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Girardi

Als Valentin

I.

Er gab den Valentin im »Verschwender«.

Wie er auftrat, war gleich etwas Ungewöhnliches im Hause; die Österreicher, die dort saßen, huldigten ihm so, daß er nicht zu Worte kam. Es klang was heraus, das über alles Eklige des Mimenkults an das Herz griff.

Merkwürdig. Ich werde den Abend lange nicht vergessen, obschon ich Girardi von Wien als Valentin kannte – und so sehr dies Wehmut-Flitter-Stück, mit der Fee Cheristane, mit der Mehlspeis-Mythologie (es gibt keinen andren Ausdruck), mit dem edeldüsteren Flottwell, einem Fünfzigpfennig-Byron, und mit all der edel-blöden Kindlichkeit auf heutige Menschen wirkt, als erzählte ruhigen Blicks ein Berliner seinem zehnjährigen Sohn, der Storch habe vorhin ein Schwesterchen gebracht. (Worauf der Bengel eine naturalistische Frage stellt.)

II.

Warum sollen sich die Parkettleute künstlich zurückschrauben? Ganz recht haben sie, wenn sie über den Raimund an etlichen Stellen sich einen Ast lachen (so wie sie recht hatten, da sie vor Jahr und Tag Otto Ludwigs »Erbförster« wegen vieler Unwahrscheinlichkeit auspfiffen. Das ist gescheiter, als vor einem Namen zu kuschen).

An der zweiten Hälfte des »Verschwenders« gewahrten sie doch, daß inmitten solcher verblaßten Simpelkeit Blitze sind, die einer aus der Höhe – nein: aus der Tiefe – gekriegt hat. Daß dieser Raimund nicht nur ein vergänglicher Dichter, sondern auch ein Dichter der Vergänglichkeit ist – der in seinen Zauberspielen das »Gesetz der Umwandlung« aufsteigen läßt, unwiderstehbar.

III.

Als der Schauspieler Girardi zu Worte kam, mußte jemand, der ihn nicht kannte, gleich wissen: das ist einer, der … zunächst wundervoll ausspricht; (ich hörte mal in einem genuesischen Theater zwei Maurer streiten, ob der Traviata-Geliebte den dritten Takt nicht etwas verschwommen gebracht; es war ein längeres Erörtern; Girardi ist ein Gegenstand für solche Kunstgenießer).

Aber Deutlichkeit hin, Deutlichkeit her – der Haupteindruck mußte sein: das ist ein Gewächs. Eine seltne Marke; gezehrt; vollendet. Im Laufe des Abends empfand man noch vielerlei Besonderes.

IV.

Dieser Österreicher mit dem italienischen Namen ist eine deutsche Volksgestalt. Eine Volksgestalt und ein Volksbezauberer. Wenn ich auch das Hobellied kannte –: die starke, die zurückhaltende Magie (möcht' man sprechen) dieses beherrschten, kunstvollen Menschen wirkt wie am ersten Tag.

Denkt nicht, daß es ein Schlanker, Geleckter ist, wie sein Name vermuten läßt. Er steht weit eher dem Typus Rudolf Rittner nah. Bloß daß er entladener, verfeinter, andeutender ist. Eine Volksgestalt; ein Volksbezauberer.

V.

An Wien ist für unsereinen so vieles Widerstrebende. Unsagbar schön ist die Stadt vielleicht im September, wenn man von Venedig kommt; wenn in diesem Zwischenort auf den Plätzen der Nebel steigt … Denkt nicht an das Wien der Kaffeehausliteraten. Denkt nicht an das Wien mit der Finanzpatina, mit verdickter Nachahmung des Pariserischen. Sondern: seht den Girardi und denkt an die Stadt mit einer alt-gesetzten, einer geschmeidig-reschen Bevölkerung; von besondrer Anmut; die Stadt, wo im Lauf zweier Jahrhunderte so viel und so oft kennerische Stufungen, unterscheidlichere Tönungen im Vortrag »gebracht« worden sind; eine Stadt mit alten Volkssängern; eine Stadt, wo auch der Schubert einmal gewandelt ist; wo der Raimund und der Nestroy kämpften; wo der Anzengruber sann. Trank und sann … Denkt an solcherlei Züge: so erscheint der Girardi wie das späte Genie einer halbvergangenen Stadt.

VI.

Nur einmal hat er als Valentin auch der neueren Stadt etwas Tribut gezollt: in seinem Lachen; darin lag Virtuosität.

Alles in allem ist der Mann aber den großen Unscheinbaren beizuzählen, den ganz Aufrechten. Erstaunet nicht über den Vergleich, wenn man einen Namen wie den des Geigers Joachim hinwirft.

Ich kann den Abend nicht verlieren.

Und ich weiß zuletzt, daß in dieser gehaltenen Herrlichkeit etwas Ergreifendes war.

1908. 12. Januar.

Als Schuster Weigelt

I.

Du bist ein Sager, – kein Gestalter.
»Mein Leopold«, singst du, »mein Soooohn« …
Bis in mein Wackel-Greisenalter
Denk' ich an diesen Menschenton …

Das Publikum, vom Klang durchschauert,
Fühlt dennoch den Effekt nicht prompt;
Es bleibt erwartend, sitzt und lauert –
Und fragt sich, ob es balde kommt.

