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Bassermann

Der gute Teil

I.

Der beste Teil wird sichtbar in der Zeit unter Brahm. Doch schon damals, 1901, tritt in der »Wildente«, wie man hier sehn wird, sein Morsches hervor – bis der damals nicht Virtuosische, der Leitung ledig, nach phantastischerem Glanz, der ihn zeitweilig über den Naturalismus hob, sich als ein … phantastisches Gefäß mit wenig Inhalt entpuppt.

Bis das Menschliche, das ihm eine Zeit lang verliehen war, als Geliehenes durchschimmert.

Er ist unter den Schauspielern der Golem – dem ein Andrer den Atem einblies. Ein absonderliches Phänomen. Als Brahm stirbt, zerfällt er.

Es erscheinen hier (neben dem, was Hoffendes in dem Kapitel »Stilisierende Schauspielkunst« über ihn gesagt ist) gute Wirkungen seines besten Abschnitts.

II.

In dem »Zwischenspiel« Arthur Schnitzlers gibt er den Musiker. Er geht von dem »ungezogenen Jungen« aus, der in ihm steckt – ich sage nicht, ob mit Fug, jedenfalls mit großem Glück.

Das Feinste seiner Darstellung ist hier die leichte Hybris eines nicht sehr widerstandsfähigen Charakters. Ein Verlangen, das nicht lichterloh, sondern ungezogen und nicht zu halten scheint. Die Psyche eines Menschen, die nicht zuletzt durch Künstlerschaft verwöhnt ist.

(Technisch gesehn: in den Linien dieser räkelnd-launenhaften Körperbewegungen steckt es. Sogar in den Linien der Stimme. In den gezogenen Tönen. In einer ungezogenen Gezogenheit, – die nicht gut anders kann, die sich gegen etwas sträubt, dann begütigen möchte … und doch der Lockung unmutig-triebhaft nachgeht. Glänzend!)

III.

So 1905. Zwei Jahre danach gibt er den Rubek, den erwachenden Toten.

Ich höre noch seine Stimme, – wenn er zu der Wiedergefundenen redet; ich sehe noch dieses Künstler- und Reuegesicht; ich fühle diese seltene Macht, schillernd und ernst zu charakterisieren; er ist der erste deutsche Schauspieler heut – denkt man. (In den Jungfern vom Bischofsberg, als Oberlehrer Ewald Nast, geht er …; und spuckt; und bohrt den Kopf in einen Brunnen.)

Er spielt 1904 den »Traumulus«, den weltfernen Leiter eines Gymnasiums, der vom Leben schlimm behandelt wird. Er spricht ihn etwa nordrheinisch, kölnisch – nur vorübergehend mannheimisch – und greift an das Innerste des Herzens. Ist das »Virtuosität?« Ja. Warum denn nicht? denkt Ihr etwan, es geht ohne sie? … Doch bei dieser Virtuosität leuchtet menschlichste Kunst auf: in diesen Gesten, dieser Stimme, dieser Verzweiflung, diesem Niederbruch. Man ist tief bewegt – und lange nachher bewundert man auch das Können, diese hundertfältige Zeichnungsmacht, diese farbige, malende, vieltönige.

Es folgen jetzt Proben seiner andren Art.

Als Hjalmar Ekdal

1901. 22. Oktober: Herr Bassermann trug eine vorzügliche Maske. Er war ein Schönling, ein Zärtling, ein Weichling. Sah aus wie der Komponist des Liedes: »Es war ein Sonntag hell und klar« oder »Ich weiß ein Herz, für das ich bete«. Er war der liebenswürdigste Hjalmar, der harmloseste, der verwöhnteste.

Die klingenden Phrasen wurden in voller Absicht einfach eskamotiert. Manches darin ist ja vielleicht allzudeutlich auch für unser Gefühl. Er sah gewissermaßen am Halse des Hjalmar Wucherungen. Doch er schnitt  … nicht die Wucherungen, sondern den Hals ab.

Gregers Werle soll einem Durchschnittsmenschen begegnen; nicht einem, der tief unter dem Durchschnitt steht. Wir müssen sagen können: wir selbst sind ein Stück Hjalmar. Hier sagen wir bloß: das ist ein Rindvieh.

Als Halvard Solneß

1915. 7. April: (In Barnowskys Lessingtheater): Bassermann ist aus Nordland. Wenn auch nicht von dem zielstarken, klimmsicheren Schlag. Er hat in sich die wechselvollen Möglichkeiten, herrlich schießen sie durcheinander, – doch ob er die letzte gibt, weiß ich nicht.

