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Suzanne Desprès

Verkündigung

Sie zeigt mit ihrem Ehemanne,
Was unscheinbare Kunst vermag.
Ich pries die kernige Susanne
Schon oft, – sie ist von schierem Schlag.

Sie hat so simple, spröde Reize.
Ein braver Kerl. Ein franker Blick.
Erschütternd (als Elisa) schreit se.
Mit Herzweh denkt man dran zurück.

Stammt sie von Else Lehmanns Stamme?
Nehmt den Vergleich hin, faute de mieux.
Ganz wundervoll wirkt sie als Amme –
In einem Schauspiel von Brieux.

Nun laßt vor ihrem Spiel verstummen
Den immer blöden Vorrangsstreit.
Ir sult si heizen willekummen
(Sagt Walther von der Vogelweid').

1907. 17. Januar.

Phèdre

I.

Dies Drama von Racine (die verschmähte Stiefmutter; oder der umgekehrte Don Carlos) bleibt ein schlechtweg spannendes, wundervoll gebautes Meisterwerk.

Im übrigen: ein Konversationsstück der Tragik und des Edelmuts und der Leidenschaft. Kultivierter Leidenschaft. Treibhäuslicher Tragik. Alles wächst auf Beeten. Jeder Ausbruch bemessen, gerundet … Versailler Griechen sind die Leute, noch wenn sie toben …

Eine Fülle von feiner Großmut neben den Erschütterungen. Unsre Junkerschaft; unsere straffen Hungerleider hatten andres zu tun als verklärt zu sein, und Bilder feinster Vollendung in der Leidenschaft, und musteredel. Außerdem sind sie Kaltblüter …

II.

Versailler Griechen stellte die Truppe des Herrn Lugné-Poë nur teilweis dar; teilweis waren es schon Boulevardgriechen … Einst hatte Racine modernisiert, jetzt modernisierte man den Racine. Doppelte Verschiebung! Aber vielleicht kamen diese höchst modernisierten Griechen den alten und wirklichen wieder nahe.

 … Theramenes überzeugte; die Wärterin Oenone war echt; bloß Hippolyt rein unmöglich: ein Männerle; ein junger sanfter Schneider; ein Stück Unglück; allzusehr was die Gallier »jeune premier« nennen; ein Hippolytel; ein Trauer-Infant von Attika.

III.

Bleibt Suzanne … Sie war am größten vor einem Lustrum: da sie bei Antoine spielte. Sie war eine gallische Else Lehmann. Dieser (unzulängliche) Vergleich ist der beste, – man hätte das noch schärfer in Berlin erkannt, wenn sie ihr Fach spielte: das Lehmannfach; eben die Rollen, die sie beim Antoine gab.

Die Frau hat den Schrei. Sie hat, auch wenn sie nicht schreit, die wundervolle Stimme eines beherzten Kindes. Die Desprès ist vor allem eine ungestüm-edle Ruferin. Ein derb leuchtender Mensch. Ein Bauernmädel, auch wenn sie in der Riesenstadt zur Welt kam. Was sie jetzt spielt  …, es zwingt sie krankhafter, sentimentaler zu erscheinen.

IV.

Sie ist also ein beherztes Kind, nicht Phädra. Schön sah sie aus, als Verführerin. Die rechte Brustseite nackt. Das Haar der Achselhöhle vor Klassizität wegrasiert. Eindrucksvolles gibt sie als Erinnerungsbild: von Leidenschaft siech und süchtig, im Beginn wie am Schluß; eine ganz Benommene, Aufgezehrte …

In der Mitte das Rufen ihrer beherzten Stimme (es gibt kein schlagenderes Wort: ihrer beherzten Stimme, – darin liegt die ganze Frau). Ich höre den Ruf des in die Kunst verschlagenen Bauernkindes. Einer ehrlichen unverstellten jungen Person. Eines franken, braven Kerls.

V.

Aber ist das die Phädra von Racine? Freilich machte das gradherzig-unverdorbene Geschöpf bisweilen einen Gestus, den man ihr als klassisch beigebracht. Sie nahm Stellungen ein, reckte die Arme, verblieb so  …

Doch sobald ihre beherzte Stimme durchdrang: sobald wüßt' ich, daß Phädra nicht eine Enkelin der Götter, sondern im Vorort beheimatet ist … Diese Fürstin war keine mythologische Standesperson: sondern eine Asphaltgriechin; von einfachen Sitten – im Grunde der geborene Gegensatz zum Alexandriner.

