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38.

Man kann sich denken, daß ich, bald nach der Rückkehr in meine Wohnung, den Damen, gegen die ich übrigens alle nur mögliche Schonung beobachtete und hauptsächlich den Namen und das Gewerbe der Marie verschwieg, die Nachrichten mittheilte, die ich soeben eingezogen hatte, insbesondre die Verhaftung der falschen Baronin, sowie die Gewißheit, die ich mir bei ihr verschafft hatte, daß das ganze Gewebe der Hinterlist, dessen Opfer sie auf ein Haar geworden wären, von dem jungen Herrn angelegt, unter seiner Leitung fortgesponnen und zu seinem Vortheil ausgeführt wäre. Die armen Kinder schauderten bei diesem Bericht, und Rosa selbst empfand bei der Erinnerung, daß sie bis zum letzten Augenblick sich zu Gunsten der Rechtschaffenheit des Barons verwendet hatte, wie es nach vorübergegangener drohender Gefahr geschieht, der man nur soeben mit genauer Noth ohne sein Zuthun entschlüpft ist, Anwandlungen des Abscheu's und Schauer des Entsetzens. Indessen blieb der Brief des Grafen für mich wie für die beiden Freundinnen noch immer ein undurchdringliches Räthsel, und in unsern Voraussetzungen aller Art gingen wir oft so weit, uns vorzustellen, daß dieser Brief, wirklich vom Grafen für einen Baron von Bülau, einen seiner Freude, geschrieben, für den jungen Herrn vielleicht durch einen seiner Helfershelfer hatte entwendet und ihm nach Genf geschickt werden können, um ihm so als natürliches Hülfsmittel für den verwegenen Anschlag zu dienen, der ihm nun mißglückt war.

Wie dem auch sein mochte, so hatte für mich wie für die Damen die Aufhellung dieser Dinge die Folge, daß wir ruhiger wurden, und von diesem Augenblick an verlebten wir die folgenden Tage in einer Art von Gemüthsstille, die nach so vielen Störungen, Beunruhigungen und Erschütterungen ihr Süßes hatte. Gertrud hatte sich nach und nach der Hauswirthschaft angenommen, und obwohl ich ein wenig verlegen war, wie ich diesem derzeitigen Zuwachs an Ausgaben genügen sollte: so bewunderte ich doch, wie gut dieses junge, im Wohlleben erzogene Mädchen den Bedürfnissen jeder Art mit einer genauen Einschränkung vorzusehen, und hier die kleinen Einkäufe, daß sie wohlfeil ausfielen, dort den häuslichen Dienst so, daß nicht der kostspielige Unterhalt eines Dienstmädchens nöthig wurde, zu besorgen verstand. Außerdem hatten beide, wie ich es voraussetzte, aus den Kleidern meiner Frau ich weiß nicht was für passende Anzüge zu fertigen gewußt, die ich sowohl wegen ihrer Bescheidenheit, als auch, weil sie mich an die Vergangenheit erinnerten, mit Vergnügen betrachtete. Auch dachten wir nicht mehr an die Reisekoffer, und ich lebte, ohne mich viel um die Zukunft zu kümmern, in meiner Häuslichkeit, die sich doch um zwei fremde Damen vermehrt hatte, als wenn sie stets so zahlreich gewesen wäre und es immer so bleiben sollte. Die natürliche Sorglosigkeit in Geldangelegenheiten ist eine Eigenschaft, mit welcher ich weit mehr durch Temperament, als durch Ueberlegung und Gottesfurcht, versehen zu sein das Glück habe. Stets arm, habe ich doch niemals an etwas Mangel gelitten, und heute das Leben damit anfangen, daß man abwartet, was das Morgen bringen wird, anstatt sich das Heute durch die Besorgniß über das Morgen zu vergällen, ist ein Sprüchwort des gesunden Verstandes, dessen Anwendung mir niemals große Mühe gekostet hat, wie es ja auch eine Handlungsweise ist, die dem guten Christen geziemt, in sofern er sich auf dieser Erde nicht als einen Eigenthümer ansieht, welcher pflanzt und seine Besitzungen vergrößert, sondern als einen Pilger, der blos vorüberzieht und sich wo andershin wendet.

