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9.

Dieser Zwischenfall, so peinlich er auch an sich war, hatte doch nichtsdestoweniger meine Tags zuvor in Betreff der beiden jungen Damen gefaßte Ansicht befestigt, und sogar ihre Unbesonnenheit mitten in der Bedrängniß, sogar jene Uebereilung, die sie trieb, sich auf die Straße zu begeben, ohne auch nur daran zu denken, ihre ihnen noch verbliebenen Sachen mitzunehmen, sondern einzig, um sich schneller unlautern Anschlägen zu entziehen: genug, Alles trug bei mir dazu bei, zu glauben, daß ich wohl daran gethan hätte, sie lieber nach ihrer Erscheinung und ihren Gesprächen zu beurtheilen, als nach einigen ohne Zweifel tadelnswerthen, doch immerhin entschuldbaren und überdies noch durch die Schmähsucht entstellten Handlungen zu beurtheilen. Andrerseits flößte mir die soeben gemachte Entdeckung von ihrer Geldverlegenheit und einem Geheimniß, welches sie vor mir zurückgehalten hatten, Zweifel ein, die ich noch nicht gehegt hatte, wenn auch nicht über ihre Wohlanständigkeit, doch zum wenigsten über ihre Lage, und ich sagte mir, es wäre, nach alle dem, möglich, daß sie mir etwas verheimlichten. Wäre es in der That möglich, daß dieser Graf, ohne irgend ein Zeichen des Lebens von sich zu geben und ohne ihr die Mittel an die Hand gegeben zu haben, sich Geld zu verschaffen, eine so junge Gattin im Stiche ließe? Wie sollte man es sich auch erklären, daß diese Damen, in dem Maße, als sich die Abwesenheit des Grafen und ihr Aufenthalt im Hotel in die Länge zogen, also in dem Maße, als sie die Zeit einer Entblößung immer näher heranrücken sahen, sich nicht schon längst an ihre Familien wandten, die doch gewiß alle beide reich sind? Sicherlich waren dies nicht »Kreaturen«, nach dem abscheulichen Ausdruck des jungen Lüstlings; aber sicherlich auch nicht Damen, deren Stellung jene Einfachheit der Bezüge darböte, die im Allgemeinen, wenigstens nach dem ersten Blicke, das unzweideutigste Kennzeichen eines regelrechten Lebens und einer makellosen Aufführung ist.

Ich wandte mich gradezu an die Familie jenes Sterbenden, dessen ich erwähnt habe. Es waren dies wenig bemittelte Leute, denen es deshalb wohl gelegen kam, sich eines Theiles ihrer Ausgaben zu entlasten, indem sie, zum Vortheil der jungen Damen, diese in ihr bestes Zimmer als Untermietherinnen einnahmen. Außerdem verpflichteten sie sich, dieselben für einen mäßigen Preis zu beköstigen und ihnen sogar die kleinen täglichen Dienste zu verrichten. Ich schloß also mit ihnen ab, und während sie einige artige Möbel zurecht stellten, um die Bewohnung dieses Zimmers zierlicher und bequemer zu machen, verließ ich sie, um die Damen abzuholen. Aber diesmal überschritt ich die Schwelle dieses Hauses nicht, ohne mich zu erinnern, daß schon nicht mehr jener Gegensatz bestand zwischen der sorglosen Heiterkeit der beiden Freundinnen und der Betrübniß jener Trauernden, so daß ich, indem ich an meine Predigt dachte, bei der ich mir, während ich sie hielt, das allzu grämliche Thema vorwarf, jetzt vielmehr bedauerte, sie nicht beredt genug ausgeführt zu haben, um Diejenigen noch wirksamer auf die Prüfung vorzubereiten, die ich nun einer solchen ausgesetzt sah. So schwanken wir, o gütiger Gott, beim Hauche jedes Eindrucks und jedes Wechsels, während wir ein für allemal das Steuer deines Gesetzes festhalten sollten. Deine Wege sind nicht unsere Wege; aber unsere Schwachheit bleibt immer unsere Schwachheit, und unser Stolz immer unsere Falle; dein Erbarmen walte über uns!


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