Das Mannigfachste bringt er. Auch das Höchste?

Ich habe mitunter ein schauriges Gefühl, wenn er vor mir schreitet, steht, spricht, Bewegungen macht. Ich sehe plötzlich – mag es zum Oranien sein, wenn Egmont politisch Überzeugtes wundervoll aus ihm sagt, mag er als Baumeister Solneß das Innere mit Wort und Gebärde lüpfen – ich habe das schaurige Gefühl, daß es lebensecht, voll stärkster Täuschungskraft und doch nur mit gespenstig seelenloser Beseelung dahinzieht. Das ist ein Toter, der jemandem eine Maske weggenommen hat. Ein Puppenbold. Ein Automat … der sich mit ungeheurem Fleiße täglich selber aufzieht: um als ein Mensch zu gelten.

Das alles, was er spricht, ist ja nicht wahr! Weg mit der Komödie. Zurück ins Grab. Du rührst mich nicht. Kein kostbarster Galvanismus wiegt ein elendes Wort zitternden Empfindens auf, das an meine Seele packt  … und etwas in die Augen steigen läßt. Behängter; Umhüllter mit fremdem Gut, wo hast du deine Schlafstelle nachts? Lemur mit geborgten Kleidern und einem Taschentuchzipfel aus der Brusttasche. Leugne nicht.

Es könnte geschehen, daß die Ankurbelung mittendrin abgelaufen ist, schnappt, daß du dastehst mit offenem Mund in aller Blöße, herzlos, hirnlos, ein hervorragendes Instrument, mit allen Listen zusammengeschweißt – und bloß von einem Gott verlassen.

Er dreht als Halvard Solneß mitunter die Augen auf; er zeigt Unruhe; er »unternimmt« sichtlich einen Zug des halben Wahnsinns; er zieht an der Schnur für die Pupille, dämonisch zu sein. Er täuscht (dies ist an der Leistung ein Gipfel) Klugheit vor: ohne sie zu haben. Als könne man durch Willenskraft Verstandeskraft nachbilden, befehlen. Kurz: er mimt Intellekt – wunderbar.

Und in diesen Worten ruht nicht bloß der Solneß dieses Künstlers. Sondern er selber; seine ganze Kunst ist hier gezeichnet. Und wenn ich mitten im bewegten Augenspiel, im durchrosteten, durchquengelten Stimmklang, inmitten einer leidenschaftlichen Glutwendung auf die Bretter stürze, Farbe zu bekennen ihn zwinge, seine Hand fasse, … so wird seine Hand in meiner bleiben, sich vom Körper lösen, ich werde sie still in die Tasche stecken, und der Gliedermann fällt nach hinten um.

*

(Ein Vergleich mit Brahms Aufführung soll nicht stattfinden. Es war keine Regie.

Herrlich die Grüning als Frau. Herrlich Fräulein Irmgard von Hansen als Kaja. Bei ihr wäre Solneß geblieben – er hätte sie nimmermehr für diese Hilde geopfert; welche Bassermanns Gattin zu spielen unternahm. Es gibt im Alltag einen Nepotismus. Beim Theater gibt es einen Uxorismus.

Auch die sorgsamste Rücksicht wider jemand weiblichen Geschlechts kann im geringsten nicht verhehlen, daß Frau Bassermann eine Art Fett in ihrer Stimme hat. Daß sie für gewisse Börsendamen denkbar, für Hilde Wangel unmöglich ist. Zumal in einer Matrosenjacke mit seraphischem Barrison-Gelock.

Infandum, regina, jubes renovare dolorem.)

Als Volksfeind

(Unter Brahm)

1908. 6. Dezember. Es ist beinah, verzeihen Sie, eine Frechheit, den Stockmann so darzustellen: aber wie überzeugend, wie nachwirkend, wie einprägsam, wie mitreißend ist er in diesem selbständigen, putzigherrlichen Kerl.

Ein naiver Kleinbürger; hinausragend … zunächst nur im Ort; ein Pfälzerle; ein tapferes Stockmännchen, – das aber letzte Dinge dieses menschlichen Verkehrs formelt und festlegt.

Ein Kämpferchen im Bratenröckle. Einer, der im engsten Städtchen Weltfragen ausspricht: nicht mehr und nicht weniger.

