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Japaner

Sada Yacco

I.

Die Schauspielkunst dieser Japaner ist blumenhaft und schlächterhaft. Sinnend und wild, harmlos und tödlich. Eine Kinderkunst: ohne die Abschattungen unseres weltstädtischen Verstandes; vielleicht ohne die Zwischenstufen unserer durchgeistigten Gesittung. Diese Kunst hat nicht unsere Seele; doch sie scheint wie ein Traum vom Duft, von pflanzenhafter Lieblichkeit, von stiller fremder Tönung, von leuchtend absunderlichem Dasein. Von schmalen Füßchen, kleinen Stäbchen, zieren Schiebwändchen, zartgestickten seidenen Stoffen. Und von Schlächterei.

II.

Wenn die Sada Yacco die Treppen eines Puppenschlafzimmerchens hinabsteigt, in die Pantöffelchen schlüpft ohne hinzublicken; wenn draußen die Nachtigall flötet; ein melodisches Geräusch von Trommelgetupf und Darmsaitengezupf durchs Dunkel klingt; durch ein Halbdunkel mit verschleierten Laternen; wenn sie vor dem Sterben still bitterlich weint, weil sie dem Retter aus Räubergraus, einem schönen Kavalier, versprach, was sie jetzt nicht halten darf, den Mord des Gatten wie den Zutritt ins Schlafzimmerchen; und weil sie nun von der Erde scheiden muß: dann fühlt man eine Brücke von uns zu jenem Land – doch man sieht ihr Ende nicht.

Fabelhafte Blumen scheinen zu wachsen, berückende Gewinde gaukeln, schmale Menschen flöten, piepsen, zwitschern, tupfen. »Kleines Fischchen Brididi!« Dieser Heinrich-Heinesche Klang läßt mich nicht los: kleines Fischchen Brididi! Es wird ein Merkmal: Brididi! Brididi!

III.

Wenn am Sonntag die Leute dieser Stadt für drei Mark auf ihrem Fotölch sitzen, rufen sie gewiß in die Japanervorstellung mit Bierstimme: »Justav halt dir feste!« Sie mögen die eintönige Anmut so einer Vögelchen-Kunst als ganz faulen Zauber erklären, sich für die seltsamen Reize der Linien nichts kaufen wollen, die trippelnde, hinschwindende Grazie der Sada Yacco anrülpsen. Was tut es? eine krudelschöne Magie spricht aus dieser Puppenwelt; eine Lieblichkeit; ein bildhaft erlesener Genuß … brididi!

IV.

Bleibt das Schlächterhafte. Aber nein, dazwischen gibt es noch eine Stufe: die Athletik, der heroische Kasperle, die Kämpfe des Indianertums, der körperliche Sieg. An Fußtritten auf den Podex herrscht kein Mangel; die Gliedersprache ist ausgebildet, mehr als die Gesichtssprache; wie bei Naturvölkern. Vieles ist mimisch grob – man erwartet immer einen Kriegstanz.

(Am wenigsten ausgebildet ist die Sprechkunst, … und darin liegt die ganze Kluft zwischen Asien und Europa.)

Ein Kampf, beispielsweis, am Felsenabgrund findet statt. Höchste Spannung. Werden sie hinunterfallen? Welcher wird hinunterfallen? Ein Ritter und ein Räuber ringt. Kopfüber schießt der Räuber in die Tiefe. Der Ritter wird später noch einmal bewältigt, eine Pyramide von Leibern auf ihm, er kreucht unten durch, befreit die Geliebte, – fein! fein! Noch beim Abziehen erhält jemand furchtbare Fußtritte in den Podex. Hurra, das waren deutsche Hiebe! wollte sagen: japanische Hiebe.

V.

Also: diese Mimen zeigen mehr Fertigkeiten als seelische Tiefe. Mehr Körperliches als Durchgeistigtes. Und doch nimmt man sie ernst, wenn man die Sada Yacco betrachtet. Sie macht einen Herzkrampf, schnaubend, eine Furie; unkenntlich vertauscht ist ihre Holdheit; das Gesicht bläht sich; sie schielt; sie wird bleich, sie wird blau; sie verreckt … wie ein Tier. Das ist der Naturalismus dieser Pflanzenmenschen. Und wenn sie als Kesa geschlachtet wird, vom Liebsten, den sie auf der Welt hat, und sich fatalistisch dumm dazu hingibt: da sieht man um ihre Gurgel das Blut rinnen, ja das geronnene Blut. Vor dem Schlachten zappelt sie wie ein Huhn.

