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Eine Unbekannte

Della Guardia

I.

Wer über fremde Schauspieler urteilen will, soll nicht bloß Gastspiele in Deutschland sehn.

 … Wenn die Lichter auf dem Markusplatz angezündet wurden – in einem Herbst, in Venedig – saß ich im capello nero und speiste zur Nacht.

Dann lockte die Abendmusik und die schwarzen Lazerten in dem trachytgeplatteten Opernprospekt, den man Piazza nennt. Sie wandelten durch das Gewühl, harmlosen Ernst auf den Gesichtern, das Haar in einen griechischen Knoten gesteckt.

Doch wie schön die Abendmusik war, ich trennte mich schließlich von ihr; meistens um neun. Ich ging, weitab, über marmorne Brückchen; durch Gassen und Gäßchen, über dunkle Stege, unter Torwegen durch; wieder über eine kleine Marmorbrücke, an einer Kirche und einer Schusterwerkstatt vorbei; durch einen Säulengang am Wasser entlang, über Treppen zu Kirchenplätzen, an heimlichen Ecken und dort vorüber, wo die schöne Tochter eines Weinwirts in der Abendgasse stand – bis ich auf Irrwegen an einen niederen, gasbeleuchteten Eingang kam, der vom Dunkel kaum abstach. Dies war das Goldonitheater.

Hier sah ich die Unbekannte. Sie spielte jeden Abend. Das Publikum huldigte ihr, von der man in Deutschland bis auf den Namen nichts weiß: Clara della Guardia.

II.

Das Goldonitheater ist ein alter Kasten. Aber durch die mattblaue Decke wird ein Schimmer von Festlichkeit zu den klapprigen Lederbänken niedergesandt. Wie oft betrat ich dies alte Komödienhaus in schweigender Stimmung. Es läßt einen dämmervollen Eindruck im Gedächtnis. Halberleuchtete Gänge … die wurmstichigen Balken quietschen, wenn man hinter den Rängen entlangschreitet … Loge an Loge … ein melancholisches Orchesterchen spielt Operettenmelodien zum Anfang … in den dunklen, schmalen Zellen sitzen schwarzhaarige Damen mit gepuderten Gesichtern … hinter den Parkettbänken, zwanglos, den Hut auf dem Kopf, ein Trupp Herren.

Einmal während der Vorstellung, seh ich neben mir eine Katze sitzen (es ist keine Dichterlüge), sie sitzt still da und scheint dem Spiel zu folgen, später trifft man sie in jeder Vorstellung, die Hörer lieben, kennen und streicheln sie, die Theaterkatze.

 … Auf der Bühne spricht und gestikuliert die Della Guardia, hinreißend zwischen Lachen und Weinen … rasender Beifall aus dem Hause, … dann, im Zwischenakt schleich ich durch einen schmalen, trüben Gang hinter die Kulissen … sitze in der kleinen, hellen Garderobe der Della Guardia … sie lehnt geschminkt und im Kostüm in einem Sessel … mir im Profil zugewandt redet lächelnd der Advokat Herr Cesare Sarfatti, ein großer, starker, mondäner Venezianer mit prachtvollen Schnürstiefelchen … Das Licht fällt in die vielen großen und kleinen Spiegel, die auf dem Tische stehn; die eine Gesichtshälfte des Venezianers ist ganz dunkel … wir sprechen französisch und lachen … Der Advokat sagt (mit einer Verbeugung gegen mich), Deutschland sei groß in der Politik, aber (mit einer Verbeugung gegen die Della Guardia) Italien groß an schönen Frauen … es klingelt … wir müssen hinaus … der Advokat rennt in seine Loge  … ich ins Parkett … im nächsten Zwischenakt sitzen wir wieder da  …

Wir in Deutschland kennen die Duse. Die Duse ist jemand, der fast außerhalb der Vergleichsmöglichkeit steht. Aber auch dieses Jahrhundertgenie dankt natürlich vieles der Abstammung. Wenn eine Della Guardia nach Deutschland käme, würde man sehn, was an der Duse national ist … So eine Della Guardia hat nicht ihren Schmerzenszug; doch sie gibt anklagenden Haß, Qual, schluchzenden Groll, tobt im Begehren wie im Wehren, ein Hauch von sinnlicher Gesundheit umströmt sie, sie hat eine Stimme, die man im Gedächtnis behält: ein metallisch zitternder Ton. Ihr stärkstes Merkmal ist Leidenschaft, Leidenschaft, Leidenschaft. Ihr allerstärkstes, daß sie Italienerin ist.