Ein kühnes Pfälzerle. Wenn ihr wollt: Thomas Tartarin Stockmann; doch mit allen tragischen Seiten. Etwas Herrliches. Etwas Denkwürdiges. Ich fasse zusammen:

Man sieht mehr, daß der Mann aufrührische Ideen hat … als daß man die aufrührischen Ideen des Mannes kennenlernte. Auf den Gestus, nicht auf das Zergliedern der Ideen, legt Bassermann das Hauptgewicht. Da jedoch eine Wahrheit knapp zwei Jahrzehnte lebt (was ungefähr die Existenzdauer des Stücks bedeutet): so ist vielleicht … der Gestus das Bleibende; nicht sein Inhalt ist das Bleibende.

Wieder als Volksfeind

(Unter Barnowsky)

I.

1915. 28. Juni.

Jeder wahre Kritiker muß ein Doktor Stockmann sein. Auch in dröhnenden Volksversammlungen … die man Theaterabende nennt. Wenn der Beifall – ob er von zahlreichen Angestellten befeuert, unterstützt, überwacht wird; oder, wie hier, stürmisch in einer guten Darstellung einem starken Darsteller gilt – wenn der Beifall noch so donnernd brandet. Äußerste Charakterstärke des Kritikers heißt jetzund: auch manchmal an das Stück zu denken.

Wenigstens verstohlen.

Schandenhalber im Beginn.

Nachher kann man ja auf die Hauptsache kommen.

II.

Also mir schien das Stück an einigen Punkten altväterisch; zu gewissenhaft. Manchmal, als ob es nicht genug wegließe. Man hat Lust, einen Wedel zu nehmen, dann und wann eine Schicht zu entfernen … Aber das ist nicht der Grundeindruck.

Der Grundeindruck sagt: dieser Ibsen ist wie ein starkes Tier, das einen Knochen im Maul hält (jedesmal ist es ein ordentlicher Knochen!) und ihn eher nicht losläßt, eher nicht hingibt: als daß der letzte Bissen, als daß die letzte Faser, als daß die letzte Knorpelzweideutigkeit abgefressen, … abgefressen ist.

So behandelt er einen Fall.

Mit andrem Gleichnis: er ist ein Kontrapunktiker, hohen Ranges. Unter den Dramenbolden ein Johann Sebastian. Nicht weniger. Er schreibt hier ein Zufallswerk (um sich der Feinde zu erwehren, als die »Gespenster« durch Praktiken als roh verschrien worden sind) – und dieses Zufallswerk bekommt immerhin einen Ewigkeitszug.

III.

In dem Schauspiel vom Doktor Stockmann (welcher die Wahrheit sagte) läßt Ibsen garnichts weg; weil er jede Fugen-Möglichkeit bis zum Schlusse verfolgt; weil er den »Fall« haben will; weil er ein Wikinger ist; weil er den Schwindel, in welcher Form er sich äußern mag, als Schwindel sieht … und erklärt. Weil er früher nicht ruhen kann.

So wird seine Gelegenheitsdichtung Ewigkeitsdichtung.

IV.

Doch zur Hauptsache. Verzeihung für das Hinzögern. Zu Bassermann, Bassermann, Bassermann, Bassermann, Bassermann, Bassermann … (Dichter, wollen Sie die Schnauze halten?!!)

Herr Bassermann muß viel vergessen machen. Brahm ist tot – Bassermann lebt sich aus.

Hat er der Fessel sich entrafft! Einhertritt auf der eigenen Spur!

Ausrotten im Erinnern muß er die Shakespeare-Entsetzlichkeiten. Das Gemache des G'schnas-Lustspiels bei Reinhardt, als er »Cupidöchen« sagte … und beim Betatschen, Beknutschen »M-m-m-m-m!!!« machte. Vergessen lassen muß er seinen aufsehenerregenden, doch gänzlich falschen Malvolio.

Vergessen lassen: das ist vorerst die Sendung.

Wohltätig wird seine Macht, wenn sie ein Herr bezähmt, bewacht.

Wird Barnowsky dieser Herr sein? Einer muß es werden; sonst geschieht Peinliches.

Sonst wird er ein Hinleger; Vorkommer; Danker; – über dessen Haupt Friedrich Haase selig mit verstorbenen Händen wackelt.

V.

