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29.

Dieses unvorhergesehene Zwischenereigniß machte die Absendung unserer drei Briefe unnütz, vielleicht sogar ungelegen; denn man konnte sich wirklich mehr Erfolg von den eifrigen und unmittelbaren Schritten versprechen, welche der Graf zu thun sich vorsetzte, als wenn ich mich dienstwillig zum Vermittler zwischen den beiden Familien und ihren Töchtern hergäbe. Ueberdies hätten unsere Briefe, außer daß sie Anspielung auf eine unglückliche und verlassene Lage machten, die nicht mehr stattfand, grade dadurch den Nachtheil gehabt, daß sie den Schritt der beiden Damen als das erzwungene Ergebniß der Nothwendigkeit, und nicht als das eines freientstandenen Reuegefühls und selbstwilliger Rückkehr erscheinen ließen. Ich verzichtete folglich darauf, unsere drei Briefe abgehn zu lassen.

Im Verlauf des Tages verfügte ich mich in das Hotel zur Wage, wo der Baron logirte, und wurde bei ihm vorgelassen. Es war ein Mann aus der großen Welt, ungefähr fünf und dreißig Jahre alt, von ziemlich zuvorkommendem Benehmen, und der mir in sehr achtungsvoller Weise, sowohl in seinem eignen, als in des Grafen Namen, die Anerkennung ausdrückte, von der sie beide in Betreff der Rücksichten und des Schutzes, die ich den beiden jungen Damen hätte angedeihen lassen, durchdrungen wären. Ich meinerseits gab ihm zu erkennen, daß ich mich glücklich fühlte, ihnen einige Dienste erwiesen zu haben, deren sie sich durch die Wohlanständigkeit ihrer Gefühle und das Vertrauen, welches sie mir erwiesen, vollkommen würdig gezeigt hätten; dann erklärte ich, auf ihr Verhältniß zu ihren Familien übergehend, mit Freimüthigkeit, daß ich diese Dienste zu bereuen haben würde, wenn mir die Folge darthäte, daß ich sie zwei jungen Personen geleistet, welche fähig wären, freiwillig in dieser, in den Augen der Welt regellosen und zugleich vor Gott strafbaren Lage zu verharren. – Der Baron unterbrach mich hier, indem er seine volle Meinungsübereinstimmung mit mir in diesem wichtigen Punkte zu erkennen gab, und versicherte mir, als Bestätigung dessen, was ich aus dem Briefe ersehen hatte, daß der Graf entschlossen wäre, vor allen Dingen dahin zu wirken, daß dieses drückende Verhältniß ein Ende nähme, und daß dies grade, nächst der wohl natürlichen Ungeduld, seine Gattin wieder zu sehen, der Hauptbeweggrund wäre, der ihn, um sie nach Hamburg kommen zu lassen, bewöge, dem früher entworfenen Plane einer Reise nach Italien zu entsagen.

Diese Erklärungen gaben mir eine angenehme Befriedigung. Hierauf zu einem andern Gegenstande übergehend, sprach ich von der Abreise, indem ich das Bedauern kund gab, daß die Frau Baronin nicht anwesend wäre, um ihre Meinung darzuthun und um zu erklären, was ihr am genehmsten wäre. – »Unglücklicherweise«, sagte er zu mir, »befindet sie sich heute etwas unwohl, sonst würde sie schon erschienen sein, um ihren Dank mit dem meinigen zu verbinden. Aber das hat nichts auf sich, mein Herr; der Wille der Baronin ist, Mittwoch Abends, oder noch besser Donnerstag in großer Frühe abzureisen. Ich glaube, es ist besser, an diesem letzten Beschluß fest zu halten, und in diesem Falle würden sich unsere beiden jungen Damen nach dem Hotel verfügen.« Als dieser Punkt in Ordnung gebracht war, stand ich auf, und nachdem ich auf das bestmögliche dem förmlichen Abschiedsgruß des Barons zu entsprechen gesucht hatte, verließ ich das Hotel.

Unterwegs zollte ich Gott meinen Dank dafür, daß er, indem er so zu rechter Zeit die Erlösung meiner jungen Schützlinge herbeiführte, mich selbst von Bekümmernissen befreite, die von Tag zu Tag immer quälender hätten werden können: als ich Miller begegnete, der soeben die Möbel nach dem Packhofe besorgt hatte, und von dem ich erfuhr, daß der junge Herr vor wenigen Minuten in einer Postkutsche seine Fahrt nach Paris angetreten hätte. – »Das ist ein Glück für Sie, wie für mich«, setzte Miller mit offener Miene hinzu, die mich an ihm erfreute, »denn wer weiß, wohin mich diese Bekanntschaft hätte bringen können! Vergeben Sie mir meinen Fehler, Herr Prediger, und zählen Sie darauf, daß das für lange eine Warnung ist.« – Diese Nachricht setzte, wie sich denken läßt, meiner Zufriedenheit, die ich schon empfand, die Krone auf, indem sie vollends die letzten Spuren der Furcht tilgte, die mir die Gegenwart des jungen Herrn einflößte, so lange sich meine beiden jungen Damen noch hier befanden. Und als ich meinen Weg weiter verfolgte, gewahrte ich diese selbst, wie sie in Begleitung meines Sohnes sich auch Reisehüte in demselben Laden kauften, worin sich die Baronin damit versehen hatte. Ich trat sogleich hinein, um sie von dem zu benachrichtigen, was soeben zwischen dem Baron und mir in Hinsicht der Abreise besprochen worden war. Die Nichte der Millers, die sich gegenwärtig befand, fragte bei dieser Gelegenheit, ob sie eine besondere Note für den Betrag dieser beiden Hüte aufsetzen sollte, oder ob es gleich wäre, wenn sie dieselben auf der Note der Baronin mit in Rechnung brächte. – »Das ist durchaus nicht gleichgültig«, erwiederte Rosa lachend; »denn im Augenblick, liebe Luise (dies war der Name des jungen Mädchens, welches sie bisweilen in der Millerschen Familie gesehen hatten) sind alle unsere Mittel noch in den Händen des Barons, und wir wären wirklich sehr in Verlegenheit, wenn wir Sie bezahlen sollten.« – Hierauf gingen wir zusammen aus dem Laden fort, und nachdem ich den Damen noch vollends Rechenschaft über meinen Besuch bei dem Baron abgelegt hatte, ließ ich sie die Reihe ihrer Einkäufe fortsetzen, um selbst die meiner eigenen Geschäfte wieder aufzunehmen.


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