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Die Sorma

Die liebe Fraue

I.

Im Reiche der Sorma wachsen Zypressen und Rosmarin, stille Tränen fließen, Lachen erklingt. Sie gesellt das Widerstrebende: Innigkeit und Gassenmädelgrazie; Leiden und Betrug. Ihre Welt ist die Welt der holdesten Tragik und der trauervollsten Koketterie.

Wie sie, vierzehnjährig, in ihrer Vaterstadt Breslau auf die Szene trat, ist sie als ein feines und schmiegsames Wesen zwischen den Soffitten herumgewandelt. Ich denke sie mir wie die kleine Marianne Jung, Goethes spätere Suleika, die vierzehnjährig als Bühnen-Harlekin aus einem Ei schlüpfte (zum Entzücken der Frau Rat und des jugendheißen Clemens Brentano). Nur hat in der grauen Oderstadt kein frankfurtisch-fröhlicher Glanz die Anfänge dieses Theaterkindes bestrahlt. Sie trat nach den Kinderrollen in den freudlosen Chor.

Kind und Weib ist sie geblieben. Seelische Lieblichkeit schwebt um die Sorma dort am leuchtendsten, wo sie am kindlichsten ist. Etwas Mignonsüßes ruht in der Glanzzeit auf ihr. Hätte Goethe dem »wunderbaren Kinde« dramatische Gestalt verliehen, die Sorma könnte es verleiblichen in Fremdheit und mancher irren Sehnsucht. Aber diese stumme, wie von Schleiern umflossene Gestalt trug auch Philinens frevelhafte Anmut, – Kind und Weib.

II.

Kind und Weib. In den besten Tagen ist sie eine Julia von dieser Mischung. Ein wundersüßes, reifes Einsegnungsgeschöpf; der seligste Drang, mit leisem Schlag erweckt, zaubert natürliche Hingebung; ein junges, sinnlich-zages Wesen, mitten zwischen Kindschaft und Frauentum, mehr ahnend als begehrend – doch trunken und schwer von Liebe. Wenn sie vom Balkon dem harrenden Montague auf den Anruf der Amme ganz leise zuwispert: »Wart einen Augenblick, ich komme wieder!«, im Ton eines eiligen, heimlichtuenden und grenzenlos liebenden Schulmädchens von erwachenden Sinnen: so ist das ein Gipfel in der Synthese von Weib und Kind.

Kind und Weib ist sie noch als Nora. Der Übergang der Lerche zur Frau wirkt bei ihr am tiefsten. Sie gibt nur eine Frau, auf die unendlicher Schmerz niederfällt wie Frost; deren Hauptgefühl nicht der Drang zur Abwehr ist, … sondern die unauslöschliche Trauer. Henrik Ibsen hat sie – deshalb? … trotzdem? – »meine allerbeste Nora« genannt.

III.

Weib und Kind ist die Sorma bei Schnitzler, als Christine. Das blasse wiener Bürgerkind, das eine unüberwindbare Neigung faßt und grausam daran zugrunde geht. Wer in verhaltener Liebesfülle hier ihre Stimme zittern gehört, himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt, der vernahm den Herzschlag der zwei Altersstufen. Als Rahel bei Grillparzer, – was für eine schmeichelnde Schmetterlingsgrazie! Ein schönes, kokettes, armes Rachelchen, ein verführerisches, verspieltes, verbuhltes, zartes Kind, voll lockender Schmiegsamkeit und eigenwillig holder Liebeslaune, – Kind und Weib. Als Célimène bei Molière hat sie in der leise durchblickenden Neigung für den Menschenfeind ihre Höhe, und in der halb beschämten, halb trotzigen Zerknirschung als entlarvte Sünderin.

IV.

Die Sorma gibt Frauenart in seelischen Abschattungen, von der schmerzvollen Beterin bis zur lachenden Vernichterin, von der Leidenden zur Lockenden, vom Weib zum Kind.