VI.

 … Sie verstellte sich trotzdem fünf Akte lang; machte Beginn und Schluß durch die gedrängte Darstellung des Siechen eindrucksvoll, … und war (in summa) gewiß nicht so racinisch-überwältigend wie die Phädra der Bernhardt. Sie war eine Phädra der dritten Republik. (Das ist es.)

Soll Deutschland sie kennen, dann spiele sie vor allem ihr Fach: das Lehmann-Fach.

1907. 27. Februar.

Elektra

I.

Es ist gerechterweise nicht zu behaupten, daß diese Truppe Racine darstellt. Doch sie kommt aus einem Land, wo man Racine darstellt.

Die altgriechischen Tragiker zu verleiblichen sind heut romanische Völker berufen. Wer den Ödipus auf der gallischen Landesbühne schaut, dem ahnt etwas von der Verwandtschaft hellenischer Formdramatiker, Chordichter, Symmetriker mit dem lateinischen Blut. (Dorthin gehören Aischylos, Sophokles, Euripides.) Italiener, wenn sie Geld hätten, könnten diese Stücke noch viel verwandter, vetterlicher, ahnungsvoller, echter, angenäherter spielen.

II.

 … Hofmannsthal ist nicht hellenisch. Sondern hofmannsthalisch – nordisch – maeterlinckisch – alttestamentlich. Die Truppe gab sein Werk  … nicht rein rhetorisch: aber doch gerundet. Ein bißchen mit dem Übereinkommen ihrer friedgeschliffenen Kultur. Auf jeden Fall: in ihrer Sprache – die wundervoll für alle Realitäten, für alles Kämpferisch-Helle, für alle heutige Entwicklung, für alles verfeinert Menschliche; kurz: für alle Zukunft; doch nicht wundervoll für Dämmerung des Gewölks, verschollene Urheiten, Allklänge, Blutdünstungen, Mythusartiges, Blümerantes ist. Dafür ist Shakespeare und unsere Lyrik, Naturweben des Volkslieds und Musik, Musik …

Hofmannsthal schuf einen steilen Totenrasetanz. Diesen Rhythmus hätten sie herausbringen können: doch wir machen ihn besser. Sie haben auch den Rhythmus nicht herausgekriegt.

Ich möchte nicht quatschen wie ein Ethnolog – welcher vielleicht sagt: »Der Grund bestand in ihrer Blutmischung.« Sondern ich möchte sagen: »Der Grund bestand in der Beschaffenheit dieser Truppe.«

III.

Wie stellt sich die deutsche zur gallischen Elektra? Die Elektra der Eysoldt ist … weniger eine Priesterin a. D. als eine zähe Nutte.

Ein Fürsorge-Zögling; von einem großen Gedanken beherrscht. (Ein Fürsorge-Zögling; von einem großen Gedanken beherrscht.)

Die Elektra der Desprès ist un brave garçon; mag sie sich schon einen düsteren Kürbiskopf zurechtgemacht haben. Man glaubt ihr nicht. Ein in der Weltstadt geborenes Bauernmädel, das sich umsonst als Tier verstellt. Sie hätte ja bei ihren tapfren Reizen (mit dem Stimmklang eines beherzten Kindes) fünf Männer gekriegt!

IV.

Weiß sie, was sie spielen sollte? Die endlich erfüllte Hochzeit einer austrocknenden Jungfer mit dem irr belallten Bräutigam Herrn Haß-Rachemann. (Aber wenn man solche Arme hat!) Von dieser Hochzeit steht sie nicht mehr auf. Elektra, glaub' ich, hat etwas von jener glühäugigen späten Köchin aus Frankfurt, die zum Eisbären stieg – in dessen Erdrückung sie zufrieden starb.

(Aber wenn man solche Arme hat!)

V.

