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8.

Als ich mich den dritten Tag darauf, welches ein Montag war, in gewohnter Weise aufmachte, um die beiden jungen Damen auf ihrem Spaziergange zu begleiten, fand ich sie in einem schwer zu beschreibenden Zustande der Verzweiflung, und mein erster Gedanke war, sie möchten in Betreff des Grafen irgend eine schlimme Nachricht erhalten haben, die ihre schleunige Abreise erforderte. Ihre Sachen lagen in Unordnung umher, ihr Geschmeide zerstreut hier und da auf den Möbeln, und während die junge Vermählte sich in einer Ecke dem Weinen und Schluchzen hingab, beschäftigte sich ihre gelassenere, aber erbleichte und bestürzte Freundin damit, Kleidungsstücke einem Weibe, das ich anfangs für die Wäscherin hielt, zu übergeben. Hinter dieser Frau aber schien ein Mann, den ich als einen Juden meines Viertels erkannte, zu warten, bis jene mit den Kleidern zu Ende wäre, um dann den Handel wegen der Schmucksachen zu beginnen, so daß ich mir sogleich sagte, es sei hier weit eher von den Forderungen des Wirthes, als von üblen Nachrichten von Seiten des Grafen die Rede.

Es war jedoch auch das nicht, und Demüthigung weit mehr als Unglück war die Ursache der Thränen, die ich vergießen sah, und des Vorganges, wovon ich Augenzeuge war. Nachdem sich die Verheiratete, ohne anfangs ein einziges Wort hervorbringen zu können, in meine Arme gestürzt hatte, rief sie aus: »O mein guter Herr Bernier, werden Sie uns wohl noch beschützen wollen nach einem so großen Schimpfe, der uns mit Schmach bedeckt und uns der Verachtung aller Welt anheimgibt!« – »Was ist es denn, mein theures Kind«, sagte ich zu ihr, »und wenn Sie nicht Uebles begangen haben, wie kann Sie dann Verachtung treffen?« – Ich erfuhr nun, daß, höchst wahrscheinlich von niederträchtigen Absichten angestachelt, der Schreiber des Briefes, den ich erhalten, derselbe junge Mann, der am Tage vorher mein Gespräch mit dem Wirth mit angehört, sich beeilt hatte, diesem die Schuld der jungen Damen, die er für »Kreaturen« hielt, zu zahlen, und daß er es darauf gewagt hatte, bei den Damen zu erscheinen, versichert, geduldet und dann günstig aufgenommen zu werden, nachdem er, unter dem Anschein eines Darleihers, sich als den Urheber ihrer Befreiung und inskünftige als Gebieter über ihr Schicksal angesehen haben würde. Als hierauf die Damen sogleich die volle Unwürdigkeit dieses dienstfertigen Darlehens aus der höflichen Zweideutigkeit seiner Anträge erkannt, hatten sie den Wirth kommen lassen und ihm erklärt, daß er noch vor Ablauf einer Stunde bezahlt werden sollte, und daß sie gleichfalls, noch ehe eine Stunde verflossen, das Haus eines Mannes verlassen würden, der verächtlich genug wäre, durch seine niedrige Habsucht rücksichtslos den Ruf der Fremden, die bei ihm ihren Aufenthalt gewählt hätten, öffentlich bloßzustellen. Daher die Anwesenheit dieser Frau und des Juden; daher diese Unordnung der Effekten und dieses Schluchzen, hervorgerufen durch eine höchst beleidigende Beschimpfung. – Während die junge Vermählte mir diese Einzelheiten mittheilte, war der Handel weiter vor sich gegangen, und es hatte sich daraus eine Summe von ungefähr fünfzehnhundert Franken ergeben. – »Genug!« rief jetzt die Freundin; »entfernt Euch, und der Wirth soll kommen!« – Als dieser eingetreten war, wollte er sich erklären, Entschuldigungen vorbringen, Fristen vorschlagen; aber dieselbe Dame rief: »Fristen! nur noch eine Minute länger in Ihrem verhaßten Hause?! O! zu viel Ehre, und für uns zu viel Schmach, Unwürdiger, der Sie sind, daß wir überhaupt nur ein einzigesmal ihre Schwelle betreten haben! Hier sind Ihre zwölfhundert Franken; geben Sie mir den Empfangschein darüber; streichen Sie sie in Gegenwart dieses Herrn ein; verlieren Sie nicht ein Wort weiter und beleidigen Sie unsere Augen nie wieder durch Ihren Anblick!« – Der Wirth fügte sich in das, was ihm mit einem so gebietenden Tone befohlen war, und nachdem er sich entfernt hatte, blieb ich noch bei den beiden jungen Damen, welche um die übrigen Sachen, die noch zerstreut im Zimmer umherlagen, unbekümmert, in mich drangen, das Hotel in größter Eile zu verlassen.

»Nur einen Augenblick, einen Augenblick, meine lieben Kinder!« rief ich ihnen zu; »ich muß erst wissen, wohin wir gehen wollen.« Hierauf setzten sie sich nieder, erschöpft von Schmerz und Angst, und kaum hatten sie dies gethan, so zerflossen sie in Thränen. »In der That«, sagte ich zu ihnen, »Sie sind grausam beleidigt worden, und wenn der Herr Graf nicht bald ankommt, so droht Ihre Lage eine lästige zu werden. Doch – meine theuren Kinder, Unvorsichtigkeit, Unglück, Noth sind noch keine Sünde, und wenn die Prüfung von Gott kommt, so kommt auch die Befreiung von ihm. Lassen Sie uns also Muth fassen, und ein andermal, wenn Sie mich noch als Beschützer annehmen, halten Sie nicht mit Ihren Geheimnissen vor mir zurück; denn wenn ich gewußt hätte, daß Sie derzeit von Geld entblößt waren, so würde ich Ihnen durch sehr annehmliche Rathschläge, wenn auch nicht durch Opfer, die nicht in meiner Macht stehn, gewißlich diese Demüthigung und diese Verzweiflung erspart haben. Im Augenblick ist es das Dringendste, für Sie ein anständiges und bescheidenes Unterkommen für die Nacht zu finden, und ich will mich dazu anschicken; Sie selbst sorgen ebenso dafür, diese noch übrigen Effekten, die Ihnen einst noch werthvoller erscheinen dürften, als Sie es sich jetzt denken, in Ihre Reisekoffer einzuschließen, und in einer halben Stunde ungefähr werde ich zurückkehren, um Sie von hier weg nach einem sichern Aufenthaltsort zu bringen.« Sie stimmten in diese Anordnung ein, und nachdem wir überein gekommen, daß ich bei meiner Rückkehr auf eine gewisse Weise klopfen sollte, um daran erkennen zu lassen, daß ich es sei, so sehr befürchteten sie, daß sich der Wirth oder der junge Herr an ihrer Thüre einfinden möchten, verschlossen sie sich inwendig durch doppeltes Umdrehen des Schlüssels, während ich ging, ihnen eine Wohnung aufzusuchen.


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