Sie kann bei Maeterlinck erschüttern, daß man ihr noch mehr die Menschlichkeit als die Legende glaubt. Als Lessings Minna ist sie von einer entzückenden Beseeltheit, die über allen Stilen steht. Und sie beschritt den Weg zu ihrem Gipfel als unvergessene Mutter des kleinen Eyolf, verlorene Regungen zergliedernd, vom Gesetz der Umwandlung durchschauert. Sie bewegt nicht durch Das was sie kann, sondern was sie ist. Man mag sie, alles in allem, nicht anders nennen als die liebe Fraue unsrer deutschen Schauspielkunst.

1900.

Wiederkehr der Sorma

Niemals ist ein Ding ein Wagnis.
Wenn du mitspielst, Agnes, Agnes.

I.

Endlich. Wie lange hab' ich das nicht genossen. Man wußte nur, daß es noch da war: in den Provinzen, irgendwo. Dieser himmlische Besitz, zeitweilig verklungen. Dort und hier herumgeisternd … und nicht für uns, die wir sie zu schmecken vermögen. (Auch etwas Geisterndes kann man schmecken – bitte!) Verklungen in einer nahen Ferne.

Wie ein Opal, der sich in der Wohnung verrollt (wofür man in dieser Stadt greulich sagt: verkrümelt); man weiß aber, daß er da ist – und kann ihn bloß nicht finden.

II.

Ein Opal ist die Sorma, den ich mir so vorstelle: eine Spur schieren, braunen Gesteins ist noch daran, vom Urbezirk der Herkunft; dazwischen die Gloria berückenden Geäders. Opale dieser Art sind wirklich die wundersamsten: wo der braune Fels neben der Magie des Schillerns trostvoll sichtbar wird. Ein Urbeispiel ist sie für die Verwandtschaft von letztem Adel mit leuchtender Volkstümlichkeit. Dreimal adliger als der sämtliche Adel Schlesiens –: und zugleich die holdeste, sehnsuchtstiefste, lächelndste Tochter eines bestimmten Landbezirks.

(Sie müßte, künftig und dereinstens, in der alten Oderstadt, im Witterungskreis der Friedrich-Wilhelmstraße, wo sie zur Welt kam, ein weißes Denkmal haben, auf einer grünen Bauminsel, von Schwänen umschwommen. In festem Marmor – mit Feinmeißelei.)

III.

Sie gab Hofmannsthals »Frau im Fenster« … Aber man will beinah von den Zufälligkeiten eines bestimmten Abends nicht sprechen: weil dieser Mensch, der unser Leben reizvoller macht, eher gegrüßt werden soll als zerlegt.

Mir schien, daß vom aufgelösten Haar ihr Gesicht etwas verlängert wird. Nach einer Minute weiß man es nicht.

Bei den Versen erinnert man sich der großen Kunst William Wauers, der vor zwei Jahren als einziger die Musik solcher Sprechstimmungen – vorbildlich und ein für allemal und unbemerkt – herausgemeistert hat.

Aber die Sorma war Das, was sie mitbringt; was sie ist. Sie war Das, was sie himmlisch und oft gegeben hat. Es ist ein Merkmal für unsre Reife: daß wir etliches Unantastbare besitzen. (Ein Merkmal nicht für fehlenden Kunsthunger! nicht für fälschliche »Treue«! sondern für Reichtum. Hier ist die holdeste Klassikerin – vielleicht für ein Jahrhundert.)

IV.

Wir haben ja die Hedwig Niemann gekannt; und die Else hat mich neulich, in dem »Konzert« von Hermann Bahr (welches wirklich allerbester Fulda ist; Fulda mit einem Stich; Fulda hat so was nie gekonnt, aber es ist doch Fulda) – die Else Lehmann hat neulich alle tief bewegt, in einer Lustspielrolle, sie bleibt eine fabelhafte, reale Magie; und doch …

Aber man soll nicht vergleichen.

V.

Ich vergleiche deshalb die Duse nicht mit der Sorma. Die Duse, welche nicht ihresgleichen; und die Sorma, welche nicht ihresgleichen bei uns hat.

VI.

Als Mirandolina bei Goldoni trug sie, die Sorma, ein Jäckchen, das einen manchmal störte. Ein Schoßjäckchen, unvorteilhaft für die Gestalt. O, Jäckchen, ich grollte dir. Aber was tut es. Wenn die Pupillen in die Ecke der Äuglein gleiten. Wenn sie zwinkert; schlaumeiert; dabei so eine besondre Art von ernster Gütigkeit verrät. O Venezianerin Duse, – o Schlesierin Agnes.

