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17.

Am folgenden Sonntage predigte ich in St. Peter und stieg nach der Predigt und der Vorbereitung von der Kanzel, um den Kelch auszutheilen. Es war eine große Schaar von Gläubigen versammelt, und meine beiden jungen Damen verloren sich in ihrer bescheidnen Kleidung unter der Menge. Zuletzt kam auch die Reihe an sie, sich vor den Tisch des Herrn zu stellen, und ich richtete an sie im Allgemeinen jenen Bibelvers, den ich besonders für sie aufgespart hatte: »Ich will hingehen zu meinem Vater und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir!« – Wie man sich denken kann – und dies war meine Absicht – empfanden sie eine große Gewissensunruhe beim Anhören dieser Stelle; übrigens aber hatte ich sie mit gesenkter Stimme gesprochen und so, daß es schien, als sei sie mir in der Reihe der andern ohne vorbedachte Absicht entschlüpft, dergestalt daß Niemand Ursach hatte, etwas Besonderes in diesem Umstande zu finden. Einen Augenblick darauf erblickte ich an dem andern Tische, dem der Männer, den jungen Wüstling, welcher auch in der Reihe vorüberzog, und zwar so, daß er meinem Blicke nicht entgehen konnte. Hierauf sagte ich bei mir selbst und zu mir selbst: »Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet«, denn einen Augenblick später, und mein Stolz würde sich an dem Gedanken gelabt haben: »Dieser ißt und trinkt zu seiner eignen Verdammniß.«

Nachdem die Kommunion beendigt war und wir dem Nachmittagsgottesdienst beigewohnt hatten, gingen wir, mein Sohn und ich, um einen Spaziergang durch die Gärten zu machen. Während wir gingen, setzte er mich in Kenntniß von dem, was inzwischen diese letzten Tage über bei den Millers vorgegangen war. Noch immer keine Briefe. Doch hatte es ihm geschienen, als äußere sich die Traurigkeit der Damen hinsichtlich dieser fehlschlagenden Hoffnung minder lebhaft als vordem, wohl aus dem Grunde sogar, daß sie sich mit der Betrübniß verband, in die meine Gespräche sie versetzt hatten. Sie hatten wieder begonnen, während den Zwischenzeiten ihrer langen Unterredungen zu nähen. Da aber Rosa am Donnerstag und Freitag sehr leidend gewesen war, so hatten sie ihn nicht in ihrem Zimmer zugelassen, so daß er sich darauf beschränkt, nachdem er seine Botschaft bei ihnen hatte ausrichten lassen, die Damen wiederholt der Madam Miller zu empfehlen. Aber diese hatte ihm übler Laune geschienen, und ihr Mann, der dazu gekommen war, hatte Unzufriedenheit darüber blicken lassen, daß diese Damen, indem sie sich nicht benähmen wie andere ihres Standes, sondern den ganzen Tag eingeschlossen blieben, während doch alle Welt wüßte, daß sie bei ihnen wohnten, ihnen üble Nachrede zuzögen; daß der Jude an der Ecke behauptet hätte, dies wären dieselben Fräulein, welche ihm Juwelenschmuck verkauft hätten, um ihre Schulden im Gasthause zu bezahlen; daß endlich sich das Gerede in dem Viertel verbreitet hätte, die eine von ihnen gebe sich dafür aus, als sei sie an einen deutschen Grafen verheiratet, was ihm Alles höchst unangenehm sei, selbst wenn nichts an dem Gerede wäre. Auf alles dieses hatte mein Sohn erwiedert, daß man die Leute reden lassen müsse, ohne selbst zu Herumträgereien Anlaß zugeben, und daß es den Millers, um all diesem Geschwätz zu begegnen, genügen solle, zu wissen, daß sein Vater diese Damen kenne, daß ihm ihre ganze Geschichte bekannt sei, und daß er sie grade deshalb unter seinen Schutz genommen und bei vorsichtig erlesenen Leuten untergebracht, denen er sicherlich nur wohl wollte.

Alles dies, obgleich es mich nicht allzu sehr befremdete, verursachte mir doch nichtsdestoweniger viele Sorge; denn außer daß ich voraussah, ich würde große Mühe haben, die Millers bei guter Stimmung zu erhalten und meine jungen Damen vor der böslichen Neugierde der Leute des Viertels zu schützen: so entging es mir auch nicht, daß das eine jener Gerüchte, für welche sich der Mann der Miller zum Werkzeug der Mittheilung hergegeben hatte, nämlich das letzte, augenscheinlich aus einer vergifteten Quelle herrührte, und daß der Verkehr zwischen dem jungen Mann und jener schlechten Frauensperson, von welchem ich gesprochen habe und den ich gefürchtet hatte, nur zu gewiß war. Ich meinerseits setzte nun meinen Sohn von alle dem, was ich wußte, in Kenntniß, und nachdem wir uns mit den ernsten Gedanken beschäftigt hatten, die der traurige Anblick dieser beiden jungen, durch die Folgen kindlicher Auflehnung unglücklichen Wesen, und jener herabgesunkenen Geschöpfe, die sich zu deren Verderben verbanden, in uns hervorbrachte, kehrten wir wieder nach unserer Wohnung zurück.


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