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Vierter Teil.
Dramaturgen

Das Dramaturgen-Eiland

 … Schon jahrzehntelang hat man sich bemüht, durch Beobachtung von Dramaturgen eine genaue Kenntnis ihrer geistigen Fähigkeiten und tieferen Einblick in ihre Lebensgewohnheiten zu erhalten. Man hat neuerdings, um sie in ihren natürlichen Existenzbedingungen zu studieren, mit Hilfe der Berliner Akademie der Wissenschaften eine Dramaturgenstation errichtet. Hier sind Dramaturgen unter günstigen klimatischen Verhältnissen angesiedelt; es herrscht eine mittlere Jahrestemperatur von 17 bis 22 Grad Celsius, so daß sie sich dauernd im Freien aufhalten; das ist ein großer Vorteil.

Die Station liegt auf einer Insel inmitten einer Kohlpflanzung, welche die zur Ernährung notwendigen Bestandteile liefert. Die Station ist gegen den benachbarten Hain durch ein Drahtgitter abgeschlossen – sonst würden die Stationsinsassen die Bäume mit fetten Zetteln bekleben, unwahre Nachrichten anstecken, Reklamegerüchte in die Rinden schneiden, und die Stämme (welche durch Spucken des Harzes nicht hinreichend wehrhaft sind) auch sonst ruinieren.

In dem eingezäunten Teil, der meist von hohem Gras bewachsen ist, haben die Dramaturgen vollste Bewegungsfreiheit. Der Stationsleiter begann seine Beobachtungen mit 6 jungen Dramaturgen, zwei starben nach kurzer Zeit, alle wurden gegen die Aufwärterin zudringlich. Später starb einer an Schreikrämpfen. Die Sinnesfunktionen (Gesicht, Gehör, Geruch und Geschmack) erwiesen sich als nur mittelmäßig entwickelt. Das Riechen wurde mitunter in der Weise ausgeübt, daß der betreffende Dramaturg mit dem Zeigefinger über den zu beriechenden Gegenstand strich und dann am Finger roch. Interesse weckte bei ihnen ein Wasserbehälter – oft standen sie stundenlang nachdenklich davor. Sie gingen manchmal direkt bis an die Leitung und verweilten dort grübelnd. War es der dünne, hochsteigende Strahl, der ihren Augen einen aufgeregten Glanz gab? Abgesehn von einigen Prügeleien waren sie friedlich untereinander. Interessant sind Beobachtungen über Lautgebung und Ausdrucksbewegung der Dramaturgen. Sie benutzten die Vokale a, o, u, e, i zur Äußerung ihrer Gefühlszustände, häufiger jedoch die Finger. Die Ausdrucksbewegungen mit den Armen zeigen eine erstaunliche Mannigfaltigkeit: Freude, Angst, Geschlechtstrieb finden darin ihren beredten Ausdruck. Die Geste des wiederholten Greifens von unten nach oben bedeutet den Wunsch, Einzelunterricht zu geben. Rasch erlernen sie das Abschließen einer Tür, das Umdrehn eines Schlüssels. Bei Unlustzuständen kreischen sie.

Die Bedeutung des Fußbammelns als Ausdrucksform für Gemütszustände ist uns erst zum Teil bekannt. Eine vorgeschobene Unterlippe bedeutet: Mißerfolg. War es draußen kalt, so nahmen einige der Dramaturgen ihren Überzieher mit ins Gras und setzten sich darauf. Was die Intelligenz der Dramaturgen betrifft, so konnten, wie gesagt, erfreuliche Beobachtungen nicht gemacht werden. Immerhin lernen sie den Kritiker nicht nur schnell kennen, sondern erkennen ihn auch nach langer Zeit sofort wieder. Sie werden entweder, falls man sie abweist, frech. Oder sie suchen auf Passanten rednerisch einzuwirken, und zwar durch Bewegung der Ellbogen, der Daumen, durch Zucken mit dem After, mit den Schultern, mit dem Kinn, mit dem Genick, mit den Ohren, wobei Schweißentwicklung stattfindet. Bei ihren Spielen lagern sie gern um eine Bude, die sie »Redaktion« nennen, – von dort sind sie nicht wegzubringen. Einen der Mitspieler nennen sie »Feuilletonredakteur«, den bombardieren sie mit beschriebenen, fetten Papierzetteln, sie erklären, er müsse ihnen die Stiefel putzen, er sei der Hausknecht zu ihrer Bedienung. Die Redaktionsbude verunreinigen sie ohne Aufhören.

Neuerdings ist man auf der Station dabei, durch sogenannte Intelligenzversuche weiteren und tieferen Einblick in das Seelenleben der Dramaturgen zu erlangen. Die auf der Station beobachtete Spezies war bisher nicht in Beziehungen zum wirklichen Theater, sondern hat bloß Triebe des Bluts im Freien entwickelt. Zweifelhaft ist, ob die Stationszöglinge je die Vollendung eines Felix Hollaender bekommen werden, der von ihren anfechtbaren Eigenschaften keine besitzt. Es sollen demnächst Kreuzungsversuche mit Insassen einer Provinz vonstatten gehn, deren Einwohner wahrheitsliebend, wortkarg und keusch sind. Man ist auf das Ergebnis gespannt.

1915. 1. Mai.


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