Die deutsche Darstellerin und die gallische sind nicht zu vergleichen. So wenig wie der Norden mit einer Steinbrücke von Paris; mit einem Frühtag am Quai; mit einer Seligkeit in der Vorstadt. Nur, daß die deutsche Künstlerin größer war. Auf diesem Felde größer.

Bei der Eysoldt-Elektra sagt man: »Sie hat so gelitten! gut, daß sie tot ist.« Bei der Desprès: »Sie war so lieb! schade, daß sie tot ist.«

1909. 20. November.

Silvia

I.

Silvia Settala war sie, Gegnerin der Gioconda, die geopferte Gattin in d'Annunzios Drama von den abgequetschten Händen …, in dem bloß ein schönes Wort vorkommt, das man liebt, weil man es täglich empfindet: Ich bin geboren, Statuen zu machen.

Die Vollendung bringt Frau Desprès nicht, wie andre Gastspielerinnen. Vielmehr schafft sie Gelegenheit, ihren Übungen beizuwohnen. Was tut es? Mitunter zwar ein Gestus, dem Eingelerntes noch anhaftet. Aber die ganze Person ist ein herrlicher Mensch, den man voll Spannung sich entwickeln sieht. Und so gewiß ihr die Vollkommenheit abgeht: so gewiß fühlt man, daß sie ein Stück Gold auf zwei Beinen ist.

II.

Sie zeigt überdies, als Bildhauersgattin, einen, zwei Augenblicke, die man zu den starken Augenblicken des Theaters rechnen muß.

Nicht die Nervenwirkung, wenn sie in blutgetränkten Tüchern die zerquetschten Hände vor das Parkett bringt. Sie folgt hier dem Willen d'Annunzios; (zweitens der Überlieferung ihres Landes, – wenn dort im Staatstheater der Ödipus des Mounet-Sully, besudelt, mit zwei grauenhaft frischen, rotblutigen, rohen Wunden, wo sonst die Augen des Menschen sind, unvergeßlich über Höhen und Tiefen wankt) … Eine Nervenwirkung. Gut scheint mir freilich, daß die Desprès sich davor nicht fürchtet. Es ist der Nagel des Werks, und entweder spielt man es, oder man spielt es nicht.

III.

Die tiefsten Wirkungen liegen im Schlußakt. Ihr könnt nicht unerschüttert bleiben, wenn sie, ohne viel Aufwand an Kunst, einem weißhaarigen Freunde des Hauses zum erstenmal nach dem Unfall begegnet, die Arme auf dem Rücken hält, ihn bloß durch ein Anschmiegen des Gesichts bewillkommnet, während ihr Mund sich (– – …, aber tapfer) verzerrt. Es überkommt sie nur einen Augenblick.

IV.

Niemand wird gleichgiltig bleiben, wenn sie zum Schluß, ohne viel Aufwand an Kunst, bei dem Kinde kniet. Niemand wird gleichgiltig bleiben … Kein Ausbruch. Nur ein schlichter Schmerz. Das Unglück einer mutigen, jungen Frau.

»Sie hat so simple, stille Reize. Ein braver Kerl. Ein franker Blick …« Was diese Suzanne Despres am glaubwürdigsten spricht, sind die vier Worte zu ihrem Gatten Bildhauer: »Repose-toi sur moi!«

Ihre Kunst, – sogar bei dir, Gabriele Rapitello! – ist gradlinige Kunst. Unscheinbar. Prachtvoll … Ein leuchtend anständiger, beherzter Sinn.

Man liebt sie weit mehr, als man sie bewundert. Möge sie behalten, was sie hat; entwickeln, was ihre herrliche Jugend birgt.

V.

Ich möchte was zufügen: dieser kernige Schlag findet sich in Frankreich häufiger bei Frauen, als man in Deutschland weiß. Die Granier vor allem gehört dahin: älter als die Desprès, unlyrischer, derber, bärenhafter, ein Prachtweib im besten Mannesalter; leuchtend-anständiger Schlag von oben bis unten, von vorn bis hinten.

Und es bleibt ein Mangel, daß sie bei uns nicht gekannt wird.

1907. 27. Februar.

Rückblick auf die Schauspielerin Desprès

I.

