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25.

An den nächstfolgenden Tagen trug sich nichts Bedenkliches zu, so daß diese ungehoffte Frist nach so vielen Angriffen und Erschütterungen, so unbedeutend sie auch war, doch hinreichte, um die Wiederherstellung Rosa's zu beschleunigen. Die Millers selbst schienen, wenn auch nicht zuvorkommender oder zu größerer Rücksicht gegen die Damen aufgelegt, sich doch weiter nicht um ihre Angelegenheiten zu bekümmern, und ich schrieb diese Veränderung den beiden Beweggründen zu, die ich ihnen angegeben hatte, um sie zur Nachsicht zu verpflichten. Uebrigens hatte kein neuer Schritt von Seiten des jungen Herrn stattgefunden seit seinem Brief an Gertrud, und ich begriff auch hinreichend, daß er, weil ihm dieser direkte und entscheidende Versuch völlig mißglückt war, von nun an das Unternehmen als ein verlorenes ansah und die Nothwendigkeit fühlte, das Land zu verlassen, um sein Glück auf einem andern Schauplatze zu versuchen.

So unterhielt ich mich denn, von dem Ende der Woche an, mit den Damen von der Angelegenheit ihrer Wiederaussöhnung, und nachdem ich ihnen meine Meinung deswegen gegeben, verpflichtete ich sie, für nächsten Montag zwei Briefe an die Ihrigen bereit zu halten, die mit demjenigen, welchen ich für denselben Tag schreiben würde, abgehen sollten. Bei dieser Unterhaltung fand ich Gelegenheit, mich von ihrer gewissenhaften Rückkehr zu dem Grundsätze einer kindlichen Unterwerfung zu überzeugen, so daß ich, mit Ausnahme der Vorbehalte, die ich selbst billigte, und die, was Rosa und den Grafen, so wie deren hinfort heiliges und unauflösliches Verhältniß als Ehegatten, gesegnet von Gott und geweiht durch das Gesetz, anbetraf, allen den Gefühlen, welche kund zu geben sie sich vorsetzten, um Gnade vor ihren gerechterweise erzürnten Eltern zu erlangen, nur meine volle Beistimmung geben konnte. Ueberdies, sagten sie mir, wären die Gesinnungen des Grafen der Art, daß, wenn sie selbst sich reuig, ehrfurchtsvoll, bereit zu allen Opfern, die man von ihnen verlangen könnte, zeigten, sie eigentlich nur seinem schon ertheilten Rathe folgten und nur im voraus thäten, wozu er selbst sich entschlossen gezeigt hätte, es zu thun, sobald es nur irgend möglich sein würde. – »Ach, daß Sie ihn nicht gekannt haben, mein bester Herr Bernier!« setzte Rosa hinzu; »Sie würden nicht allein unser Vergehen mit mehr Nachsicht beurtheilen, so entschuldbar würde es Ihnen erscheinen, daß wir ihn zum Führer genommen haben, sondern Sie würden auch begreifen, daß Ludwig, weil er mich ohne die Zustimmung meiner Eltern hat heiraten können, deswegen nicht nothwendig minder streng in seinen Grundsätzen war, als Einer, der es am meisten auf der Welt ist, sondern daß er es that, weil er, jung, zärtlich und leidenschaftlich, mich liebte, wie noch niemals ein Weib geliebt worden ist! ... Aber er wird kommen, er wird kommen«, fuhr sie mit dem begeisterten Lächeln der Hoffnung fort; »Sie werden ihn nun kennen lernen, Sie werden ihn lieben, Sie werden ihn segnen, und es wird mein unaussprechliches Glück sein; denn um sich zu rechtfertigen, um geheiligt vor Gott und den Menschen zu sein, muß er die Taufe der Ehre, der Rechtschaffenheit, der Tugend von Händen, wie die Ihrigen, mein würdiger Herr Bernier, empfangen haben!« – Nach diesen Worten warf sich Rosa mit vollstem Herzen in meine Arme, und obgleich ich Vieles gegen diesen Erguß vorzubringen gehabt hätte, worin zugleich die Folgewidrigkeit des Urtheils und die Hingerissenheit des Wohlwollens selbst sich Luft machten, so konnte ich doch nicht umhin, dieses junge Wesen, kaum hergestellt und noch so gebrechlich, mich mit übertriebenen Zeugnissen überschütten zu lassen, worin sich ihre feurige Seele behaglich und gleichsam in der freien Luft befand, indem sie aus jener erstickenden Atmosphäre von Beunruhigungen, Befürchtungen, Beängstigungen herausschritt, welche Verlassenheit und Demüthigung allmälig um sie erzeugt hatten.