Dr. Thomas Stockmann müßte bei der Abfassung einer Theaterkritik heute der Wahrheit gemäß feststellen: was da vor mir in Berlin seit etlicher Zeit geschieht, ist ein Übergang vom Steilen zur interessant-gefälligen Fläche; vom Wegebahnen zum Trommeln; kurz: von der Dramenzeit zur Komödiantenzeit.

Nehmt euch in acht! Seid gewarnt! Über das Hirnschmalz darf die Schminke nicht siegen. (Dienende Freundin hat sie zu sein.)

VI.

Bassermann, Bassermann, Bassermann scheint ein fünfjähriges Gastspiel zu beginnen.

Unter Brahm war er am stärksten als Rubek.

Er scheint mir heute virtuosisch verwahrlost. Äußerlich kommt er (in einer unverständlich schlechten Maske) wie ein Friseur; oder wie ein Tapezierer; oder wie ein Kurort-Photograph; oder wie ein Gasthausbild, unter dem die, damals noch erlaubte, französische Inschrift stand: le saltimbanque; der Zirkusmensch. Oder sogar als Don Quixote. Gegen Windmühlen kämpfte so ein Stockmann, – also! (Das ist der Friedrich Haase von heut.)

Ich dachte mir jedoch Stockmann als einen Wikinger.

Der Stockmann Ibsens hat vielleicht keine Schätzung für die Widerstände der Wirklichkeit – aber Ideen. Bei Bassermann hat er nicht Ideen; bloß Einfälle.

Der Stockmann hat sieghaft zu sein. Nicht sieghaft ist erst Gregers Werle, sein Gegenstück (oder seine Fortsetzung): Gregers Werle, wiederum ein Wahrheitsager wie Stockmann, doch schädlich und selber geschädigt; vernichtend und selber vernichtet. Weil er bloß ein Theoretiker ist.

Stockmann aber sei Dur. (Es-dur.)

Er ist nicht bloß ein Kauz wie bei Bassermann: vielmehr ein Führer.

Nicht bloß ein Original: sondern ein wahrhafter Held.

Bassermann jedoch war größer in den Zügen, welche dieser Menschenarzt erstaunlicherweise nebenher besitzt … als in den Grundzügen.

Es war kein Wunder, wenn sich von ihm die Mitbürger abwandten! Denn statt eines Wikings mit Schrullen gab Herr Bassermann Schrullen (mit etwas Wiking).

Er spielte den Stockmann, welchen das Bürgertum in dem Drama sieht: nicht den Stockmann, welchen Ibsen, Henrik, aus Skien, gesehn und (in einem streitenden Zufallswerk) für eine gewisse Ewigkeit stabiliert hat.

 … Bassermann gab die Merkwürdigkeiten eines Vorbilds; das Vorbild nicht.

VII.

Man sah einen Zappelphilipp; nirgends einen Kerl mit vollem pectus. Einen Faselhans. Bassermann will das »goldige Kind« erscheinen lassen – gut. Doch gnauen, mauzen, verzogensein, strampeln? Es ist eine recht falsche Art Kind.

In der Volksversammlung war er nicht nur hilflos – sondern abwesend.

Trotzdem blieb er etliche Male sehr stark: wo das Stück sehr stark ist. Gut gab er die Lauterkeit; einen Stich von urteilsloser Lauterkeit; prachtvoll. Ein argloser Mensch. Doch um die Arglosigkeit war viel gefingert.

Endergebnis: etwas Wirkungsvolles und Grundfalsches.

VIII.

Stanislawski gab auch was Grundfalsches – aber ich werde daran denken, solang' ich ins Theater gehe. Da die unschuldige Schreiberin auf den Stuhl trat, in der Versammlung, und gegen Stanislawski durch Händeklatschen demonstrierte … und Stockmann sie ansah, wobei aus seinen tiefen, feststellenden Augen das Wort unhörbar entfloh: O sancta simplicitas!  … es gab ein Bild von fünf Sekunden; das gehört zum Letzten; es bleibt fürs Leben.

Beide waren falsch – doch Stanislawski zweifach größer denn Bassermann. Wahr ist oder wäre bloß der Wiking, der (nicht märtyrerhaft wie der Moskauer, nicht schrullenhaft wie der Mannheimer) auf das Ganze geht: die Wahrheit zu äußern.

Ein Seelenringer.

IX.

Bassermann wird möglich sein, wenn er neu überwacht ist; aus dem Reißertum gedrängt.

Beim Brahm hörte man jedes wichtige Wort; hier manches.

