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12.

Der Auftritt hatte mich angegriffen, aber dieses letzte Wort schmetterte mich nieder; und ich weiß nicht, was für ein Blitz meine Seele durchfuhr, der wie mit einem düsteren Leuchten die Art von Geheimniß erhellte, das hier noch über der wirklichen Lage der beiden jungen Damen schwebte. Bei alledem, sagte ich mir alsbald: welchen Glauben verdienen die Worte des Schlechten, und darf denn der treue Hund von dem räuberischen Wolfe die Wahrheit erwarten? ... Aber wie! wenn die Schmähsucht uns befängt, so findet sich auch die Verlästerung an den Ausgängen, um in unsern Geist einzudringen, und von diesem Augenblick an werde ich nicht mehr die volle Sicherheit und das reine Zutraun wiederfinden, die bis auf einige leise Eindrücke bis jetzt meine Schritte und meine Dienste für die jungen Damen begleitet hatten. –

Der Graf, hatte er gesagt, wird niemals kommen! Was bedeutete dann die ruhige Ueberzeugung seiner jungen Vermählten, was ihre Herzensergießungen, von denen ich Zeuge gewesen war, ihre Unbefangenheit, von der sich meine alte Erfahrung zu oft wiederholtenmalen, als von dem Anzeichen einer lautern Seele und eines von Verderbtheit freien Herzens, so schnell hatte einnehmen lassen? Oder hatte ich es etwa mit solchen frühzeitig lasterhaften und der Verstellung fähigen weiblichen Wesen zu thun, deren Schlauheit mit wunderbarer Vollendung in ihrer äußern Erscheinung die höchste Wahrheit der Aufrichtigkeit und der Unschuld nachtäuscht? Oder war ich auch wohl – denn ich werde alt, und die Geisteskraft nimmt ab mit den Jahren – der von selbst unklug gebrauchten Kunstgriffen unkluge Hintergangene und hat mir nicht etwa mein Alter selbst die Falle gestellt, in der ich mich fing, als ich mich zum Beschützer zweier Abenteurerinnen aufwarf, in deren Vortheil es lag, ihren unsittlichen Lebenswandels mit der geachteten Hülle meines Amtskleides zu bedecken? ... In Wahrheit, ich wußte nicht mehr, was ich denken sollte, und so groß war meine Unruhe, daß, nachdem ich, wie kürzlich, meine Zuflucht dazu genommen hatte, im Evangelium zu lesen, und mich dadurch nicht beruhigter fand, ich zu glauben begann, ich hätte sogar durch eine uneigennützige Selbsttäuschung meinen Charakter bloßstellen können, und grade dadurch, daß ich diese beiden jungen Frauenspersonen vor Schlimmem zu retten gedachte, ihnen nur ihre Sünden erleichtert und ihrer Unbußfertigkeit zum Deckmantel gedient.

Die Nächte sind schrecklich, wenn man sie in Zweifeln solcher Art hinbringt, und wenn man zugleich ungewiß über seinen Nächsten und sich selbst ist und sich ebensowohl scheut, nach christlicher Liebe zu handeln, als nicht. Auch hatte mich in dieser Nacht eine solche Schlaflosigkeit befallen, daß ich am folgenden Morgen unfähig war, das Bett zu verlassen.


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