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Helene Thimig

I.

Ein paar bestimmte Eindrücke der Frühzeit herausgegriffen – nach dem ersten, starken in Lauchstädt, als ihr schweigend unbeirrtes Mädeltum sich erschloß wie Gold mitten im Gestein.

Später gab sie das Kind des Veit Stoß, in einem Schauspiel von Tim Klein. »Im Dom, da steht ein Bildnis, auf goldnem Leder gemalt.« Aber nicht von Robert Schumann gesetzt (so schön das ist): sondern von irgendeinem schmucklosen Organisten, der früh starb.

 … Uneitel; das Haar fast verkudelt, wie der Schlesier sagt.

Häufig wirkt sie in so einem Stück anfechtbar: weil sie zu echt ist, Kitsch zu machen.

Gretchen und Klärchen aber stecken in der äußerlich, an Kleidung, unbeholfenen Gestalt; zugleich starr, zugleich still-hingegeben.

Noch aus dem Unzulänglichen fühlt man, was dieses bewußt reizlose Menschenbild sein kann: ein Glück der deutschen Szene.

II.

Der Hort ihres Hauses bleibt sie (des Hoftheaters). In Karinta von Örrelanden, einem Schauspiel von Dülberg, ist sie als Tochter im Zwiespältigen erschütternd. Die »herbe, überfeine Frucht«, so Dülberg fordert. Im blauen Schein als Totenkind hinaustrachtend – man vergißt es nicht. (Welch ein Hannele!)

In einem Schauspiel von Halbe schafft sie, trotz komischen Begleitumständen der Umgebung, eine ganze Tragik, wunderbar. Sie ist eine zernagte, trotzdem leckere Wirtschafterin … mit allem Insichhineinfressen; mit aller engen Daseinsgier; mit aller schlichten Hoffnungslosigkeit; mit allen kaum unterscheidlichen Stufen zwischen Verbitterung und Sehnsucht – und mit einer frischen Schürze; nicht leicht auszulöschen.

III.

Sie ist bei Grillparzer die Gattin des treuesten Dieners – und gibt Wertvollstes zwischendurch in dem Gemisch von Unsicherheit … mit festem Willen zum Treubleiben. Man denkt: die Thimig ist ein großer Gewinn. Sie soll niemals den Zusammenhang mit dem Naturalismus verlieren – und recht viel alltagsderbe Vorstellungen sehn.

Und Antigone?

Trotz äußerer Mißlungenheit war sie es. Manchmal sah sie aus (infolge der Beleuchtung?) wie ein Bauernweiblein; oder wie ein Totenkopf; altfrauchenhaft. Der Holzbildhauer Syrlin, einstens in Ulm, hat so was gemetzt.

Antigone muß auch zart sein. Sie ist beides: tapfer und trüb. Täterin und Empfinderin. Beherzt und umflort. Schwert und Weib.

Nicht nur das flatternd-süße Schwanken der Ismene bleibt kostbar: auch die wehe Doppelheit ihrer starken Schwester. Sie tut die Tat: aber sie weint um ihr nie erlebtes Brautlos. Sie ist keine Sockelfigur: sondern ein Frauenzimmer. Sie geht hinab: doch sie schaudert zuvor. Kurz: Antigone bleibt am größten darin, daß sie auch eine Prinzessin von Homburg ist. Manches davon hatte die Schauspielerin Thimig.

Etliches kam zu betränt. Sie war am stärksten in ihrem Gipfelwort: »Nicht mitzuhassen; mitzulieben bin ich da.« Hier von zusammengedrängter Innenmacht.

IV.

Sie gibt einmal die hanssachsische Frau Wahrheit, so niemand herbergen will: auch die könnte dort in der Neidhardt-Kapelle von Ulm stehn – wo Weiblein und Jüngferlein bunt lächeln, die Äugelchen senken und emporschlagen; wo sie zur selben Frist feierlich sind, zur selben alltagsvoll und hausderb …

An Ulm erinnert sie sogar beim Sophokles. Jetzt als Gleichnis der Wahrheit wiederumb.

Ist sie vom Schlaf erstanden; und hat sie der Syrlin vor Jahrhunderten in Holz gemetzt?


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