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Beerbohm-Tree

I.

Die Gegner Shakespeares – Leo Tolstoi, Bernard Shaw, Beerbohm-Tree – setzen mit verschiednen Mitteln ihre Abneigung ins Werk.

Aber nein. Dies Urteil paßt nur für die Tragödienbehandlung. Es ist die Wahrheit: daß Tree zwischendurch im Lustspiel künstlerische Wirkungen schuf. Hierzu kommt ein mildernder Umstand: daß Tree nicht mehr Shakespeare gibt. Sondern etwas »in Erinnerung an ein Shakespearesches Drama«. Den Text zu den wundervollen Bildern könnte gut ein andrer gemacht haben. Hier wird niemand getäuscht …

Entzückend gestufte Farben. Ich denke, wie an etwas Unverlöschbares, an das Turnierbild in Richard dem Zweiten. Dort (und oft) ist die Fülle feingetönter Flecke stärker als bei Reinhardt. Vor der Galeere des Pompejus erblaßt Bayreuth. Etliches ist knallig. Ein paar in der Not aufgetriebene Ersatzleinwände verschlissen … Jedenfalls: ich erblicke bei Tree gar keine Szene mehr, sondern von vornherein einen art exhibition room. Er scheint mir ungefährlich.

II.

Er ist im Anblick ein netter Mann und hat eine loveliche Tochter: Viola; die bei Aufführungen im Dilettantenkreis die Palme kriegen würde.

Der Vater entwaffnet als Heldendarsteller. Sein Gesicht ist eine captatio. So etwas Talentloses gibt es nie wieder. Ernster zu nehmen ist er auf komischem Feld. Als leichtgeherzter Richard, der im Sturz ein tiefer Mensch werden soll, macht er ein Märtyrerbild aus Öldrucken; mit unverrücklicher Heilandsmiene (und mit einer dauernden, durch Schminke nebst Emaille befestigten Zähre).

Die »Twelfth-Night«-Aufführung sieht man mit Staunen. Komische Fähigkeiten, wie gesagt. Aber »Was ihr wollt« ist nicht bloß Komik, sondern auch Lyrik. (Erst weil das Lustspiel auch die Sehnsucht, das Gespinnst, die Melancholie hat, gleitet es in sozusagen ewigere Gefilde.) Bei Tree war die Komik gut; die Lyrik spottschlecht; das Orchester furchtbar … Und vorn und hinten wird dem verstorbenen Autor gezeigt, daß es späteren Intelligenzen vorbehalten blieb, was aus ihm zu machen. Beerbohm enthüllt, wie sehr ein Schauspieler der Gegenwart einem kleinen Kollegen der elisabethanischen Epoche vorzuziehn ist. Nicht nur, daß er etwan am Schluß eine Polonäse beifügt. Viola, nämlich Fräulein Tree, muß den Narren unterbrechen, plötzlich eine von seinen Strophen singen. Malvolio, nämlich Herr Tree, erscheint nach dem Gelag der Junker nächtens im Hemd. Und so. (In den Tragödien ist es noch schlimmer.)

III.

Dennoch lebt freundlich die Erinnerung an das Komische dieses »Was-ihr-wollt«-Abends in mir. Auch Trees Malvolio. Prachtvoll im Gang; im Gesichtsausdruck; in diesen erloschenen, würdigstumpfen Zügen. Man braucht kein Mitleid mit dem Kerl zu haben, weil ihn sein Größenwahn vor Schmerzen schützt. (Mit einem deutschen Malvolio bekommt man Mitleid, das hindert die komische Wirkung.) Und Trees Stelzbeine sind wie ein Symbol.

Beine. Bewegungen. Körperliches … Es fällt mir auf, daß die Behandlung der Glieder das eigentlich Neue und wirklich Bewundernswerte dieses Gastspiels macht. Die Gebärde war oft und bei allen glänzend; nämlich die turnerische (nicht die mimische). Der Bote, der zu Kleopatra kommt, gab schlechthin Staunenswertes. (Diese exotische Echtheit macht wohl nur der Schauspieler eines Volks, das die meisten Kolonien der Welt hat.) Die Art, wie Trees Falstaff in den Waschkorb turnt, ist allein des Festhaltens würdig. Auch Malvolios Stelzen … Die Tochter Tree, als junger Bursch verkleidet, sah entzückend aus. Als Annchen Page flog sie himmlisch über das Nachtgefild. Ist sie eine Schauspielerin? Aber weit mehr. Ein junges Mädchen von zweiundzwanzig Jahren.

IV.

Sonst gab es in »Was ihr wollt« statt der Lyrik: Bosnien, die Herzegowina, Dalmatien; Ragusa … conducted tours. Daneben etwas Furchtbares. Nicht zu Schilderndes. Unerhörtes. Ein Orchester, ein Orchester … Etwas nicht zu Schilderndes … Musik des Shakespeareschen Verses ermurkst durch die Fünfzigpfennigmusik einer schmachtenden Operette. O mein Bauch!