Einen Blick – sendet noch der Mensch zurück … Neues, in einer Zusammenfassung, über sie zu schreiben, ist schwer. Denn Enthüllungen ungekannter Art bringt sie nicht: nur immer die Enthüllung ihrer Famosheit. (Durchwachsen heut mit etwas Schauspielerei; durchwachsen mit etwelchem Gastspielertum.)

 … Was Deutsche zu ihr zieht, ist ihre deutsche Wesensverwandtschaft: ein europäisch besonderliches Künstlertum ist es nicht. (Unsre Freundin bleibt sie.)

Unsre Freundin, ein prachtvoller Mensch: nicht eine bestürzende Meisterin.

II.

Dies ist das Grundthema. Es lassen sich über eine derartige Musik allerhand Veränderungen spielen. Etwa so. Reizende Frau, wertvolles Blut: keine bestaunenswerte Nummer.

Lieber soll man sich umgekehrt ausdrücken. Nämlich so. Hier ist … zwar bloß eine mittlere Könnerin, doch eine herrliche Person. Hier ist … zwar kein großes Format: jedoch der Wuchs einer (in Anführungsstrichen) Pflanze. Hier ist eher ein liebenswürdiges Phänomen als ein kunstgewaltiges. Kurz: hier ist mehr ein Gemüt als eine Potenz. Ecco.

Und es wäre ziemlich einfach, wenn sie bei alledem nicht häufig noch Gemachtes und Absichtliches hätte.

Folgendes ist, in summa, der Fall Desprès: über der Natur, die sie ist, liegt eine Kruste von Spiel. Von Schauspielertum; von Nichtfertiggewordenem; ein Schatten von Raubbau. Oft fehlt ihr die letzte Wahrheit; (dennoch ist sie oft wundervoll einfach; der Fall bleibt mit den Fingerspitzen anzufassen).

 … Ein Hämling würde sagen: »In Frankreich gilt sie nicht für elegant – deshalb arbeitet sie mit der Schlichtheit.« Ohne dies zu leugnen, wird ein Hoffender sagen: »Aber wie mutig strebt sie zur nordischen Welt!« Oder: »Diese tapfre Pionierschaft ist  …«

Verwickelter Fall. Denn bei alledem ist sie doch am stärksten in den Dramen ihrer Heimat. Köstlich, köstlich als Clotilde – bei Henri Becque. Am köstlichsten.

III.

Ein Dichter-Junggesell (das war er), ein Dichter wie ein Junggesell zuckt hier die Achsel; und sagt: »So geht es uns, wenn wir verheiratet sind. Ach, so geht es uns, auch wenn wir Junggesellen sind … Diese Luder –« (sagt er).

Ich erblick' ihn, wie er die Achsel beim Dichten bewegt; schon zu belustigt, um noch trübe zu sein. Sogar lächelnd; – – doch erst lange hinterher lächelnd.

IV.

Die Schauspielerin Desprès, der brave Kerl, das stramme Geblüt mit bürgerlichem Grund, vermag eben darum diese Clotilde zu spielen: die Ehebrecherin mit Familiensorglichkeit. Voll barschen Leichtsinns; voll ruhiger Niedertracht gegen Männer – für die man doch nach Kräften sorgt  … Denn sie nützt ihrem Gatten – und ist gegen den Liebhaber auch nicht schlecht. Eine bürgerliche Prachtperson.

Moralfrei bloß in einem Punkt (in demjenigen, welchem): just um diese zwei … Familienmitglieder, den Mann und den Schatz, zu stützen; ihr Leben zu verschönern. Kein bloßer Flimmergeist; sondern eine Venus mit Ordnung, Leichtsinn, Taumelküssen und Wirtschaftsbuch. Himmel und Erde, – Pariserin!

Durstig ist sie nach dem Prickelnden, ja. Doch sonst eine praktische Seele. Hundeschnäuzig, wo es sein muß: doch (hätt' ich beinah gesagt) mit dem Herzen auf dem rechten Fleck; alles zum besten ordnend …

Wer es verträgt, –!

V.

