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41.

Einige Tage nachher kehrte ich einmal bei den Millers ein, um ihnen meinen Besuch als Seelsorger zu machen, und da ich sie bei dieser Gelegenheit auf die Erinnerung an das gebracht hatte, was an dem Abend unserer Ankunft von Versoir vorgegangen war, so bemühte ich mich, nachdem ich ihnen gesagt hatte, ich hätte Ursache gefunden, mir später ihre anscheinende Hartherzigkeit auf achtbare Weise zu erklären, nämlich: Personen nicht bei sich aufzunehmen, welche sie in jenem Augenblicke für verdächtig und anrüchig halten mußten, sie von diesem Irrthum abzubringen, indem ich sie von der wahren Lage der Damen unterrichtete wie von den unwürdigen Ränken, welche die beklagenswerthe Wirkung hatten, ihren Ruf zu bestecken und sie in's Unglück zu stürzen. Die Millers bezeigten sich ebenso erkenntlich dafür, daß ich zu ihnen gekommen war, als gerührt von meiner Mittheilung, so daß ich das Vergnügen genoß, ihnen mein Vertrauen auf's neue zu schenken und ihre Freundschaft wieder zu erlangen. Doch als wir uns noch weiter über dieses Thema unterhielten, sagte mir Miller, daß die Möbel, die er selbst noch nach dem Packhof gebracht hatte, weil sie nach Paris geschafft werden sollten, sich noch in der Niederlage des Kommissionärs befänden, dem er sie übergeben hatte, und daß, als er den Grund davon habe wissen wollen, man ihm geantwortet hätte: es geschähe dies in Folge eines Gegenbefehls, welcher zwei oder drei Stunden nach der vorgeblichen Abreise des jungen Herrn nach Paris eingetroffen wäre. – »Andrerseits«, fügte die Frau Miller hinzu, »habe ich es aus sicherer Quelle, daß man, nachdem die Kaufleute durch Vermittlung eines Ortsagenten im Namen des Barons abgefunden worden sind, die Baronin gestern frei gelassen hat, was meine arme Nichte in beständiger Furcht vor einer ausgesuchten Rache oder auch vor einem auf sie gemünzten ärgerlichen Aufsehen erhält, weil die Dirne Marie Wohl weiß, daß sie auf deren Anzeige verhaftet worden ist.«

Da diese beiden Nachrichten alle Befürchtungen, von denen ich mich für immer befreit geglaubt hatte, mit aller Stärke wieder in mir rege machten, so bestimmten sie mich, einen Entschluß zu fassen, von dem ich mehrmals aus der übrigens sehr natürlichen Furcht, die Lage meiner jungen Freundinnen noch mehr bloß zu stellen, abgestanden war, nämlich, die Polizei selbst dabei in's Interesse zu ziehen. Denn, da ich, wie jetzt die Sachen standen, schließen konnte, daß der junge Herr, nachdem ihm der erste Versuch fehlgeschlagen war, wobei er nicht in eigener Person eine Rolle gespielt hatte, wahrscheinlich nicht unterlassen würde, nach Genf zurückzukommen; und da ich andrerseits aus Erfahrung die ausgelernte Gewandtheit und höllische Bosheit der Marie kannte, so schien mir der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo ich ohne alle sonstige Rücksicht die Polizei von den Umständen benachrichtigen mußte, deren Kenntniß ich allein besaß, um unter den Schutz jener nicht allein die Sicherheit meiner Freundinnen überhaupt, sondern das Leben Rosa's selbst zu stellen, welches durch neue Erschütterungen der Art, wie sie ihnen bisher ausgesetzt gewesen war, unfehlbar gefährdet sein würde. In dieser Absicht schlug ich Miller vor, mich auf der Stelle nach dem Polizeibureau zu begleiten, um durch sein Zeugniß das zu bestätigen, was er ebenso gut wissen mußte als ich; und nachdem er mit eifriger Theilnahme in meine Bitte gewilligt hatte, begaben wir uns auf den Weg.