Die leuchtend-ernste Gliederung durch Brahm – die baumeisterlich gewaltigste Menschenkunst, welche Deutschlands Bretter bis jetzt erlebt, vom Stifter eines Seelenreichs – das ist mit einem Schlag nicht einzuholen.

In Schnitzlerdramen

1915. 26. Oktober. Komödie der Worte. Bassermann ist Schauspielkunst. Glänzenden Stils. Und lauten Stils.

Er hat vermutlich eine Seele, der aber nicht beizukommen ist. Sie hegt um sich einen luftleeren Raum. Alles zeigt eine Spur von Nichtgefaßtwerdenkönnen, Vorbeireden. Auch wo er wundervoll ist.

Seine große Zeit war unter Brahm – der Seelen meisterte. Sie kann wiederkommen, wenn ihn ein Mensch bezähmt, bewacht. Wehe, wenn er losgelassen.

Er ist im Grunde selten eine Gestalt; meistens ist er herrlich als der Schauspieler dieser Gestalt.

Noch als Schauspieler im Schauspiel, als verlogener Mime wirkt er nicht ganz vollblütig … doch kostbar als Gestalter des Vollbluts …

(Alles mit einem Untergrund von Phlegma.)

Mühsal guckt manchmal durch: wie bei gewissen Films zwischen den Bildern was Ritzenhaftes erscheint.

Und er liefert hier dem dichtenden Arthur bei allem Glanz ein vierteldutzend Vergröberungen.

Doch dieser Glanz war da: (Und vielleicht soll man in unsrer zweifelhaften Welt manchmal die Feste feiern wie sie fallen.)

Gelegentlich

Bei Fulda. Bassermann als Wesir, reich mit Mossul-, Schirdewan-, Kabistan-, Gendje-Teppichmustern behängt, ist mit seiner ernsten regschwachen Kraft in sparsamen Lichtern vorzüglich. (Regschwache Kraft).

Im französischen Lustspiel. Bassermann gefällt mir nicht. Zu provinziell diesmal. So ein Getätschel mit der Hand soll er nicht in Stücken machen, die sich in der großen gallischen Stadt zutragen  … So klätschelt (und spricht) man im frischgestrichenen Berlin, wo ein Kellner »Herr Ober!« gerufen wird, wo man »Prösterchen« sagt, ein »Droschkongg« besteigt  … Uäh!

Als Nathan

1911. 11. November. Sonnenthal ist ein Rührungs-Nathan. Bassermann ist … zuerst wie ein jüdischer Hans Sachs. Ihm fehlt nur die große Einfachheit. Der tiefe Strom. Er bleibt komödiantisch. Er ist hernach vorwiegend, wenn man ihn ansieht (und ihm nicht über den Weg traut!) ein milder Shylock. Das ist es: ein milder Shylock.

Eine Träne fiel darauf, hat er gelegentlich zu äußern. Sie fiel nicht.

Was ihm abgeht, ist die pupillarische Sicherheit. Nicht zehn Schritte traut man ihm.

Will er kundtun: so verboten sieht ein solcher Kerl aus – und kann diese Überzeugung hegen …?

Er macht, weil Nathan ein Jud' ist, recht äußerlich den Jud'.

Trotz alledem hat er Menschen im Tiefsten … nein, beinahe dort, bewegt. Der Fall Bassermann ist nicht einfach. Was er gegeben hat, war: Mache von höchstem Rang. (Mache von höchstem Rang.)

Sonnenthal sprach Lessings unsterbliche Prosa (die zufällig in Jamben gehalten ist) mit verhaltener Güte, ganz innen, … wie ein maßvoll und doch aufs Letzte Beteiligter.

Bei Bassermann denkt man mit Ergriffenheit … an einen, der die Ergriffenheit wunderbar macht und nie ergriffen ist und (zum Donnerwetter) doch ergreift. Merkwürdiger Fall.

Als Brutus

1916. 6. Dezember. Brutus beim Shakespeare scheint ein fernes Gegenstück zum Egmont. Er begeht Unterlassungen aus Hochsinn … wie Egmont aus Leichtsinn.

(Brutus aber tritt in Oraniens Nähe, wenn er, trotz aller Wackerheit, Verstellung empfiehlt.)