Aber was bedeutet alles dies? Ein seltsam starkes Volk ist zu gut gepflegt, um heute für die Kunst etwas zu sein. Kunst bedeutet vielleicht einen gewissen Zustand von Unterernährung …

Nein. Aber je weniger Wünsche, je weniger Kunst. Shaw und Oscar Wilde sind nicht Engländer, sondern Iren. Zwiespaltmenschen. (Engländer schaffen heute was in der wohlhabenden Kunst: in der bildenden. Innenarchitektur.)

V.

Mit alledem war die Aufführung der »Lustigen Weiber« entzückend. Fest steht, daß ihr letztes Erscheinen in Berlin fünfmal weniger saftig gewesen ist, fünfmal so matt; obschon mit Engels und der Sorma.

Nämlich bei Reinhardt waren die Windsorfrauen auf der Bühne lustig und die Zuschauer gelangweilt. Bei Tree kam die Lustigkeit ins Parkett. Und diese Gassen von Windsor! (dem englischen Potsdam – hätt' ich fast gesagt). Diesmal die Ausstattung unscheinbar: damit am Schluß desto zaubervoller das Phantastische durchbricht. Mondglanz der Natur. Seligkeit einer umgeisterten Aue. Ich fand hier die Regie köstlich. Und köstlicher das Schlußbild (obschon eine Zugabe des Herrn Tree): ein großer Reigen; eine Kette vorüberrennender Menschen; das ganze Dorf lief noch einmal vorbei – und am letzten Ende Sir John, der fette Schuft, gefolgt von einem Elfensäugling. Lovelich. Kein roher Kniff: sondern das gab noch einmal den Extrakt dieser spießbürgerlichen und sphärischen Komödie … Die meisten der Menschen da hatten vielleicht nicht gelebt (denn die Engländer haben die Schule des Naturalismus nicht durchgemacht; davon stammt ihr ganzes Elend). Aber Falstaff lebte. Dieser Falstaff bleibt meinem Gedenken. Er hatte was Ruhendes, Wuchtend-Animalisches. Das war ein dickes, altes Schwein. Nicht mehr und nicht weniger. Ein grunzender, schwerer Weißkopf mit allen bösen Instinkten. Mit Phlegma, Komik und eingesoffener Kriminalität …

VI.

Dieser Abend stellt jedoch für mich einen Lichtpunkt dar in einer Fülle von Schrecklichkeiten. Der Schauspieler Tree hat in der Tragödie den vernichtenden Ruhm: die schönsten Örtlichkeiten geliefert zu haben, an denen schauspielerische Leistungen hätten stattfinden können. Unnennbar Ekelhaftes. Jahrmarktsjammer. Man wußte nicht mehr ganz, was mit einem vorging.

VII.

Und da fragte man: warum geschah dies Gastspiel? … Die politischen Läufte bewirken bei uns Drolliges. Wir Künstler leiden unter dem Anbahnen guter Beziehungen zu europäischen Völkern.

Als ein englisches Blatt mein Urteil über Trees fünf Shakespeare-Gestaltungen zu wissen wünschte, schien es mir zweifelhaft: soll man das Gastspiel als politischen Akt behandeln – oder als Kunstleistung? Aber der stärkste Mann vermag Beerbohm in seinen Händeln mit Shakespeare nicht zu unterstützen. Wenn Politik schon »den Charakter verdirbt«: so wünschen wir nicht, daß sie nun auch den künstlerischen Intellekt verderbe. Falls ein deutscher Theaterich den Shakespeare so entmannte, überfettete, roh behängte, würden alle Zeugen die Hausschlüssel aus der Tasche nehmen. Ich mußte dies als berechtigt hinstellen.

VIII.

Im übrigen scheint mir, daß Trees berliner Gastspiel der Kunst nicht schädlich ist. Niemand wird getäuscht. Man erlebt keine Krypto-Veroperung Shakespeares: sondern eine hellerlichte. Jeder weiß nach zehn Minuten: das ist nicht Schauspielkunst, sondern Schaukunst. (Trees Tragödien müßte jemand besprechen, der sonst über Pantomimen schreibt.)

Schaukunst statt Schauspielkunst. Gefahrvoller sind, ich glaube das fest, geistig höherstehende Leistungen in Berlin, die auf halb so deutlichem Wege statt zur Shakespeare-Erschließung zur Shakespeare-Vermießung steuern. Soll schon gebuhlt werden, nämlich mit dem Ausstattungsgott, so ist mir eine stramme, eingestandene Geisha lieber als eine demi-vierge.

Was Tree gibt, ist nicht Shakespeare; die Reinhardt-Mode hat aber noch Beziehungen zu Shakespeare – das ist schlimmer. Auch bei Tree wird das Wort vernebensächlicht durch die Unerbittlichkeit des schönen Bühnenbilds. Ich spreche nach dem berliner Wintermärchen; nach dem berliner Romeo. Wenn jetzt eine freundwillige Logik nach dem Besuch der Engländer die Sünden Reinhardts, nämlich die Veräußerlichung Shakespeares, als belanglos hinstellte; wenn der Trugschluß aufkäme: Reinhardts Shakespeare ist erduldbar, weil er nicht so tief steht: erst dann hätte das britische Gastspiel eine Schädigung unserer Zustände zu bedeuten.

