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3.

Unterdeß waren einige Wochen verflossen, und ich hatte meine beiden jungen Freundinnen ganz aus dem Blick verloren, als ich eines Morgens zufällig auf sie traf, wie ich grade aus der Allee meines Hauses heraustrat. Als ich sie erblickte, fiel mir der ganz gleiche Zug der Uebereinstimmung auf, der sich so entschieden in der Haltung und in der lebhaften Vertraulichkeit ihrer Blicke kund gab, daß ich sicherlich, wäre ich der einen allein begegnet, sie nicht wieder erkannt haben würde. Sobald sie selbst mich erkannt hatten, begrüßten sie mich vielmehr mit einem gutmüthigen Lächeln und einem wohlwollenden Sichwiedererinnern, als mit gewöhnlicher Höflichkeit, und da ihre Blicke mich zu sich zu rufen schienen, während ihre Zurückhaltung ihnen nicht erlaubte, sich mir zu nähern, so trat ich an sie heran und sagte ihnen einige Höflichkeiten. Nun bezeigten mir alle beide eine freundliche Anerkennung dieses Beweises der Theilnahme an ihnen, und sprachen, indem sie die Unterhaltung fortsetzten, mit mir in jener achtungsvollen zutraulichen Weise, womit junge und wohlgeartete Herzen so gern einem Greise, und der noch dazu mit dem Charakter, den ich trage, bekleidet ist, zuvorkommen.

Während dieser Unterhaltung erfuhr ich beiläufig etwas, dessen ich mich wenig versehen hätte; so wahr ist es, daß, selbst wenn uns die Welt den Blick hinreichend geschärft haben sollte, wir doch dem unterworfen sind, die Lage unseres Nächsten schlecht zu unterscheiden: die eine der beiden jungen Damen war nämlich verheiratet. Jedoch nach ihrem Wuchs, ihrer Stimme, der Bescheidenheit ihrer Reden, hätte ich sie in Wahrheit noch für eine Jungfrau gehalten, und ich konnte nicht umhin, es ihr zu sagen. Sie lachte hierauf über meinen Irrthum, und ihre Freundin, die das Wort ergriff, gab mir durch einige Schmeichelreden zu verstehen, wie sie sich glücklich schätzten, sich überreden zu können, daß sie, kaum erst wenige Tage in einer fremden Stadt, in ihr schon einen Freund, und im Nothfalle wohl einen Beschützer gewonnen hätten. – »Was das anbetrifft, meine theuren Kinder«, antwortete ich ihnen, »so haben Sie, sowohl nach der einen wie nach der andern Bezeichnung, über mich zu befehlen.« – Anstatt über diese vertrauliche Benennung, die mir entschlüpft war, betreten zu erscheinen, zeigten sie sich vielmehr darüber entzückt und drückten mir die Hand mit großer Wärme, so daß ich dahin gebracht wurde, daraus, trotz ihres weltlich ausgesuchten Putzes, von der Einfalt ihrer Gefühle auf die Rechtschaffenheit ihrer Herzen zu schließen.

Es ist doch seltsam, daß ich, trotz des genauen Bildes, welches von der Gestalt dieser beiden jungen Freundinnen aus jener Zeit in mir zurückgeblieben ist, und wie sie sich beide ganz gleich gekleidet trugen, doch sehr in Verlegenheit sein würde, davon eine irgend genügende Beschreibung zu geben. Was das Gesicht anbelangt, so waren sie von feinen Zügen, frischer Farbe, und hatten blaue Augen; alle beide waren blond und ihr Antlitz wurde von fliegenden Locken eingerahmt. In Rücksicht ihrer Art sich zu kleiden, weiß ich mich nur sammtner Hüte zu erinnern, mit leichten Bändern verziert, einer Schärpe, deren Farbe ich vergessen habe, und Kleider von einem schillernden Schwarz, welche, zumal an jenem stürmischen Tage, mit jenem Geräusch, das seidne Stoffe in Bewegung von sich geben, an einander schlugen. Aber dieses Weltliche im Anzug, das die Religion verwirft, weil es ein wenig die Gesinnung sündiger Wesen verräth, die vielmehr das Gefäß im Innern säubern sollten, als das Aeußere zu sehr ausschmücken, hatte, obgleich es mir sonst Grund zu einer ungünstigen Vormeinung gibt, in diesem Falle nicht die Nachsicht verdrängen können, welche das Jugendalter in Anspruch nimmt, besonders bei diesem Eindruck enger schwesterlicher Vertraulichkeit zwischen zweien, ohnehin sorglos muthwilligen jungen Mädchen. Und ich kann nicht leugnen, daß ich mich bei dieser Gelegenheit entwaffnet fühlte, wenn ich mich bei andern Gelegenheiten derselben Art sehr streng gezeigt habe. Aber, o mein Gott! wir sind ja nur zu schwach und ungerecht in unseren Urtheilen, und wenn das deinige den unsern gleichen sollte, so würde, sofern du nicht genau unterschiedest, sogar das Bestreben, dir zu gefallen, vor deinen Augen nicht mehr Gnade finden, als die absichtliche und hartnäckige Unbußfertigkeit!

An jenem Tage begleitete ich die jungen Damen bis zu ihrem Hotel, und nachdem ich ihnen meine besten Dienste wiederholt angeboten hatte, empfahl ich mich, um den Gang meiner Geschäfte wieder aufzunehmen.


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