Nach diesem Zwischenvorfall, der uns vom Hauptgegenstande abgelenkt hatte, kam Gertrud darauf zurück und sagte mir, daß sie auch noch eine andere dringende Ursache hätten, an die Ihrigen zu schreiben. Sie hätten nämlich gefunden, daß, nachdem von den dreihundert aus dem Hotel mitgebrachten Franken die Ausgaben für ihre beiden Kleider und einige kleine unentbehrliche Gegenstände abgezogen worden wären, ihnen kaum noch so viel übrig bliebe, um den Millers den Betrag für den fünfwöchentlichen Aufenthalt bei denselben zu entrichten. Zwar besäßen sie noch zwei oder drei Schmucksachen von einigem Werthe, deren sie sich jedoch nicht entäußern möchten. Die einen beständen in wenigem Golde, welches zur Einrahmung der Bildnisse ihrer Eltern diente; die andern in Ringen des Andenkens, in zwei Ketten, die sie, im Alter von zwölf Jahren, an demselben Tage, an dem man sie ihnen gegeben, gegen einander ausgetauscht hätten, endlich in dem Trauringe Rosa's. – Ich sagte ihnen in Bezug hierauf, daß, da ich selbst wegen der Mäßigkeit meines Gehaltes, von dem ich und mein Sohn lebten, nichts beiseite gelegt hätte, ich ihnen somit gegenwärtig nicht dafür bürgen könnte, daß sie immer im Stande sein würden, diese Gegenstände sich zu erhalten; daß wir aber, so lange ich ihnen durch kleine gangbare Hülfsquellen helfen könnte, den Zeitpunkt, in welchem es unerläßlich geworden wäre, sich ihrer zu entäußern, würden hinausschieben können. Es wäre übrigens sehr wenig wahrscheinlich, daß sie dahin kommen würden, weil es nicht länger als vierzehn Tage dauern könnte, bis die Antwort auf ihre Briefe zu uns gelangte, und daß sie unterdessen, sofern sie nur in Allem eine strenge Wirthschaftlichkeit beobachteten, davon verschont bleiben würden, den Rest ihrer Besitzthümer zu verkaufen. Durch diese Worte beruhigt, zeigten sie mir hierauf mit jener anmuthigen Selbstzufriedenheit, welche stets das Bewußtsein gewährt, durch Ordnung und Thätigkeit über völligen Mangel gesiegt zu haben, die Einrichtung, welche sie in ihren Zimmern, ihren Kleidern und ihren Koffern unterhielten; die Kleider, die sie sich aus den Trümmern ihrer ehemaligen Putzgewänder zurecht gemacht hatten und die zum Ausgehn noch ganz tauglich waren; ihre Strümpfe, ihre Handschuhe und sogar ihre mit eigenen Händen ausgebesserte Fußbekleidung, und theilten mir die Vorschriften mit, die sie sich gemacht hatten, um sich so viel als möglich die Dauer ihrer mäßigen Hülfsquellen zu sichern. Ich lobte diese einsichtige Vorsorge, und indem ich ihnen großen Dank dafür in meinem Innern wußte, daß sie es so verstanden hatten, sich nach ihrer neuen Lage zu bequemen, sagte ich zu ihnen: »Belehrt uns nicht das Unglück und gewährt nicht die Prüfung ihre Freuden? So laßt uns denn Gott preisen, der nicht gewollt hat, daß diese Schale nur bitter wäre, und uns bestreben, aus dem Unglück Vortheil zu ziehen, um uns Geduld, Demuth und christliche Liebe anzueignen!« – Hierauf ging ich von ihnen fort und ließ sie beruhigt, gelassen und bis auf einen gewissen Punkt still heiter zurück.


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