Ich fand anfangs gegründete Ursache, mich wegen des gefaßten Entschlusses zu belobigen; denn kaum waren wir in das Zimmer des Polizeikommissars zugelassen worden, als er mich sogleich fragte: »Sind Sie nicht der Herr Prediger Bernier?« welches ich bejahte. – »Ich habe hier«, fuhr er darauf fort, »in Betreff der beiden jungen Damen, die Sie bei sich aufgenommen haben, Noten erhalten, welche erfordern, daß Sie mir, um in Folge derselben Rechenschaft ablegen zu können, einige Auskunft darüber ertheilen.« – Nachdem er hierauf aus einem Fache seines Bureaus mehrere Papiere hervorgeholt hatte, in welche er seine Blicke warf, ergriff ich, noch ehe er sein Verhör begann, das Wort: »Ich komme, mein Herr, um Ihnen von selbst diese Auskunft zu geben, und zwar, wenn Sie es gütigst erlauben, in Gegenwart des Meister Miller, der sich gerne dazu verstanden hat, Zeugniß über meine Aussagen abzulegen, da besagte Damen während einiger Wochen bei ihm in Pension gewesen sind. Ich erlaube mir also, Ihren Fragen vorzugreifen, indem ich Ihnen Alles, was ich weiß, mittheile.« – Hierauf machte ich den Kommissär mit dem Thatsächlichen der Lage der Damen, mit den Nachstellungen, deren Gegenstand sie von Seiten des jungen Herrn gewesen waren, sowie mit der Rolle, welche der Baron von Bülau und Marie dabei gespielt hatten, bekannt. – »Ich danke Ihnen«, sagte hierauf der Kommissär. »Die einzelnen Umstände, die Sie mir hier geben, ergänzen oder berichtigen diejenigen, von denen ich in Betreff der drei Individuen schon Kundschaft besitze. Da ich aber andrerseits weiß, daß Ihre Damen ohne Papiere hier sind, so ist doch nöthig, damit ich die Verlängerung ihres Aufenthalts in Genf bewilligen kann, daß ich Ihre Gewährleistung über zwei Punkte erhalte: der erste, daß die Eine der Damen mit dem Grafen X. wirklich vermählt ist; denn die Angaben, die ich erhalten habe, stellen das Vorhandensein dieses Grafen in Abrede, oder, was auf dasselbe hinausläuft, behaupten, daß er gar nicht wieder erscheinen dürfte.« – »Herr Kommissär«, antwortete ich, »ich habe ganz dieselben Angaben erhalten, wie Sie, und zwar zu dreienmalen, aber aus dem Munde desselben Bösgesinnten, den ein verbrecherisches Interesse dabei antreibt, sie zu schmieden und zu verbreiten. Demnach wage ich zu hoffen, daß Sie meiner zuverlässigen Aussage, welche sich auf die persönliche Bekanntschaft mit den Damen gründet, mehr Glauben schenken werden, als den eigensüchtigen Lügen eines schlechten Menschen. Ich versichere Ihnen, Gertrud ist unvermählt, Rosa aber vermählt.« – »Gut. Nun folgt mein zweiter Punkt: Sind Sie dessen gewiß, daß die junge Dame sich nicht guter Hoffnung befindet?« – Auf diese unerwartete Frage, die mich nöthigte, im Beisein Millers das offen auszusprechen, was zu verheimlichen ich so große Ursache hatte, erblaßte ich wie ein Schuldiger und antwortete mit großer Bestürzung: »ich habe im Gegentheil leider die Gewißheit, daß sie guter Hoffnung ist.« – »Dann, mein Herr, so leid es mir auch thut, Ihnen Betrübniß zu verursachen, muß ich Ihnen erklären, daß ich einen Abreisebefehl für die Damen ausfertigen werde, und daß sie noch vor Verlauf der nächsten acht Tage den Kanton verlassen haben müssen. So will es das Gesetz.« –

Diese so entschiedene, so unbarmherzige Erklärung, deren Ausführung so unmöglich war, verursachte mir so tiefen Kummer und so heftigen Schreck, daß mir, weil ich daran verzweifelte, länger zu Gunsten meiner armen Schützlinge kämpfen zu können, während ich sie dennoch als ganz verloren betrachtete, wenn ich sie so den gefährlichen Wechselfällen einer Reise ohne bestimmtes Ziel überlassen mußte, Thränen die Augenlider benetzten, und ich mich genöthigt fühlte, mich auf eine Bank zu setzen, um meinem Schmerze freien Lauf zu lassen. Miller näherte sich mir hierauf, indem er einige liebreiche Worte an mich richtete, und der Kommissär selbst schien sogar betrübt, als er mich in diesem Zustande sah. – »Ich fühle, mein Herr«, sagte er, »alle die Achtung, welche Ihre, diesen Damen erwiesene christliche Liebe verdient; aber Sie selbst werden mir sicherlich keinen Vorwurf darüber machen, daß ich so handle, wie es mir meine Pflicht vorschreibt. Sollte Ihnen jedoch eine Gefälligkeit damit geschehen, wenn die Frist, von der ich soeben sprach, auf vierzehn Tage ausgedehnt wird: so will ich es auf meine Verantwortung hin thun, da ich von der Dringlichkeit Ihrer Beweggründe überzeugt bin und Ihrer Rechtschaffenheit vertraue.« – Ich erhob mich hierauf, und nachdem ich dem Kommissär meinen Dank abgestattet hatte, verließ ich das Bureau, unterstützt von dem Arm des guten Miller, der während dieser peinlich beängstigenden Augenblicke mir jede Art von mitleidiger Rücksicht gezollt hatte.


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