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Coquelin

I.

Coquelin, der letzte seines Stammes … Ein Gesicht wie die fromme Helene. Ein Spießergesicht, was Zwinkerndes um die Augen, eine Stülpnase, ein Gesicht mit Nischen; ein halbes Clownsgesicht. Drumont nennt ihn den Schauspieler des Judentums; den Schauspieler des Gambettismus: weil Gambetta sein Freund war.

Man verschaffe sich im Buche dieses Rasenden den Genuß des dritten Abschnitts. Da bringt er sie zusammen, den Histrionen und seinen jüdischen Kaiser. Abends bei Daudet liest Coquelin die »Könige im Exil«. Der Tod hat nach Gambetta schon die Hand gereckt; aschgrau, doch vollblütig, gedunsen von krankhaftem Fett, das letztemal, wo Drumont ihn erblickt, ein Gezeichneter, lehnt er am Türpfosten, hört mit angestrengter Aufmerksamkeit den Lieblingsmimen und das willkommene Werk, darin »die ehemaligen Szepterträger verhöhnt werden, alle die Nachkommen erlauchter Geschlechter, die über Europa geherrscht«, – und Gambetta scheint zu denken: jetzt bin ich an der Reihe.

Drumont hat viel einbildnerische Kraft. Er macht für Coquelin die Republik verantwortlich: mit demselben Recht, wie er Bonapartes Semitismus zu erwägen gibt. Hat es überhaupt einen Sinn, Schauspieler politisch einzukasteln: dann gehört Coquelin zu einem verstorbenen Kaiserhof.

Und der Schauspieler dieser dritten Republik heißt Antoine.

II.

Coquelin ist ein Sprecher ersten Ranges. Neun Zehntel seiner Kunst ruhen auf dem überlegenen Ballspiel mit Klängen, mit Stufungen, mit Wechsel von Höhe und Tiefe der Stimme, mit dem Zungentempo, mit der Meisterschaft des Umschlagens, des Verschluckens, des Indenbartmurmelns, des Abspringens. Mit einem Wort: Artikulationshumor.

Wenn er im »Fräulein von Seiglière« als grauköpfiger Advokat mit einem Schloßherrn, oder mit einer Dame, oder mit einem jungen Mann redet: so hüpft seine Stimme wie ein Eichhörnchen, bald dehnt sie sich wie ein Gummizug, bald schnobert sie wie ein Hund, bald flackert sie wie ein Licht, bald schürft sie in der Unterwelt wie eine Ratte, bald fährt sie auf den Kernpunkt wie der Reiher auf den Fisch. Die Stimme scheint zu zwinkern wie das Auge. Und das Auge scheint zu quieken.

III.

Wenn er merkt, was mit dem Partner los ist; daß er dem Schloßherrn aufs Dach steigen will; wenn er Zusammenhänge ahnt; wenn er begreift, ohne zu sprechen; wenn er vermutet, ohne zu begreifen; wenn er mit dem jungen Mann zur Tür hinscharwenzt, Artigkeiten tauscht, halbe Winke wechselt: dann ist er im Fahrwasser. Er scheint die Drolligkeit und Zugespitztheit selber. Alles ist meisterlich gemacht, sitzt fest, arbeitet schlagend: trockener Witz, kaltblütige Gewandtheit, pfiffige Ironie. Das ist die eine Seite.

IV.

Sein zweites Merkmal ist Kraft. Hier liegt sein bescheiden demokratisches Teil. Er ist ein Schlächtersohn.

Gewiß ein Gehenkter und Gerissener, der auf zerkleinerte Wirkungen spielt, aber vom Mutterleib her ein Bursche mit starken Knochen. So formt er im Tartüff den handfesten, hanebüchenen, fleischlichen Zug. Mehr Räuber als Schleicher. Er führt mehr die Keule im Wappen als das Stilett. Schon im Aussehen bekommt er eine schwere, bewegungslose Wucht; kompakt, albdrückend; man ist froh, wenn der Kerl aus dem Haus ist … Am stärksten bleibt das äußere Bild im Gedächtnis; seelische Vorgänge überzeugend zu machen scheint seine Sendung nicht. Der begabte Mann hat nicht den geringsten Ewigkeitszug.

V.

Bild und Stimme: beides wirkt zusammen in der Darstellung des Mascarill, in den Précieuses ridicules. Mascarill, der gebildete Hausknecht, – auf Beseeltheit kommt es da so dringend nicht an. Coquelin gibt eine Studie, wie hingewirbelt, dennoch in jeder Einzelheit herausgearbeitet. Ein ziervoller Lakai, schnalzig und schmalzig, und wandelt wie ein Bräutigam. Er wälzt sich in lieblicher Entzückung, wenn er mit schöngeistigen Fräuleins scharmuziert, er belächelt sich, er gurgelt vor fetter Selbstwonne, er leckt sich wie ein Kätzchen, er schmilzt vor Protzenglück, er zittert vor selbstzufrieden süßer, geistreicher Lust.

Man muß das sehn, diese farbige Gestalt einer gallischen Posse, von einem Sohn des Landes verkörpert. Hier ist Coquelin auf der Höhe. Man bewundert das Gemisch von Technik und Laune. Zwar bleibt er derselbe: mehr ein Unterhalter als ein Gestalter, – noch wenn er den Napoleon macht. Mehr ein Sprecher als ein Schöpfer. Mehr der Mann einer Stimmwirkung als der Widerschein eines Menschen.

VI.

 … Eine Hundeschnauze großen Stils. Schlau sein; wach sein; drollig sein; nie die Fassung verlieren: das ist die Weltanschauung dieser Kunst. Kaltblütige Kunst, Sicherheitskunst, Abtönungskunst; sehr feststehend, sehr ruhig, sehr schlagend; eine Kunst, die in keiner Minute aufhört, Mimenkunst zu sein und Epigramm.

VII.

Alles in allem: die Existenz des verstorbenen Dichters Jean Paul würde Coquelin nicht begreifen, auch wenn man ihm sehr zuredete.

Urgründiger Humor wie beim Swift oder Sterne liegt gleichfalls über seine Grenzen hinaus. Er hat Innerliches nicht zu sagen. Doch er kann sein Handwerk auf eine Art, die an Genialität grenzt. Und gewiß ist er mit seinen Mängeln dem heutigen Frankreich nicht anzukreiden.

Er bleibt der Schauspieler eines versunkenen Kaiserreichs … Und der Kaiser eines versinkenden Schauspielerreichs.

1903.


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