Vom Schwarme der Unbekannten.

III.

Es war einer der seltsam dunkelsten Abende während der paar Wochen, die ich damals in Venedig wohnte. Die Della Guardia spielte die Musotte. Ein leiser Schauer faßt die Hörer, wie aus der Ecke, wo die Sterbende gebettet ist, Töne voll Schmerz kommen. Leise, entsetzliche Klagen quellen aus dem Innern eines wunden Geschöpfes. Wie ein arm verendendes Tier liegt sie und schreit aus tiefster Brust, wenn sie das Wühlen des Todes in den Eingeweiden spürt. Man macht es so bei uns nicht … Mit einer Inbrunst hält sie dann den brechenden Blick auf den Geliebten. Sie umschlingt ihn; und noch ein letztes Mal. Still und rasch war sie dann tot.

Die Leute schaffen sich, im Innersten erschüttert, Luft in Stockstampfen und Klatschen. Rechts in der Orchesterloge applaudiert eine blasse Dame vor allen; die Della Guardia verneigt sich tief gegen sie. Es ist die Duse.

Die Duse; die ganze Gestalt in Schwarz, nur die Handschuhe weiß. Ich sah lange nach dem Zaubergesicht während des verhallenden Schlußakts. Es hat doch nicht seines gleichen in der Welt. Um elf Uhr (es war eine dunkel sommerliche) Nacht schritt die Duse mit drei jungen Damen, die in ihrer Loge gewesen, durch ein venezianisch enges Gäßchen langsam zum Canalazzo. Sie stieg mit den drei Jungfrauen in eine Gondel, unter dem Dach von schwarzem Tuch nahmen sie Platz und fuhren durch die schwermütigen Gewässer. Rechts lag die nächtige Rialtobrücke.

Es war im September 1894.

IV.

Ich sah die Della Guardia jeden Abend. Einmal machte sie in rasendem Lustspieltempo die Bezähmte Widerspenstige. In jedem Zuge stürmisch-resolut. Mit welcher bestienhaften Grazie sie sich vor Vater und Bräutigam aufführt. Mit welcher komischen Wut sie die jüngere Schwester durchprügelt. Und was war diese Wilde zuletzt für ein holdes, entzückendes, gezähmtes Käthchen! Selig schielte sie zu dem geliebten Mann empor. Ich spürte das Walten der andren Rasse. Der Schauspielerrasse. Gott hat ihnen vieles im Schlaf gegeben.

Einmal sah ich die Della Guardia als Magda, die aus dem Elternhaus verstoßene Berühmtheit. Beim Wiedersehn mit dem Regierungsrat brach sie aus. Diese Wildheit des Mutterinstinkts: wie ein Gewitter kam es über den Mann, der fahl und starr vor Entsetzen, nicht bloß in zufälliger Verlegenheit ihr gegenüberstand. Sie las ihm nicht die Leviten wie eine deutsche Gattin und Mutter; sie war nicht sarkastisch-höflich wie eine Weltdame: sie tobte schluchzend wie ein Weib, dem es im Augenblicke klar wird, daß dieser Mann ihr Leben verdorben hat. Sie schluchzte, anklagend, schrie sich vom Herzen herunter, was sie in allen Jahren mit sich geschleppt. Unvergeßlich ist sie: schwarz wie eine Neapolitanerin, mit vorgebeugtem Oberleib, die leidenschaftlich gestikulierenden Hände vorgestreckt, der ganze Körper erschüttert von bebender Glut, die Augen voll Haß wider den Mann gerichtet, auf den sie stürzen zu wollen schien … Und sie war doch nur eine Unbekannte.

V.

Über fremde Schauspieler kann der nicht entscheiden, der Gastspiele in Deutschland sieht. Über italienische nicht, wer niemals in Italien war; wer nie in sommervollen Nächten eine Schmiere sah, darunter mittendrein einen Kerl oder ein Weibsbild – der Kopf umleuchtet von der Gloria des Landes; einer Rasse.

1894


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