Hiervon gibt Herr Bassermann – dem im geistigen Sinne die pupillarische Sicherheit fehlt … und der prachtvolle Gaben besitzt, es vergessen zu lassen, – hiervon gibt Herr Bassermann eine starke Dumpfheit; ein fast stottrig ungelenkes Redlichsein.

Wundervoll in dem Zelte des vierten Aktes, wenn er einkehrend spricht: »Die tiefe Nacht hat dies Gespräch beschlichen …« Aber darauf die Albdruckächzer, beim Kommen des Geistes, sind schon Virtuosenwerk.

Ganz am Schluß, im fünften Aufzug, wird er undicht.

Mit großem Können stets an der peinlichen Grenze von Innenwert und Außenbeherrschung. Darin liegt sein Fall.

Als Klingsberg

1916. 27. September. Bassermann hat furchtlos die Rolle des alten Klingsberg zu übernehmen »sich bereit erklärt«.

Trotz der möglichen Erinnerung an Friedrich Haase? Das ist so mutig … als wenn Sudermann ein Drama von Kotzebue bearbeitete, sonder Scheu vor Anspielungen.

Mehr als beim Haase scheint bei ihm der Landjunker durch; fast ein Rotsponfreund. Derberer Grundriß. (Haase hob einen Handschuh zehn Minuten lang auf; Bassermann setzt hierfür schlagfertig eine vertuschte Gicht. Er unterscheidet sich also mit einem Zaunpfahl von Haase'n.)

*

In Brahms vorübergehende Stauungszeit, bevor er zum Gipfel klomm, zum höchsten seit hundert Jahren, schien Bassermann etwas wie ein genialisches Husch-Husch zu bringen – prachtvoll! Als Brahm auf dem Gipfel war, … seltsamerweise hat nur da Herr Bassermann Augenblicke von innerlicher Kraft gehabt. Jener Nähe wird es gedankt – Rubek und Traumulus! Fern vom Brahm hat er sich als köstlicher Kopist geistigen Erfülltseins entpuppt; und das Geheimnis, ob die sichere Rundung seines Wesens ein volles Ei umschließt oder ein leeres, bedarf noch …

Bedarf es noch der Aufhellung?

*

Damals war er nimmermehr Virtuose. Heut?

Bei Kotzebue gab er mit größter Liebenswürdigkeit doch ein fahriges Deichseln. Ein prächtiges Gemache, ein Gedrück, ein Wiederanfangen … Bei freundlichstem Brio.

Unter der Heiterkeit lag etwas Regschwaches. Hinter dem Windhund ein Phlegma.

Als Helmer

1915. 23. September. Bassermann gibt ihm was von einem Aufsichtsrat in der Provinz. (Den umrandeten Kneifer in einem gesättigt-lebhaften Antlitz von bewußt-geringer Fühlsamkeit.)

Bassermanns »Mm-mm-mm«, das er sich beim Umärmeln und Abküssen einer Frau zum Vergnügen eines Teils der Bewohner angewöhnt hat, ist hier am Platz.

Vielleicht kam er manchmal an die Schwelle des Verzerrsamen. So daß zu fürchten war, eine nervenfeine Nora hätte zuviel vom Untergrund einer so schmatzenden Natur gewittert … Bassermann war mehr ein Witz über selbstsüchtige Ehemänner als dieser bestimmte selbstsüchtige Ehemann.

Dieser muß auch ein Schönling sein; manchmal ein leis abwehrender; er will, als er von Ranks Aufgegebensein hört, nicht im selben Zimmer mit Nora schlafen. Der Bassermannsche Helmer hätte das doch getan.

Und mit alledem bleibt seine Schöpfung etwas Lebensvolles; mit geschwellten Adern; mit langhaftender seelischer Verdutztheit. Etwas (in allem Brio; Brio mit einem Unterschuß von Phlegma) Bleibendes und Kennenswertes.

*

(Eine nervenfeine Nora …? Seine Gattin, Frau Else Bassermann, gab die Hauptgestalt. Soll ich feststellen, daß sie »Fortschritte gemacht« hat? wo sie doch das Wesentliche für Menschen solches Schlages nicht besitzt.

Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen –? In der Kunst nicht! Ich habe keine Wertung des Eifers zu veranstalten, sondern des Ergebnisses.

Zumal andre, weit bessere Könnerinnen hierfür sogar im selben Hause sind. Eine Kritik, die das nicht sagte, nur weil die Dame von Herrn Bassermann vorgezogen wird, kann abdanken.