Zwei Akte durch gibst du dann, außer
Dem einen Klang, nicht allzuviel;
Du zeigst (im Wohlstand und als Hausherr)
Halb tonlos ein markiertes Spiel.

II.

Das Geld zerrann … Du bist jetzunder
Flickschuster, greisend vor der Zeit …
Ein lächelnd-stilles, weißes Wunder;
Armselig und gebenedeit.

Du hämmerst mit den alten Händen –
Und zwingst auch Den, der Manches kennt,
Von dir die Blicke wegzuwenden.
Das Haus ist totenstill … und flennt.

*

III.

Magst keine Mätzchen, keine Schlager,
Ein Menschenmeister wandelt hier.
Bist ein Gestalter und ein Sager –
Dein Schuster war der König Lear.

Es ist ein Stück von unsrem Leben.
Ich fühl's, im Innersten gepackt.
Die großen Italiener geben
Nicht mehr als du in diesem Akt.

1908. 14. Januar.

Auf dem Weg zu Girardi

I.

Auf dem Hinweg las ich von zwei frisch Gestorbenen. Drachmann ist tot, Holger, der Däne (nein: der Gascogner), der Hüne, der Weißbart, der Fahrende; der Dichter. Zwei Stockwerke hoch; ein Hut wie ein Mühlrad; ein Mantel wie aus Hispanien.

Er betete zu reizenden Augen; noch vor kurzem, in Berlin. Ein Greis ohne Wohnsitz; hatte vermählte Töchter da und dort, Enkel, fuhr herum, ein Sänger; ein Frauenlob; ein Weinschmecker; und wenn er Kopenhagen besuchte, riefen die Schusterjungen auf der Gasse: »Kiek, der alte Holger ist wieder da.« Er hat es mir, nicht ohne Stolz, erzählt.

Letzten Winter, letzten Frühling saß er an der Spree. Blieb und schrieb im Nordischen Hof, einem Gasthaus an der Stettiner Bahn. Er legte sich, wenn Stimmung herabkam, ins Bett, rauchte Pfeifen und dichtete. Das Stubenmädel bat um ein paar Verse für die Eltern; er machte sie, deutsch, und gab ihr fünf Mark. Einen Kuß als Zuwag'.

Herausfordernd-heiter blickt sein Bildnis. »In Freundschaft« hat er draufgeschrieben. Es war im vergangenen Mai.

Gute Fahrt, Gascogner. Weinlaub auf deinen Sarg. Frauen sollen ihn tragen.

II.

Vallentin ist der andre … Ein Regisseur seltnen Ranges. Er hat vieles (und vieles Beste) von dem getan, was nachmals intelligente Zeitgenossen mit dem Enthusiastenruf: »Reieieinhardt« auszudrücken suchten. Sein dankbarer Brotherr, der »Räuber«-Regisseur, war, als Vallentin unter eignem Namen arbeiten wollte, sehr auf sein Fortkommen (von Berlin) bedacht.

Jetzt kehrte der bedrohliche Mensch zurück. Die Anfangsproben einer gut innerlichen Shaw-Aufführung (für den Rest sprang Herr Eugen Robert ein) waren Richard Vallentins letztes Werk. Er »hätte, wär' er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt«. Um eine Furcht sind heute die berliner Direktoren ärmer. Sein Leichenstein ist manchem vom Herzen gefallen.

III.

 … Schließlich kam ich doch ins Theater zu Girardi. Er hat zwei Seiten: die apollinische, dann die dionysische. Im »Verschwender« apollinisch; in »Er und seine Schwester« von Bernhard Buchbinder – dionysisch.

Bei Raimund wundervolle Gehaltenheit, und nur einmal mittendrin durch Virtuosität eine Huldigung an das neue Wien. Er huldigte jetzt den ganzen Abend …

Girardi müßte noch seine dritte Seite sehn lassen: das Zwinkernd-Laszive, dann wär' er komplett.

IV.

Himmlisch, wenn er als Briefträger die Kapelle dirigiert, mit unglaublichen Bewegungen, und (beim Erfolg seiner Schwester) den Kopf gerührt auf das Notenpult legt.

Diesmal alles dick aufgetragen …

Ein Jammer, daß man ihn so wilde Paradepferdeln reiten läßt: indem er für eine maßvoll-wundersame Humorkunst am tiefsten geschaffen ist.

Aber man könnte dem herrlichen Mann in jedem Fall wochenlang zuhören. Wochenlang ohne Zuviel.

1908. 16. Januar.

Der Operetten-Girardi

Er singt. Auch der fühlt selige Schauer,
Der sonst die Operette floh;
Der Text vom witzigen Julius Bauer
(Die Noten von Herrn So-und-so).

Er singt. Er spricht. In jeder Wendung
Ergötzlich … Es beschreibt sich schwer.
Ein stilles Beispiel der Vollendung.
Man sieht's und lacht – und lacht nicht mehr.

Er ist ein Hort von seltnen Dingen.
Man findet sie nicht anderwärts.
Und mag er Werkel-Lieder singen –
Sein Ton erschüttert mir das Herz.

1912. 5. Mai.


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