Was unsere Unterhaltungen anbelangt, so verbreiteten sie sich insbesondere über die Lage der Damen, über ihre Familien, über die Briefe, die wir von diesen erwarteten, endlich über den Grafen und das Geheimniß seines langen Schweigens, sowie über alle zulässigen Erklärungsarten desselben. Rosa hatte sich seit ihrem Traum, und vielleicht schon vorher, in den Kopf gesetzt, daß dieses Schweigen des Grafen, so wie sein langes Verschwundensein, vielleicht als Mittel habe dienen sollen, um ihre Zärtlichkeit zu prüfen, und je mehr Tage und Wochen verflossen, desto mehr Glauben schenkte sie dieser Ansicht, so daß sie endlich über diesen Punkt mehr getröstet war, als Gertrud, welche, wie ich wohl merkte, ihre Befürchtungen verschwieg, um nicht die Ruhe ihrer Freundin zu trüben, je weniger sie geneigt schien, diesen Beweggrund bei sich selbst gelten zu lassen. Und während einerseits Rosa jene Liebe und jene Verehrung, die sie ihrem Gemahle gelobt hatte, diesem in größerer Stärke als jemals widmete, so war sie andererseits nach und nach weniger eingenommen von der Sehnsucht, Briefe von ihm zu empfangen, und es vergingen oft zwei bis drei Tage, ohne daß mein Sohn seinen Gang nach der Post machte.

Die Gegenstände, welche uns dauernd umgeben, üben unfehlbar einen entweder heilsamen oder nachtheiligen Einfluß auf uns aus. Darum hatte ich auch, zum Theil mit in der Absicht, daß die Damen sich in dieser Beziehung günstiger gestellt fänden, als es bei den Millers möglich war, ihnen von vorn herein mein Zimmer abgetreten. Dieses Zimmer ist ziemlich hell, und ungefähr von elf Uhr an bis etwa gegen zwei Uhr erleuchteten es die Sonnenstrahlen; aber außer daß es sehr ruhig gelegen ist, weil seine Fenster auf einen innern Hof hinausgehen, ist sonst nichts gerade sehr geeignet, um den etwas ernsten Eindruck zu mildern. Umher liegen auf einigen Bücherbrettern verschiedene Ausgaben der heiligen Schrift, einige Andachtsbücher, meine Predigthefte, und man erblickt keine weitere Verzierung als kleine, ärmlich eingerahmte Kupferstiche, welche die Bildnisse unserer ehrwürdigen Reformatoren darstellen. Dem ungeachtet hatten es Rosa und Gertrud, weit entfernt, es traurig zu finden, vielmehr mit sichtbarer Freude betreten, als ob der heilige Duft jener Bücher ihre abgeängstigten Herzen erquickte, und sie in dieser also ausgestatteten Einsamkeit einen sichern und ehrwürdigen Zufluchtsort gegen die schrecklichen Anfeindungen der Welt, der Polizei, der Gensd'armen, und gegen den Pesthauch des Lasters, das sie zu verderben beflissen war, gefunden hätten.