Bringt es aber dem besser gearteten Reinhardt die ganze Erkenntnis der Shakespeare drohenden Gefahr; (wirkt es als ein vomitivum statt als ein narcoticum): dann will ich die Familie Beerbohm segnen.

IX.

Es scheint mir kaum wichtig, festzustellen, was Überliefertes an Trees Feindseligkeit gegen Shakespeare ist: an seinen Zutaten; an seinem Umspringen. Überlieferung, ununterbrochen seit Shakespeare, gibt es nicht. Wenn es die aber gäbe, dürfte man sie mißachten: weil ein so zerlegender Dichtergeist mehr Berührungen mit heut atmenden Menschen hat als mit damaligen Schaugästen, – deren Wünschen er nachgab.

Trees Hamletbühne war auch nicht Überlieferung. (Sie hätte sonst im Hintergrunde das Gerüst mit dem Balkon haben müssen wie anno Elisabeth.) Aber die Ausführung des nicht neuen Experimentes hatte jedenfalls den großen Zug. Trees Hamlet-Bühne bleibt zukunftsvoll. (Sie müßte bloß mit Leuten bevölkert sein, die spielen könnten.)

 … Etwas ernsthaft Reizvolles. Nur drei stumme Stoffwände. Trübe Hamletswelt; nordisch-tragische Welt in der Halbfinsternis dieser starrendschattigen Begrenzungen. Auf solchem Grund grundvornehme Bilder. Ein Kartenkönig wie aus der Ballade. Das Ganze wie eine Ballade – (bis auf Tree, den Mimen; die andren passen in ihrer noch größeren Persönlichkeitsarmut besser hinein). Ich habe niemals Hamletstimmung in Anordnung, Mobiliar, Licht so gefühlt.

Ophelia gab Mißgriffe; Mätzchen. Warf ein Bukett von Blumen (allzu kunstvoll, geschickt, symmetrisch) in die Luft gleich einem Feuerwerk. Doch obschon sie beim Singen auch kolorierte, war sie plötzlich eine der besten Ophelien. Falsch wäre vor so einem Geschöpfe der Satz: sie war nicht beseelt, sondern eine Präraphaelitin. Richtig ist: im Präraphaelitentum lag ihre Seele. (Mir kamen auf einen Schlag wieder Ideen über Dilettantenverwendung. Weil dieses Mädel etwas so Reines hat, floß aus dem Unterstrom dessen, was man ihr eingelernt, ophelische Tragik.)

X.

Tree der Vater unterbrach eine nicht zu schildernde Langweiligkeit nur wo er turnte: beim Fechten. Aber rücksichtsloser als gegen Shakespeare ist der Mann gegen die Kritik: denn er bringt sie am letzten Abend zum Schwanken.

Als Schauspieler zählt er nicht. Als Gesamtmacher zählt er bestimmt. Neben den innerlichen Meistern, einem Brahm, einem Stanislawski, ist dieser Name nie zu nennen. Wohl aber gilt er als Zwischenfall. Er ist jemand, dessen Zutaten ekelhaft bleiben, aber dessen Regie manchmal Achtung erzwingt.

Denn er arbeitet zwar, was die Mitspieler und ihn betrifft, mit einer Rasse, die zum Rollenverkörpern widernatürlich unbegabt ist (diese Angelsachsen auf den Brettern widersetzen sich der Schauspielkunst mit einer wilden Zähheit wie ihre Vorfahren dem Christentum) – aber Herbert Beerbohm-Tree, nebst Beratern, die sein Name deckt, hat außer dem Prunk auch neue Illusionen gebracht; neben dem scheußlichen Effekt ein paar Schönheiten gesteigert; neben dem Tingeltangel auch ein paar Blicke geöffnet. Kurz und milde gesprochen: er arbeitet … man braucht nicht zu sagen: für das Auge; sondern manchmal: für den Stil.

XI.

Und nachdem wir schon gemerkt haben, daß der Mann überhaupt auf einem andren Felde wächst; daß er ganz Andres will als wir: nachdem wär' es geistlos, fortwährend nur Das von ihm zu verlangen, was wir wollen. Sondern wir haben zu fragen, was er innerhalb seines Wollens erreicht hat.

Ganz wenig ist es nicht. Eben genug, daß man sieht was unser letztes Theater an äußeren Anregungen ihm schuldig geworden ist.

Die Tree- und Trick-Kunst hat eine Doppelseele. Eine Seele von rohem Geschmack; und eine von sehr hohem Geschmack.

Trees Fall ist schlecht: aber einfach ist er nicht.

1907. 21. April.


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