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5.

Als ich sie soeben verlassen hatte, wurde ich, indem ich grade aus dem Hotel gehn wollte, des jungen Herrn von vorhin ansichtig, und angeregt durch einen plötzlichen Gedanken, näherte ich mich ihm und bat ihn um einen Augenblick Gehör. – »Nun wohlan, was gibt's, reden Sie; was wünschen Sie, mein lieber Mann?« antwortete er. – Ich hätte gewünscht, daß er mich in sein Zimmer eintreten ließe, da ich ihm vertraute Dinge zu sagen hatte, und die Freitreppe, auf der wir uns befanden, allaugenblicklich beschritten wurde, sei es von einem Fremden, sei es von den Leuten des Hotels; aber da ich es nicht für die gelegene Zeit hielt, darauf zu bestehen, so sagte ich zu ihm: »Ich möchte Ihnen zu erwägen geben, daß, wie ehrenhaft auch Ihre Absichten sein mögen, Ihre häufigen Besuche bei diesen Damen dieselben durchaus vor der Welt bloßstellen müssen. Dann, wenn Sie dies werden zugegeben haben, werde ich Ihnen den Wunsch ausdrücken, daß Sie diesen Bestrebungen ein Ziel setzen mögen, so wie die Erkenntlichkeit, die wir, ich und Diejenigen, die der Gegenstand derselben sind, Ihnen dafür zollen.«– »Aber was geht das Sie an?« erwiederte er, mich mit ergrimmtem Blick ansehend, »und was haben Sie sich in das zu mischen, was mich angeht? ... Kümmern Sie sich lieber um Ihre Predigten und endigen Sie selbst mit Ihren Besuchen bei den Damen, die weder einen zweideutigen Beichtvater, noch einen dienstfertigen Beschützer bedürfen!« – Hierauf wandte er mir den Rücken; ich aber hielt ihn sanft am Arme zurück und sagte zu ihm: »Sie werden mich als Diener unseres göttlichen Erlösers entschuldigen, wenn ich etwas fest auf meiner Ansicht beharre. Aber sehen Sie, diese Damen sind Schafe, und Sie, Sie könnten leicht der räuberische Wolf sein, wovon der Apostel spricht. Urtheilen Sie nun, ob etwas daran liegt, daß der treue Hund sie gut bewacht ...« Hierüber fing er an zu lachen. »Nun, alter Narr, wenn Sie der treue Hund sind, so kehren Sie nur um und bewachen Sie Ihre eigne Heerde!« Dann kehrte er mir barsch den Rücken zu und entfernte sich.

Ich belobigte mich über diesen Schritt, weil er mir die Gelegenheit verschafft hatte, inne zu werden, dieser junge Mensch sei eines jener Kinder des Reichthums, die aller Grundsätze baar und dem Müßiggange ergeben, ihr schönstes Alter zu verderblichen Handlungen anwenden und sich ein Geschäft daraus machen, Diejenigen anzuködern und zu verführen, die eben so sehr durch ihre Unschuld und ihr Bedürfniß zu lieben, als durch ihre Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit dem ausgesetzt sind, in ihre Fallen zu gehn. Aber ich hegte deshalb nur um so mehr Befürchtungen für den guten Ruf meiner beiden jungen Damen und für die Bewahrung dieses guten Rufes, wozu ich mich soeben in gewisser Weise verpflichtet hatte, um ihn unverletzt dem Herrn Grafen überantworten zu können. So bat ich denn noch während des Gehens Gott um seinen Beistand bei dem Werke, das ja seinen Geboten entsprach, und bedenkend, daß jener junge Mann, indem er mich ermahnte, zu meiner eignen Heerde zu gehen, mir hierin eine gerechte Anweisung gegeben hatte, diese nicht um Andrer willen zu vernachläßigen, beschloß ich, einstweilen meine Thätigkeit und meinen Eifer zu verdoppeln, damit die Spaziergänge, zu denen ich mich anheischig gemacht hatte, meinen Pfarrkindern nicht die geringste Fürsorge, die ich ihnen schuldig wäre, entzögen. Als ich diesen festen Entschluß gefaßt hatte, kam mir die Kraft mit der Ruhe, und ich war darauf bedacht, noch in derselben Stunde mein Tagewerk zu fördern.


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