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16.

Da es die Woche vor Pfingsten war, und ich auf eine Predigt für den Festtag sinnen mußte, so ließ ich am andern Tag den Damen sagen, daß sie mich vor dem folgenden Montage nicht erwarten sollten, und daß, im Falle sie zum Abendmahl zu gehen geneigt wären, als wozu ich sie übrigens noch einlade, sie mein Sohn zur Kirche geleiten würde, die der Wohnung, welche sie inne hätten, ganz nahe liege. Zu gleicher Zeit ließ ich ihnen einige Anweisungen zukommen über die Art und Weise, wie sie sich, vornehmlich in Hinsicht auf ihre Lage, vorzubereiten hätten, wenn sie dem Tische des Herrn nahen wollten, und schärfte ihnen nochmals die Ermahnung ein, sich einzuschließen, und während der übrigen Zeit sich keine Unvorsichtigkeit zu schulden kommen zu lassen, namentlich, daß sie durchaus keine Botschaft noch irgend einen Besuch annähmen, von wem es auch sei, außer von meinem Sohn und mir.

Denn in der That hatte mir die Zusammenkunft, auf welcher ich den Tag vorher den jungen Mann mit jener übelberüchtigten Frauensperson ertappt, und hauptsächlich der Kunstgriff, den er anzuwenden versucht hatte, um mich glauben zu machen, daß dieses Stelldichein nur zufällig gewesen wäre, lebhafte Unruhe und die ernstesten Besorgnisse eingeflößt. Bekanntlich gibt es im Schoße aller Pfarrgemeinden, besonders in den großen Städten, eine Hefe von verderbten Wesen, die, zuerst selbst verführt, sich nun ein abscheuliches Vergnügen und gleichsam eine Art von Rache für die Verachtung, zu der sie verdammt sind, daraus machen, ihrerseits wieder zu verderben, und durch ihre Vermittlung demjenigen beistehn, der darauf ausgeht, Andre in den Schmutz, worin sie selbst sich befinden, hineinzuziehen. Jenes Frauenzimmer, herabgesunken aus einer anständigen Lage, aus der ihr noch der Geschmack für eine gute Sprache und der Firniß guter Lebensart übrig geblieben war, außerdem gewandt, umsichtig, und die so gut wie ich das Personal des Viertels kannte, war eins jener unsaubern Wesen, und ich hatte vom ersten Augenblick an nicht daran zweifeln können, daß der junge Mann bei ihr, wenn nicht eine verabscheuungswürdige Stütze für Arglist, schlimme Anschläge und Ränke, so doch wenigstens Auskunft, von der er selbst Gebrauch machen konnte, gesucht hatte. Was überdies meine Vermuthung bestätigte, war das Beharren, womit er mir zweimal versicherte, »daß der Graf nicht kommen würde und daß die beiden jungen Personen unwiderruflich verlassen wären.« Mußte er nicht wirklich so sprechen, er, dessen arglistige Unverschämtheit ich bei Gelegenheit des Briefes hinlänglich kennen lernen konnte, wenn er irgend einen Plan hegte, vermittelst einer vorgespiegelten Lockspeise der Heirat die beiden jungen Damen, nach denen es ihn gelüstete, in die Netze seiner ausschweifenden Lebensweise fallen zu lassen? Auch zweifelte ich fast schon nicht mehr, daß seine Aeußerung eine zu seinem Vortheil vorgebrachte Lüge war, und es wich allmälig bei mir jener Schreck, den ich das erstemal darüber empfunden hatte, als ich so weit ging, mir einzubilden, daß vielleicht gar kein solcher Graf in der Welt vorhanden wäre, und gäbe es dennoch einen dergleichen, so möchte er wohl auch so sein wie der Mensch, mit dem ich eben spräche, irgend einer von jenen Wüstlingen hohen Standes, die, nachdem sie ein junges Mädchen verführt und sie vollends in ihr Verderben gezogen haben, sie darauf der Schande, den Gewissensbissen, der Noth und oft dem Tode überlassen.

Unzweifelhaft bürgten mir die angeborne Wohlanständigkeit dieser Damen, jene Schutzwehr von guten Gewohnheiten, von Schüchternheit und Züchtigkeit, welche selbst weniger gut erzogene junge Personen gegen die Versuchungen des Lebens vertheidigen, hinreichend dafür, daß kein Angriff jemals ihre Keuschheit gefährden konnte, und daß jeder unmittelbare Schritt, um sie zu verderben, oder auch nur, um sie zu verführen, im Gegentheil nur dazu dienen würde, in ihnen jenen Abscheu zu erwecken, den sie schon bei Gelegenheit eines doch verstockten und weit mehr zweideutigen, als gradezu verletzenden Verfahrens empfunden hatten. Aber wenn ich einerseits mir sagte, daß ihre Lage selbst sie dem aussetzte, sich nach und nach von den Netzen schlimmer Anschläge umgarnen zu lassen, – denn einmal aus dem Taubenschlage vertrieben, wie sollten arme Tauben hier dem Blei, dort den Netzen des Jägers entgehen? – so hatte ich andererseits die noch gegründetere Furcht irgend einer Versuchung auf Schleichwegen, die, indem sie Herumträgereien, Verdächtigungen, ja irgend ein Aufsehen herbeiführte, bei den Millers für sich selbst Befürchtungen erregen, die beiden Freundinnen aus ihrem Hause vertreiben und sie noch einmal gedemüthigter, erniedrigter und näher dem Unglück, vielleicht die Beute des sie umstreichenden Entführers zu werden, obdachlos auf die Straße ausstoßen würde. – Ach, mein Gott! betete ich inbrünstig, indem ich an so große und viele Gefahren dachte, welche verlassene Mädchen von allen Seiten bedrohen. Hilf deinem schwachen Diener kämpfen, um diese beiden guten Kinder zu retten, und daß sie, einmal gerettet, das väterliche Dach wiederfinden, den Schutz ihrer Mütter, die Arche ihrer Familien, und die Segnungen alle, denen sie sich widerrechtlich entzogen haben.


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