VII.

Nicht aus einzelnen Sätzen dieser Kritik: sondern, Leser, aus ihrem Gesamtinhalt wird ihre Herrlichkeit mit aller vereinzelten Anmut eines solchen Falles kenntlich.

Hie und da Grimassen. (Aufenthalt in der Provinz. Hierbleiben!!) Aber sie gab, im letzten Grunde, was sie ist; was niemand erlernen; was sie nicht verlieren kann.

Was sie einmal gegeben hat – und für alle Zeiten gibt. (Die Artikulation kann Fortschritte machen, … was tut es? Nichts tut es.)

Und warum ausführlich sein: während man in ein Wort das Ganze zusammenfassen kann: Endlich!

Endlich.

1910. 19. März.

Melodie

I.

Ich zeichne kurz den schwachen Text eines Franzosen, Henri de Rothschild, welcher »Die Rampe« schrieb – (wozu die Frau ihre Melodie sang.)

Die Arbeit ist geschmackvoll; ganz liebenswürdig: aber zu leicht. Immer nur ein paar Züge bringt er; das Letzte nicht. Das Stück ist, ach, schon oft geschrieben worden. Zweimal bei uns von Hermann Bahr. In Frankreich von Meilhac; »Der Mann der Debütantin«. Daudet hat es erzählend geschrieben; in einer Künstlerehe läßt bei ihm der Mann aus Rollenneid seine Gattin von einem gemieteten Schwarm auspfeifen; das ist der Gipfel.

Bei Rothschild zeugt Rollenneid … nicht bloß Entfremdung, sondern Selbstmord.

Manches ganz hübsch gesehn; so zwischendurch; die Abgestoßenheit einer Frau der feinen Treibhausgesellschaft in der rüden Schminkewelt. (Sie ist verliebt zum Theater gegangen, mit einem Histrionen.) Die Abgebrühtheit solcher Umschicht; das Erkalten der Gefühle; das Verletztsein: das alles ist bei Rothschild … glaubhaft, aber nicht bestürzend gut.

Er verstreut nette Punkte. Der Mime wird unzart; aus Wut; aus Neid … (Aber selbstverständlich! Falls ein Schriftsteller eine Schriftstellerin heuert, scheint es mir wie ein Verstoß gegen den Paragraphen 175.)

II.

 … Wenn die Sorma den Rock rafft, – so rafft sie ihn kaum, sondern sie faßt mit der Hand nur in die Nähe des Rocks, flüchtig, andeutend. Viel Zagendes durchgeistert ihre Seele, viel Zartes, viel Verdutztes – in dieser fremden Welt, zu der halt eine Liebesleidenschaft sie hinzieht.

Sie geht herum, von einem seltsamen Gefühl durchwittert, durchleuchtet … und still durchfoltert.

Wieviel Musikhaftes. Wenn sie nur eine Person, die sich zu laut benimmt, … nicht herzlich grüßt.

Und wie tragisch im Glück.

III.

Als eine Frau, die alles erfahren hat, wirkt sie doch wie ein beginnender Mensch, der vor der Lebensreise steht. Unvergeßbar.

Verirrter Vogel. Wie sie zögernd äugt. Wie sie trauert, unter der Oberfläche. (Unter der Oberfläche.) Wie sie lächelt, ohne ganz froh zu sein.

Unvergeßbar.

Dies Leise … Dieser stille Seelenglanz. Diese traurige Grazie. Dies – man könnte fast sagen Sublimierte; das Wort wäre zu schmusgeistig. Eher schon: diese Sternenholdheit.

Das ist es.

IV.

Verirrter Vogel. Die Sorma sieht aus, als würde sie … als würde sie so gern ihr Bestes in den schwierigen Verhältnissen tun. Umsonst. Es ist wunderlich ergreifend. (So ergreifend, wie sie im Leben ist, in einem Sessel sitzend. Oder wenn man sie am Mittelländischen Meere trifft.)