Unvermerkt, und nachdem sie ihre Stunden mit Zurechtstutzen ihrer und unserer Kleider, mit Vervollständigung meiner Amtskragen, mit Durchmusterung und Ausbesserung meiner Bett- und Tischwäsche zugebracht hatten, kamen sie darauf, irgend ein Buch aus den Bücherbrettern hervor zu ziehen, und ich traf sie oft dabei an, wie sie in der Stellung geistiger Sammlung nebeneinander saßen und Trost im Lesen irgend einer religiösen Betrachtung suchten, die sich für ihre gegenwärtige Lage paßte, wobei gewöhnlich Gertrud die Vorleserin machte. Wenn man uns da gesehn hätte, jene, wie sie mich mit jeder Art achtungsvoller Liebkosung empfingen, mich, wie ich sie mit Freude auf die Stirn küßte, so würde man uns die wahrhaft glücklichsten Menschen genannt haben, und man hätte sich auch gar nicht getäuscht. Denn welches Gefühl des Unglücks beschwichtigt nicht Andacht! und da, wo Einigkeit herrscht, Frieden im Gewissen, Thätigkeit, Einfachheit des Lebens, wie sollte da durchaus Glück fehlen? Vielmals gestanden mir dann Rosa und Gertrud, sie hätten sich in ihren vertrauten Unterhaltungen gelobt, daß sie, wenn ihnen Gott jemals die Gnade gewährte, sie zusammt dem Grafen in den Schooß ihrer Familien zurückkehren zu lassen, sich vor aller leidenschaftlichen Ueberspannung ihrer Jugend hüten würden, um ein dauerndes Glück in der Einfachheit zu suchen, wo es, wie sie erfahren hätten, sich finden ließe. Auch hätten sie erkannt, daß sie unter die Dienste, für die sie mir zu Dank verpflichtet wären, als einen der schätzbarsten denjenigen rechnen müßten, von mir gelernt zu haben, daß der Zwang der Umstände tausendmal weniger zu fürchten sei, als der Müßiggang des Wohllebens; daß leben heiße: sein Herz bilden, indem man es an Pflichten und an gute Werke gewöhnt; daß endlich Gott gefallen wollen und sich im Innersten seiner Seele diesem schönen Bestreben mit Eifer hingeben, der sichere Weg zum Glück und der wahre Zweck des Daseins sei. – »Ich bin immer gottesfürchtig gewesen«, fügte Rosa ungezwungen hinzu, »denn wie sollte man es nicht schon aus Ehrfurcht, aus Erkenntlichkeit und durch das Beispiel sein? aber ich erkenne, daß ich niemals fromm gewesen bin, und daß ich ohne diese Prüfung und ohne Ihren Beistand, mein guter Herr Bernier, Gefahr gelaufen wäre, es auch niemals zu werden!« –

Diese so einsichtsvollen und von rechtschaffener Gesinnung zeugenden Gespräche fanden meinen reinsten Beifall; und wenn ich bisweilen in Betreff der Damen mit Beschämung die Ermattung im Gutesthun und die Muthlosigkeit, darin zu beharren, empfunden hatte: so fand ich mich, wenn ich sie so reden hörte, mit Wucher bezahlt für einige Augenblicke, die ich daran gewandt hatte, sie gegen verbrecherische Nachstellungen zu schützen, und sie zu einer glücklichen Wiederversöhnung mit ihren Angehörigen hinzulenken. Uebrigens glaubte ich, indem ich mich mit ihnen von diesen unterhielt, trotz des achtungsvollen Tones, mit dem sie von ihnen sprachen, zu gewahren, daß es zum Theil der Nachlässigkeit oder dem Beispiel jener, die, reich und gehaltlos, wie sie erschienen, mehr für Rang und weltliche Ehre eingenommen, als ernst im Leben und vorsichtig in der Erziehung waren, zuzuschreiben war, wenn so wohl begabte Jungfrauen, wie Rosa und Gertrud, sich gleichwohl so weit hatten verirren können, nur den Einflüstrungen unerfahrner und zum Romanhaften geneigter Herzen zu folgen, da doch ich selbst es so leicht fand, in ihnen alle tugendhaften Neigungen, alle Gediegenheit gesunder Einsicht und alle Freude an einer lautern Frömmigkeit zu Tage zu fördern. Uebrigens kam der Augenblick immer näher, wo ich das Verhalten dieser Verwandten kennen lernen sollte; und wenn ich daran dachte, welche Gefahr dieses anvertraute Gut hätte laufen können, nämlich diese beiden jungen Wesen, die sowohl durch ihr Alter als durch ihre Erscheinung so sehr dazu geeignet waren, die Begehrlichkeit der Lüstlinge zu entzünden: so wünschte ich mir Glück, sie den Ihrigen so unberührt von allem Schlechten und mit einigen Tugenden mehr bereichert in die Hände übergeben zu können.


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