Das Stück heißt: »Ein Puppenheim«. Ich höre immer: Puppe …

Nora wird Lerche genannt. Ich höre immer Lerche …

Frau Bassermann hat einen völlig andren Bezirk, den sie um keinen Preis ausfüllen will. Sie mag scharf Kennzeichnendes vortrefflich geben. Sollen wir indes unter einem Zufall dulden? Solang' ich dulde, so lange wird es gesagt werden.)

Als Rubek

(Unter Barnowsky.)

I.

1916. 28. Oktober.

Von der Aufführung soll diesmal zuerst gesprochen sein. Was Ibsens Schwanenlied bedeutet: was darin an seelischem Glanz, an Abschiedstimmung, an strahlender Schwermut, an spätem Gewissensernst, an einmal noch aufleuchtendem, halbschwindendem, dennoch nicht verlorenem Glück dieses Weltendaseins dämmert – ich habe davon öfter als einmal geredet. Es steht auf sieben Seiten des Buches »Das neue Drama«.

Wer aber bloß diese Aufführung sah (und seit der vorhergehenden war die Pause lang), der vermag das Werk schwerlich zu ahnen. Deshalb sei die Aufführung zuerst betrachtet.

II.

Auch Lina Lossen, das Tiefste des Abends, war nicht einig mit Dem, was hier vor sich gehen sollte.

Gleich im Anfang erschütternd; wie nur ein großer Mensch es sein kann. Aber im ganzen schien sie beim Verkörpern einer Gewesenen, einer Ehemaligen, einer Toten zu sehr als herrliche Gegenwart.

Alles dies hätte mehr in Ferne gerückt sein müssen; aus Dämmerträumen reden; aus unbeirrbar-irr geschiedener Versunkenheit.

Sie hätte vielleicht älter aussehn müssen. Innerlich ergreister. Diese Frau; gebrochen; von einem selbstischen Künstler benutzt; zum Modell erniedrigt; entlassen und verloren: sie muß äußerlich eine Spur vom Altern, von Zerknautschtheit, von allen Sümpfen und Pfützen, durch die das Leben sie geschleppt hat …, ja, sie muß »der Welt Unfläterei« (wie der verruchteste deutsche Dichter es nennt) an der Stirn tragen. Man muß ihr auch die Hure, die sie widerwillig im Dämmer war, an geknitterten Augen ansehn.

Man soll das Gefühl haben: ein Menschenrest. Ein wunderbarer Schatten. Etwas Heilig-Beflecktes … aber auch Beflecktes. Die Lossen war nicht von der Zeit übermannt. Eine Spur betonten Wahnsinns. Gelegentlich (verführt von dem Dolch, den sie bei Ibsen leider trägt), so, als ob sie »Ha!« knirschte.

(Bei alledem etwas Unvergeßliches: weil sie ein großer Mensch ist. Weil dieser Mensch hindurchkam. Weil ihre Nähe Schweigen erzwingt.

Und weil man, schon im ersten Aufzug, bei ihrem Wort Heißes emporsteigen fühlt – ohne zu urteilen.)

III.

Ich rühmte vor vier Wochen Bassermann als Rubek. Nun gab er ihn.

Mir ist eine Bewegung im Gedächtnis; von damals, wie er, auf einem Stuhl sitzend, den Kopf hintenüberneigte. Sehr vieles lag darin und in seinem halbstummen Dabeisein sonst. Es war früher sehr, sehr stark.

Heut erschien mir sein Äußeres, obschon es nicht allzu abweichend von damals war, etwas aus dem Traum weckend – weiß nicht, woran es lag; ich hatte den Gedanken: ein pensionierter Hofschauspieler.

Warum kann einer zu solcher Erwägung überhaupt kommen? Wenn man, durch irgend etwas in der Umschicht, zur Wachheit und zum Urteilen aufgestachelt wird. Es war hier der Fall.

Wesentlich blieb gewiß Bassermanns Leistung. Es ist jedoch eine Leistung. Brach ein starker Mensch durch dieses starke Können?

Bestimmt weiß ich es nicht. Bestimmt weiß ich, daß dieses Können wundervoll ist.

IV.

Bassermann tat viel. Er nahm sich zusammen. Er holte von Innerlichkeit was er kann aus sich heraus; das steht fest. Ob es genug war, das steht nicht fest.