Bei stärker dramatischen Tönen meldet sich manchmal der Begriff: Gastspiel. Auch das wird gehn, wie es gekommen ist: wenn sie die Provinzen verschmerzt, unsre Nähe gefühlt hat.

V.

Sie selber steht Bühnendingen so fern in ihrer Hoheit … wie die Frau, die sie machen soll.

Für das, was sie ist, lebt kein andres Wort als: eine Melodie.

Durch ihre Melodie gab sie das Beste.

Schönheit. Schönheit. Schönheit.

1910. 30. März.

Sobeïde

I.

Hofmannsthal: »Die Hochzeit der Sobeïde.« … Das Gemeine des Lebens. Eine Hochzeiterin springt vom Turm; und ihr Gatte fühlt sich zerschmettert. Zwei Leute, die nicht gemein sind: das bringt ihnen furchtbares Weh; sie »hêten alle jâmer unde nôt«. (Er, weil er sie gütig gehn ließ; sie, weil sie hoffend ging.)

Ein Werk, das neben Abgenutztheiten still Gefühltes und im Gedächtnis haftende Worte hegt. Das bleibendste (für den Mann eine Treppenerkenntnis, ach, eine Turmtreppenerkenntnis): »Besitz ist alles.«

Besitz ist alles. Recht hat er.

II.

Die Sorma verstärkte diesmal, wie mit Rücksicht auf die Zuhörer, den Ton. Sie wollte helfen. Nämlich der etwas … zähen Tragik dieses innerlichen, doch von keiner »Hand« gegliederten Werks; diesem halbverschluckten Enttäuschtsein mit einer Katastrophe; dieser trocknen und laut-schwachen Pein, von dünn merklichem Strom durchlebt; diesem nachdenklich-fühlsamen, doch stumpfen und nicht sehr beholfenen Gedicht. Kurz und gut: sie wollte gern eine Erschütterung herauszwingen; Erregung und Heftigkeit hineinschaffen; aber …

III.

Aber ich liebe (wegen der Dankbarkeit für das Beste, das sie hat) Schreie dieser Art nicht. Nicht an ihr. Eine zu betonte Dramatik.

Leistungen sind es. Nur Leistungen.

Warum (dacht' ich) grade hier, in einer schwachen, doch edlen Arbeit, nicht stille Trauer? die der Sorma?

 … Sie gab der Gestalt einen Lebensdurst; ein Gradezusein; ein Hinausrennen; in manchem Gestus was Linkisch-Junges; (manchmal wirklich den Stimmklang eines kaum eingesegneten Mädels). Köstlich, aber …

Aber dann, wenn sie nach dem Hinausrennen wiederkommt; wenn sie vom Turm gesprungen ist; wenn das Koma jetzt beginnen soll: da gab sie weder eine Sterbende (sondern eine Vers-Sprecherin) noch hielt sie den Umriß der Gestalt bei.

Ein Aus-dem-Rahmen-Fallen … Weil sie eine Leistung zuvor gegeben hatte: statt sich zu geben. Ecco.

IV.

Doch wie sie dankte, sich verneigte, blickte, da man sie rief … Und auch zwischen allerhand verfehlten Zügen wußte man: die Sorma ist es; sie; mit ihrer holdesten Leuchtkraft.

Über Auffassungen, Irrungen, Unterlassungen läßt sich streiten: über solche Leuchtkraft nicht.

V.

Ein Akt von Shaw: »Wie er ihren Mann belog.«

Das Gerüst: der eitle Gatte voll boxender Wut nicht über Leidenschaft, sondern über mangelnde Leidenschaft eines Dritten.

 … Auch hier war bei der Sorma Unterstrichenes. Nicht Andeutungen für uns Wenige: sondern Fingerweisungen für Gäste, die zu Beginn »Lauter! lauter!« gebrüllt hatten.

Zwischen allem jedoch brach ihr Edelgeblüt hindurch. Wieder fühlte man: daß sie da war, – diese vereinzelte Person. Über Auffassungen, Irrungen, Unterlassungen, läßt sich streiten; über das Letzte nicht. Sie hat es. Nein, sie ist es.

Der Schlüssel ihrer Kunst … bedeutet nur:

Nicht eine Leistung zu geben – sondern sich zu geben.

1910. 19. April.


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