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20.

Ich habe die Ansicht, daß die Schlechten immer weniger stark sind, um uns zu schaden, wenn man, anstatt ihren Angriff zu erwarten, es wagt, ihnen zu nahen; und dies war eigentlich der einzige Grund, der mich bewogen hatte, bei diesem Frauenzimmer einzutreten. Auch ging ich, trotz der kleinen Unannehmlichkeit, beim Kragen gefaßt worden zu sein, befreiter von Unruhe von ihr weg, als da ich dort eingetreten war, und da ich einmal in den Zug gekommen war, so besuchte ich an diesem Tage alle Taugenichtse meines Sprengels.

Einer von diesen theilte mir zufällig etwas mit, was zu erfahren mir von großer Wichtigkeit war und was mich überdies noch zu der Betrachtung führte, daß in den Händen der Vorsehung selbst die Taugenichtse noch zu etwas nützlich sind. Er erzählte mir nämlich, daß in dem fünften Stocke des Hauses, worin er das Erdgeschoß bewohnte, sich ein junger Herr ein Absteigequartier gemiethet habe, und zu jeder Stunde des Tages und der Nacht dahin käme. – »Was thut das?« sagte ich zu ihm; »es gibt noch seltsamere Einfälle«, und wandte das Gespräch auf andere Gegenstände. Aber als ich mich wieder auf der Straße befand, verfehlte ich nicht, mir die Fenster des fünften Stocks zu betrachten und fand, daß in der That der Ort sehr passend dazu war, zugleich die Werkstatt des Miller, die Zugänge und die Bewohner seines Hauses und sogar das Zimmer der Damen, dessen Fenster kaum etwas höher als die des Absteigequartiers des jungen Herrn lagen, zu überblicken. Aus dieser Beobachtung zog ich nicht allein meinen Nutzen, sondern kam auch dahin, mich zu überzeugen, daß dieser junge Herr nicht, wie ich anfangs geglaubt hatte, ein schlechtweg ausschweifender Mensch sei, der junge weibliche Wesen, welche der Zufall, die Lust zum Abenteuerlichen oder das Unglück in seinen Bereich brachte, zu verführen suchte, sondern ein abgefeimter, gewandter, beharrlicher Lüstling, der sich zu beherrschen wußte, weil er herzlos war, mehr darauf bedacht, sich seine Opfer auszuwählen, als schlechthin weibliche Wesen aller Art seiner Lust zu opfern, und der auf die beiden jungen Damen feste und bestimmte Pläne gerichtet zu haben schien. Ich seufzte darüber im Stillen, und erwägend, daß die Religion und mein Gewissen mir von nun an noch größere Wachsamkeit über das mir von der Vorsehung zur Obhut anvertraute Gut auferlegt hatte, bereitete ich mich mit Betrübniß auf einen, meinen Gewohnheiten fern liegenden, meine Beschäftigungen störenden und meinem Alter sehr beschwerlichen Kampf vor.