Manchmal schien mir, als ob Rubeks Ergriffenheit an einer beliebig gewählten Stelle hingesetzt, angebracht worden sei …

Die Technik, um Rubeks Unerfülltheit auszusprechen, ist bei Bassermann ein Zusammendrücken der Augen. (Goethe: »Der Sänger drückt die Augen ein«.) Mit alledem gibt er, auch er, Augenblicke: worin die Macht eines starren, alten, vom Menschenlos noch einmal durchzitterten Nordmanns, Henrik Ibsens, vor dem Scheiden glückstrahlend und schmerzstrahlend erscheint.

Er war nicht aus einem Guß. Er hatte keinen Lenker über sich. Doch die Nähe des Alten trat, wenn auch zwischendurch, in Kraft.

V.

Hart und roh klingt es vielleicht. Es macht den Eindruck, als ob man (ich spreche von Bassermanns Frau, welche die Maja nicht gab) … als ob man auf jemandem, der zudem weiblichen Geschlechts ist, herumhackte.

Sicherlich erzeugt es gegen einen Schreiber solcher Dinge Haß.

Aber man ist hierzu vorhanden; nach bestem Wissen zu äußern: was der Kunst frommt, und was ihr ins Gesicht haut.

Bei dem uns teuren Werk des abschiednehmenden Henrik Ibsen gilt keine Vertuschung. Diese Frau Bassermann ist eine Störungsstelle. Ein Weltenpoet sollte kein Opfer des Uxorismus werden. Es war wieder fürchterlich.

Eine Stimmungsverderberin, die meinetwegen ihr Bestes tat. Aber das ist ein verschärfender Umstand: daß es schon ihr Bestes gewesen ist.

In jeder tiefsten Stimmung, in jedem feierlichen Menschenernst ist nun einmal diese Dame, so schwer es mir fallen mag das auszusprechen, ein Mißklang. Die lebensfrohe Maja mit dem Ton eines Börsensensals. Es geht nicht länger.

Die Frau gehört in ein andres Darstellungsgebiet. Ruht hierin eine bürgerliche Schändung? Sie könnte vielleicht in mancher sogenannten »Charge« wirksam werden.

VI.

Aber, Barnowsky, – darüber hinaus war diese Darstellung nicht vorbereitet.

Der Irene folgt eine Diakonissin. Sie schien geheimnislos; ahnungslos; unmöglich. Mit einem schwarzen Augenstrich – und einer biergemütlichen Nase. Es war eine Massenpflegerin. (Kein Schatten davon, daß sie der Schatten eines Schattens zu sein hat.)

Dazu, in diesem irdisch-hohen Abendwerk mit letzten Diesseitsschwingungen, allerhand störendes Gebums. Gezisch von Maschinen. Ein Gletscher hupfte wie auf einer Wäscheleine hoch und nach unten.

Nie ein sozusagen gesprochener Schleier. Die Aufführung ist von vorn zu beginnen.

(Beim Brahm dachte man: das ist keine Aufführung mehr. Hier dachte man: das ist noch keine Aufführung.)

Ja, Barnowsky, dies alles muß gesagt sein, weil Ihr Wirken sonst Hoffnungen … nein, wenn einer an Strindbergs »Damaskus« denkt, Erfüllungen offenbart.

VII.

Brahm hat für das unerhörte Abschiedslied den Klang, den Requiemton gefunden. Der Klang ist nur wiederzufinden.

Alles erinnert kaum von fern an die starke Zeit unsres Theaters, die ganz auf männlich-menschliche, seelentiefe Kraft gestellt war.

Der grundlegende Kerl aus Hamburg, Otto Brahm, hat ja in der europäischen Bühnenkunst den großen Einschnitt … vielmehr diese Bühnenkunst selber in Europa gemacht.

Stanislawski – der auch bei uns talentvolle Nachahmer findet – reichte niemals an den Otto. Wenn heut starke Begabungen, die nach ihm gekommen sind, von Neidharden, die sonst überhaupt nicht loben können, übertrieben-ungeschickt gelobt werden: so ist in dieser nicht gewollten Huldigung an Brahm der Haß wider seinen großen Schatten immer noch belustigend sichtbar.

Man soll – vielleicht im Bezirk des Luisenplatzes – diesem, allen Feinden der Mode teuren Urheber, Anbahner, Pfadbrecher (damit auch wesentliche Menschen im Stein verewigt sind) eine Denksäule schaffen.

Und wenn mir, wie man in Schlesien sagt, »Gott's Läben schenkt«, wird es geschehn.


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