laster, der Unglaube, die Verblendung in ihrem erschütterten Herzen wieder Wurzel faßten und sich dort ihren Thron auf den Trümmern des Gewissens errichteten. Hierauf, näher auf meinen eigentlichen Gegenstand zurückkommend, sagte ich: »Marie, weil es, wie du sagst, nicht mehr Zeit ist, jene beiden Jungfrauen zu retten, so gib mir doch wenigstens die Versicherung, daß du nicht an der argen List betheiligt bist, die allein ihr Zutraun wie das meine bestochen hat, nämlich an dem Betruge mit dem Briefe vom Grafen.« – »Halt! mein lieber Herr Apostel«, erwiederte sie. »Ganz heiliger Weise suchen Sie hier eines von jenen Zeugnissen zu erschnappen, von denen Sie mir gesagt haben, daß Sie sie gegen mich kehren wollen; aber ich sehe die Falle und ich werde nicht hineingehn!« – Dann sagte sie, um mich zu hohnnecken: »Dennoch weiß ich Hinlängliches über diesen Brief, diesen Grafen, über Ihre kleine Comtesse Rosa ... aber fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen Neuigkeiten davon auftischen werde!« – »Das halte, wie du willst, mein Kind, und weil es mir scheint, daß du dabei mitthätig gewesen bist, die Handschrift eines Schriftstückes, das noch in meinen Händen ist, nachzufälschen, so muß ich es natürlich finden, daß du dich nicht selbst angeben willst.« – »Mitthätig! mitthätig!« rief sie hierauf mit einem ungestümen Ausbruch von Wuth und als ob sie auf dem Punkt stände, Alles zu verrathen, um sich selbst zu rechtfertigen ... mitthätig!« ... Dann aber fing sie plötzlich an, indem sie in ein Gelächter ausbrach, mich von neuem mit thörichten Spöttereien und ironischen Sarkasmen zu überschütten.

Während dieser Zeit war ein Gefängnißwärter gekommen, um mir zu öffnen, und nachdem ich diesen betrübenden Aufenthalt verlassen hatte, athmete ich endlich wieder die vergleichungsweise reine und tröstliche Luft der Straße.


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