Als ich von dort zurückkehrte, trat ich in Millers Werkstatt ein und fragte ihn, ob die Möbel vorschritten, und ob er seinen jungen Herrn wiedergesehen hätte. Nach einigem Zaudern sagte er mir, daß er ihn am Morgen gesehen hätte (es war jetzt sechs Uhr Abends), aber er habe mit ihm nur über Dinge gesprochen, die den Damen fern lägen. – »Miller«, sagte ich hierauf zu ihm, »Ihr seid ein redlicher Mann, das glaube ich wenigstens von Euch; denn wäret Ihr das nicht, so würde ich denken, daß Ihr mir eine Unwahrheit sagt.« – Hierauf gerieth Miller in große Verlegenheit und sprach, indem er seinen Hobel bei Seite legte: »Wenn ich die Wahrheit gestehn soll, Herr Prediger, ja, es ist von den Damen die Rede gewesen; aber das kann ich versichern, daß dieser Herr eine noch weit vortheilhaftere Vorstellung von ihnen hat, als ich und vielleicht Sie selbst. Er sagte, sie wären von guter Herkunft, anständig in jedem Betracht, ausgenommen in dem Punkte, daß sie Sie täuschen wollten, und wir sollten uns glücklich schätzen, sie bei uns zu haben.« – »Ist das Alles, Miller?« – »Ja, das ist Alles.« – »Nun wohl, guter Freund, da Ihr mir soeben das Recht gegeben habt, Euch nicht auf das erste Wort zu glauben, so benutze ich es und sage Euch rund weg, daß Ihr mir sicherlich einen Theil des Wahren verhehlt.« – »Ich lasse nur das weg, Herr Prediger, was Ihnen unangenehm zu hören sein würde; aber wenn Sie darauf bestehen, so will ich es Ihnen nicht verschweigen.« – »Ja, Miller, ich bestehe darauf noch mehr als auf alles Andere.« – »Nun gut, so hören Sie denn, Herr Prediger. Er hat mir gesagt, daß Sie ohne Zweifel aus sehr guter Absicht, aber zum großen Nachtheil der Damen und aus Mangel an Weltkenntniß, nie unterlassen haben, aus allen Kräften das zu hintertreiben und zu vereiteln, was er sowohl im Stande als auch willens wäre, für sie zu thun; daß ihm ihre Lage bekannt wäre, die Sie nicht kennten, und sie noch überdies, mit der Binde des Vorurtheils vor den Augen, in ihr Verderben führten, grade in dem Augenblicke, in dem er sich aus allen Kräften bemühte, sie ihrer Befreiung zuzuführen; daß unglücklicherweise (und das sei sehr natürlich, setzte er dazu) die jungen Personen stets dahin gebracht würden, einem jungen Kavaliere zu mißtrauen, um sich einem alten Manne anzuvertrauen, weil er das Priestergewand trage, und dieser begehe deshalb so viel Unklugheiten, und stifte Unheil und Verderben, was nur das Verdienst habe, von den Frommen des Kirchspiels als etwas Ehrenwerthes geschätzt zu werden. » »Ha!« rief er aus, indem er mit der Hand auf diese Bank schlug, »»wenn Sie nur wüßten, wenn Sie nur begreifen könnten, mein lieber Herr Miller, was diesen achtungswerthen Damen in dem Falle droht, daß sie sich noch fort und fort von diesem beschränkten Prediger leiten lassen, und was sie im entgegengesetzten Falle erwartet, wenn sie seinen Händen entzogen werden sollten; ganz sicher würden Sie dann der Allererste sein, heimlich ihre Rettung zu befördern und gern die Verlegenheiten, die Verdrießlichkeiten und den üblen Ruf, der Ihrem Hause nicht fehlen wird, wenn jene noch länger unter dem Schutze des Predigers darin wohnen, sowie ihre Unfähigkeit, Sie zu bezahlen, gegen die Schadloshaltung, die man Ihnen schuldig ist, einzutauschen.« Da haben Sie es.«

»O Gift, Bosheit, abscheuliche Schlechtigkeit!« rief ich hier aus, »und was soll ich Euch nun sagen, armer Miller, wenn solche Reden durch ihre teuflische Natur Euch nicht betroffen gemacht haben, vielmehr euer Vertrauen zu eurem bisherigen alten Seelsorger haben erschüttern können? Mein Gott! mein Gott! besitzt denn der Betrug Geheimnisse, um zu etwas zu bereden, welche die Rechtschaffenheit nicht hat? ... Ich kenne freilich nicht die ganze Geschichte dieser Damen; aber ich sehe, daß sie anständig sind und jede unsittliche Annäherung scheuen, und daß sie sich meinen Armen anvertrauen, nicht, weil diese stark sind, sondern weil sich ihnen keine andern darbieten!... Ich kenne ebenso wenig die Geschichte ihres tugendhaften Befreiers, aber ich weiß, daß er zweideutig redet, daß er schändliche Briefe schreibt; daß er sich heimlich Absteigequartiere miethet, sich mit verrufenen Frauenzimmern verabredet, auf euren alten Seelsorger Taugenichtse loshetzt, um ihn mit Tätlichkeiten oder Ermordung Zu bedrohen, wenn dieser ihm nicht die Beute überläßt, nach der er lüstern ist. Jetzt, Miller, wählt zwischen der unglücklichen Rechtschaffenheit und der verbrecherischen Hinterlist ohne Verzug! Denn wenn Ihr nicht ganz und gar auf meine Seite tretet, Ihr und alle die Einigen, so biete auch ich Euch die jämmerliche Lockspeise der Entschädigung an und befreie Euch noch heute, indem ich sofort die beiden unglücklichen Damen anderswo einmiethe, von jenen Verlegenheiten, Verdrießlichkeiten, jenem üblen Rufe, mit dem man Euch Furcht eingejagt hat; ich befreie Euch von meinem Joch, von meinem Schutzherrnrecht und von meiner Gegenwart.« – Als mich Miller so reden hörte, gab er Reue zu erkennen und daß er Vertrauen in mich setze, und schloß mit der Erklärung, daß er, unzugänglich für die Einflüsterungen des jungen Mannes, von nun an sich bemühen wollte, mich in meinem Bestreben zu unterstützen. In dieser Gemüthsverfassung verließ ich ihn.


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