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Vorwort

I.

Dies Buch bringt keine »Bühnengeschichte der Gegenwart«. Und kein Vollständigkeitsgeschwätz.

Der Kern bezeichnender Gestalten wird erhellt. Die zu durchleuchten es einen Menschen bestimmten Geblüts lockt … oder notwendig dünkt.

In Vertretern sind führende Völker nebeneinandergesetzt. In der Regie steht an der Spitze Deutschland – mit Otto Brahms großem Einschnittswerk.

In der Schauspielkunst eine Italienerin.

Abgewinkt wird abermals Bretterheroen, die sich dem Wunschbilde des Verwandlungskünstlers und »siegreichen Meisters« nähern. Ich hefte den Ton auf eine letzte Durchseelung, wie sie leibhaften Ausdruck in der Duse findet. Nein, fand.

Diese Schrift sucht abermals den leuchtenden Seelenschauspieler.

II.

Erscheinungen von sozusagen praller Herrlichkeit wie Else Lehmann und Lucie Höflich treten in besonderen Abschnitten hier nicht vor. Wo sie genannt werden, fühlt man, was sie sind.

Bei der Lehmann, der Höflich gilt es kaum zu zergliedern; sondern ein beglückendes Gut festzustellen. Von einer Wonne sagt man: es ist eine Wonne.

Das vollkommen Deckende, das die Lehmann hat (oder das Deckend-Vollkommene), blüht als ein deutscher Besitz. Die Jüngere der beiden ist noch unterwegs. Bei der Betrachtung ihres »Weibsteufels«, auch der Hanne Schäl gewahrt man eine bezaubernde Dreiviertel-Echtheit. Ja, Neunzehntel-Echtheit.

Blondheit, Blut und Mädchenschaft
Haben immer ihre Kraft!

Dem prallen Wunder dieser Lucie Höflich gilt ein so schlichtes Wort – und ein vielfacher Dank.

III.

Wo aber zergliedert wird, bleibt Richtsatz, was für Kainz in diesem Bande gesagt ist:

Verfehlt scheint mir, bei solchen Instinktkünstlern allzuviel von »Auffassung« der Rolle zu sprechen … und in der Kritik ein Gequatsche zu machen über das System, das der Künstler nie gehabt hat. Wir wissen, daß der die Dinge meistens so bringt, wie er sie mit seiner Technik, der inneren und äußeren, am besten hinlegen kann. Und ich wünsche nicht, nachträglich eine Theodicee seiner Seifenblasen: sondern eine Feststellung Dessen zu geben, was er hinlegte, herauskriegte, machte.

IV.

Den leuchtenden Seelenschauspieler sucht meine Schrift und haßt Reklamegestalten. Dasselbe gilt vom Spielmeister.

Otto Brahm, in den Fluten hundertjähriger Entwicklung der Leuchtturm, welcher die Fahrtrinne zum Seelenland überhellt, – Otto Brahm wird in aller starken, richtungzwingenden Wesenheit wiedergezeugt. Hierneben (während Barnowsky, der gut emporsteigende Bernauer, Altman, Eugen Robert im Wachstum und noch kaum zu überblicken sind) wird Reinhardt ausführlich beklopft.

Zu ausführlich. Aber für ihn gilt, was ich von Sudermann einst sagte: man redet nicht so sehr über den Mann … wie vor Denen, so auf ihn blicken.

V.

Es kann jemand ein prächtiger Könner – trotzdem ein überschätzter Trommelwert sein. Ein prächtiger Inhalt: trotzdem ein Aufsehenmacher vor allem. An dem Bühnenmann Reinhardt springt eine fürchterliche Verwandtschaft mit Meyerbeer ins Auge. Was Schumann vor dem empfand, ist mein Empfinden ungefähr.

Ich kann einen Poeten, sagen wir: Schnitzler, zwischendurch verspotten – es berührt kaum den Grundzug meiner Schätzung. Ich kann Brahm zwischendurch höhnen, schimpfen, stacheln – dennoch bleibt als Grundzug die große Liebe für einen wuchtenden Entscheider. Und wenn ich, was selbstverständlich ist, Reinhardt zwischendurch lobe, so bleibt als Grundzug doch die Abneigung wider das Glatte, Möllspeisige, Gefällige, Zuckerlhaltige, Geölte. Eine Abneigung, die herrscht: weil er zuckerlhaltig, glatt, gefällig, möllspeisig, geölt ist.

Das »So haben wir nicht gewettet!« erschallt ihm bestürzend früh.

Letzter Kern: die Gewandtheitsbegabung jemandes, der überall geistig pumpt; ohne mehr zu sein als glänzend und einleuchtend und lecker – nirgends ein Eigenwert. Der jedoch durch steten Lärm hierfür bezahlter und angestellter Kräfte grundsätzlich Aufmerksamkeiten beansprucht, … die man wichtigeren Wegefindern versagt hat. Das darf nicht hingehn.

VI.

Wenn Herrn Reinhardt (nicht erst nach einer Parisfahrt, wo den »régisseur viennois« und seine Leistungen die Schirmherrschaft einer ortsansässigen, hierfür bereitgefundenen Gräfin zum Erfolg bringen sollte, der jedoch ausblieb) … wenn Herrn Reinhardt ein ihm nicht unfreundliches Amerikablatt mit dem Titel »The Barnum of the stage« bucht, so ist das derb vergriffen – das zutreffende Wort lautet wirklich; Meyerbeer.

Auch darf er sich als einen (örtlich begrenzteren) Vetter der Sarah Bernhardt ansehn. Meyerbeer, Sarah – das ist hier die Linie.

Zu dem größeren Judenzweig, an dem etwa Spinoza und Karl Marx wuchsen, gehört Otto Brahm.

VII.

Reinhardt, voll reizender Anziehungen, hat, dank dem Tadel, etliche Dinge gekriegt, so ihm zuvor abgegangen sind, – eine Persönlichkeit kann man aber nicht kriegen.

Selbständig ist er bestimmt in dem Versuch: Kritik durch Nebengeräusche zu ergänzen; nicht nur Stücke, sondern vor allem ein Theater zu inszenieren; im Dramaturgenbetrieb Donaukanäle nach der deutschen Hauptstadt zu leiten.

An rührigem Wesen, an lockend-glänziger Kraft, an Vertuschung des Mißlänglichen das Musterbild einer mit ihrem Pfündchen wuchernden hohen Gewandtheit – und das Widerspiel des schöpferstark ruhigen Innenwerts.

Jenseits von allem, was in seinem Geschaff Beleidigendes lebt, bin ich gegen die Vergötzung des Kapellmeisters; gegen einen Zustand, worin Johann Sebastian Bach zum Nasepopel, der Orchesterchef zur Hauptsache wird. Letzten Endes gegen die Verwienerung der deutschen Kunst.

Alfred Kerr


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