Wir sind keine Naturmenschen mehr, der Anblick wird uns »peinlich«; die Japaner haben indes den Zusammenhang mit dem großen All noch nicht verloren, sie ertragen das Zappeln. Ich sah zu Venedig im Theater jene Desdemona, von Othello erwürgt, die genau so zappelte: wie ein Huhn. Es sprechen klimatische Einflüsse mit.

Zuletzt vollzieht Kawakami eine Bauchaufschlitzung. Man sieht das Blut fließen, strömen, glucksen; das Gewand wird gefärbt. Ich denke wiederum an den gallischen Pathetiker Mounet-Sully, der sich als Ödipus beide Augen ausbohrt, im französischen Staatstheater, mit Blutbefleckungen, mit roten Löchern – schauerlich. Auch der Westen steht dem Naturhaften näher als unser kühler, graugewölkter Norden  …

VI.

Die Bühnenkunst der Japaner, wie man sie außerhalb Asiens zeigt, ist durch Treibhauseinflüsse gegangen. Eine Vorstellung in Japan dauert ja einen Tag, die Zuschauer bekommen das Essen ins Theater; von früh um sieben bis abends um neun. In Europa gibt man bloß die Hauptszenen, die berühmtesten Szenen. Was sagen sie uns schließlich?

An dieser immerhin einfachen Kunst werden sich vielleicht am stärksten die Nichteinfachen ergötzen; die Stutzer, die Zartschmecker, die Genüßlinge, die Äffchen. Doch was uns allen Ewiges daraus erblüht, ist: daß wir in der Betrachtung so fremder Gesetze die heimische Drolligkeit erkennen. Hat man diese Bühnenjapaner vor sich, so lächelt man über unsre Sittensatzung, wäre bereit, Gefängnis und Zuchthaus bei uns wie eine Kuriosität zu ertragen und denkt gesteigert mit Anzengruber: Es kann mir nix geschehgn! … Nix kann mir gschehgn!

VII.

Sada Yacco wird die japanische Duse genannt. Man nehme an, es sei nicht bloß das Wort eines Impresarios. Wenn sie für eine Welt von Inselasiaten die Summe des Mitleids und die Summe der Schönheit vermehrt, dann stimmt es.

Aber daß sie etwas wie eine Duse sein könnte, müssen wir glauben, – glauben. Zu erkennen vermögen wir es nicht mehr.

 … Blumenhaft und schlächterhaft ist diese Kunst. Sinnend und wild, harmlos und tödlich. Doch was sie an seelischen Nachdenklichkeiten hervorbringt, geschieht fast ohne ihr Zutun.

Die Brücke zwischen zwei Menschheitsrassen endet hier.

1903.

Die Hanako

Ich seh' sie staunend an und lache,
Sie schmeichelt, streichelt Herz und Sinn:
Ein Püppchen, eine Nippon-Sache –
Und eine schiere Künstlerin.
Auf Malern mehr als auf Poeten
Scheint ihre Note zu beruhn.
Ein halbes Mauzen, fast ein Flöten
Vernimmt man leis bei ihrem Tun …

Sie springt mit lautlos-weichem Satze
Und trippelt still im engen Schuh;
Fast sieht sie aus wie eine Katze,
Im Mantel wie ein Känguruh.
Beim Minaudieren, welche Kenntnis!
Wie hüpft sie auf des Liebsten Schoß. –
Zuletzt kriegt sie, per Mißverständnis,
Von hinten einen Messerstoß.

 … Ein Ton – wie halbverschlucktes Schlucken;
Sie krümmt sich; wankt; das Auge bricht;
Still zuckt sie (ein Kaninchenzucken);
Und sterbend fällt sie aufs Gesicht.
Ich liebte Japans Kunst von jeher,
Froh fühlt' ich wieder ihren Hauch.
Sie steht gewiß den Pflanzen näher
Als unsre (und den Tieren auch …).

1908. 1. März.


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