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Sybil Smolowa

(Tschechin)

I.

In Berlin sagte mir Edgar Varèse, dessen »Bourgogne«-Symphonie vor zwei Wintern blühend und dämmrig erscholl, – sagte Varèse, bevor er zum Sommer nach Frankreich ging: »Ich möchte, daß Sie zwei tschechische junge Mädchen kennenlernen; Anfängerinnen; waren kurz bei der slawischen Bühne, haben wenig Menschen in Berlin – vielleicht wissen Sie, zu welchem Lehrer sie könnten.« Ich sagte zu; obschon Gestalten vom Theater  … Ich dachte: »Eine Gefälligkeit –? …?«

II.

Eines Nachmittags erschien Sybil Smolowa (mit ihrer Freundin). Kein Kind mehr; noch keine Frau. Sondern etwas Schlankes, Herrliches, Fremdes, Unbestimmtes. Beinah weißblond. Trockenes Haar; jedes Haar einzeln. Schwebend im Profil. Was ist das für ein Antlitz? Es haftet kaum. Wer es auch zeichnet, es wird abweichend aussehn. Etwas schwer Festzuhaltendes. In der Ruhe gar und überhaupt kein Gesicht. Sondern: der einsam-wilde Widerschein von tausendunddrei flüchtig-getönten, verstohlen schwindenden Zaubergesichtern. Alles zuerst nur eine Nase; jung, stumpf, heimlich, fast aufwärts, sarmatisch; von einer Prinzessin und einem Waldtier.

Kein Gesicht, sondern eine Nase. Und kein Aug', sondern bloß ein helles Pupillenhuschen.

Ein Schemen, wenn sie Ruhe hält; wie ein Kodakfilm, der in der Sonne nicht kam; doch ein leichter, lieblich-wacher, lichtumrissener Schemen; koboldigköstlich; dahinter dämmert …

III.

Dahinter dämmert ein andres Volk, dahinter summt eine andre Musik, dahinter träumen andre Tänze.

IV.

Mit ihrer slawischen Stupsnase macht sie, licht und wach, das Rautendelein; einmal tschechisch, einmal in unsrer Sprache. Ein blondes Katzel. Berückend, halbleise, tierhaft, jung. Einen lehnenlos niederen Stuhl setzt sie von meiner Wand in die Mitte des Zimmers, kniet hinauf, beugt sich über den Brunnen. Töne, Blitze, Schwingungen, abgebrochene Halbgesten, Zwischenregungen. Alles durcheinander, frühmädelhaft, aus einem Fluß, mit Gestuftem, mit Zickzack. Nichts Prächtiges, nichts Hingelegtes; nur Erfülltes. Ob es für eine große Bühne reicht, soll man abwarten.

Doch in jedem Raum wird sie für einen Menschen mit Augen, für einen mit Gehör, für einen Freund belebten Lichts und für den Freund einer Schauspielkunst, die nicht in Unterstrichenheiten verkaffern will, die nicht Überdeutliches an die Wand malt, – für den wird sie ein entdämmerndes Wunder bleiben.

Sybil, werde nie gewöhnlich, straf mich nicht Lügen. Jedes Glied an ihr tanzt, wenn sie eindringlich, selbstverloren, lächelnd, festlich, trommelnd, schrillend, erschreckt, wirbelnd, hier und wo anders ist. Eine Wipfelkatze – mit dem Atmen des Berglichts um sie.

V.

Oder sie sitzt ganz still und schlicht, vor sich sprechend. Sie spricht, was ein Aschantimädel zu dem Peter Altenberg sagt, was sie schreibt. Über die Lippen tönt das hin – wie etwas Biblisch-Einfältig-Inniges, mit einem gefaßt bekennenden Tonfall; wunderbar; ohne jeden Aufwand an das Verborgenste fassend.

Als hätte die Dumpfheit der Erde hier litaneiend eine zögernd slawische Mädelkinderstimme bekommen.

VI.

Wer diese Musik vernahm, wird sie lange hören. Liebe, liebe, lichte, hoffende, drollige, menschenmütige, junge Sybil Smolowa. Straf mich nicht Lügen.

Deutsch kann sie noch schlecht. Aber schon etwas. Und ferne Windstimmen entlegnerer Gefilde holt sie nun in die Musik unseres Sprechens; neue Klänge; an denen andre Gruppen, andre Sonnen, andre Ahnen gearbeitet.

Auch hier sind Befruchtungen möglich: wie Ernesto Rossi für unser Sprechen welche gebracht. An Alessandro Moissis erstes Erscheinen denkt man; als (während beiläufig die Duse links in der Loge saß) ein Unbekannter seltsam sagte: »Ich bin Orä … st«, und bei aller Bühnenscheußlichkeit ein Empfinden hochkroch: als wenn man im Traum Venedig riecht.

VII.

Sybil Smolowa soll bei uns ihren Weg zu Ende gehn. Ich glaube fest an Kreuzungen.

Deutschland besitzt Herrliches an eignem Blut nachwachsender Kräfte. (Von Frauenwesen sind es die Dietrich und die Thimig – diese letzte, für die man weiter als bis Lauchstädt reisen mag, wo sie hell ans Licht gekommen, ein junger, bewußt reizarmer Kerl, der nur Mensch sein will und schmucklos und Gehalt. Daneben die bluterleuchtete Mary, selig im Sturm, fortreißend in ihrer wildtiefen Beginnerschaft.)

Sie bleiben uns, deutsch beide. Ihr dürft aber nicht vergessen, daß die Größten im selben Deutschland, die Sorma, dann die Else Lehmann, daß die eine vom polnischen Vater Saremba, die andre von einer polnischen Mutter stammt. Slawisch beide; deutsch beide; die Mischung macht es.

VIII.

Nun geh', Sybil. Schreit' hin. Mach' deinen Weg. Fahr' wohl.

(Straf mich nicht Lügen …!)

1912. 27. Juni.


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