Und hierin (wegen des erdhaft-bürgerlichen Untergrunds) war die Desprès unübertrefflich. Gabrielle Réjane, diese volle Virtuosin (die allenfalls ein Kunstschaf, Herr Harden, aus Verlegenheit mit der Duse vergleichen kann) – Gabrielle Réjane war gerissener, flimmernder, gewiegter, flittchenhafter als Pariserin: die Desprès ist viel unschuldiger; selbstverständlicher; ja, gewissermaßen frömmer. Wie aus dem Boden gewachsen …

Zwischendurch hat sie mal einen Spitzbubenzug – nicht wie ein Soubretten-Schusterbub, der sich bei uns neck'sch macht (hei, was bin ich ein Schalk) –, sondern sie hat manchmal jählings an einem Lippenende nebst zugehörendem Lid einen Gaunerzug; einen tief sitzenden; ein zäh einhaftendes Schwindlertum; das glatt arbeitet, schließend klappt. Die letzte Sicherheit. Pariserin …

Dabei mutige Sorglichkeit, Gütigkeit, Heiterkeit – Pariserin  …

VI.

Noch bei Maeterlinck ist Frau Desprès le brave garçon. Monna Vanna, nackt unter dem Mantel (es war ein Prinzeßkleid; vertragswidrig kam sie »nur mit einem Korsett angetan«) – Monna Vanna: tapfer, ohne falsche Schämigkeit. Ohne den Versuch nordisch-anständigen Heuchelns.

Sie beschließt: zu geben, was der Feind verlangt. Keusch bis ins Innerste – doch ohne Gemachtheit. Sie wird es tun; ohne Aufhebens. Sie brüllt dem Parkett nicht in die Ohren: »Was eine Lucretia bin ich! was ein Blütenstaub lagert handbreit auf meinem Busen!« Und doch würde niemand zu lachen wagen, wenn sie gefaßt ins Zelt geht – und gewissermaßen äußert: ich bin bereit.

Pharisäische Sperrenzchen macht sie nicht.

 … Und hernach, im Gespräch, nächtens, aufrecht mühelos, ohne falschen Zug; ohne Lilien-Plakat.

Sie stapft mit beiden Füßen auf der Erde, der brave Kerl. Ihr Poetisches liegt im Stimmklang (Stimmklang des beherzten Kindes, des in der Weltstadt geborenen Bauernmädels). Und hierzwischendurch bringt sie manchmal falsche Töne.

Das ist die Kruste, die sich auf einer Natur bildet. Mit leisem Tasten ist hier das eine wie das andre festzustellen.

VII.

Vor Jahr und Tag, als die grüne Suzanne bei Antoine war, hatte sie keine Kruste. Herrlich – als Nebel noch die Welt verhüllten. Sie war gewiß nicht so mannigfach wie heut. Doch mit einer Linie von schlichtester Reinheit.

Indessen hat sie, wie gesagt, bei Serben und Sibiriaken vergröbern gelernt, manchmal mit dem Zaunpfahl winken, Haltungen unterstreichen, sich für die Bildlinse stutzen …

VIII.

Als Nora bringt sie für Deutsche keine Enthüllung. Bloß die alten Merkmale; drei Punkte: klein; brav; Stimmklang.

Doch! etwas hat sie besser als unsre guten Noraspielerinnen (die besser sind). Der Frau Desprès, mit ihrem Grundzug von beherzter Barschheit, glaubt man im ersten Akt, daß sie den dritten spielen wird.

Vor allem sieht man eine liebe, fast bengelhafte Frau von ahnungsloser Seele, treuherzig und kosenswert, – aber man weiß: wo ihr Fuß bei einer Umwälzung einst hintritt, da wächst kein Gras mehr. Lerche, – meinetwegen. Doch eine mit widerstandsjungen Flügeln. Gemacht für die Freiheit … Sie wird nicht umkommen.

IX.

In der Abrechnung liegt also bei ihr nichts Verblüfftes mehr: ein gekühlter positiver Mensch redet. »Aus is'«.

Und doch war diese Nora vor kurzem ein bißchen rührend – wie ein verängstigt guter Kerl rühren kann.

Auch da merk' ich die Gastspielereien: doch unter Krusten, Ablagerungen sieht man … etwas von der Art, wie Frankreich seine Jeanne d'Arc verbildlicht: da sitzt ein tapferes kleines Bauernmädel in Ritterrüstung auf dem Roß; ein leuchtendes Weibkerlchen (keine edle Gesangvereinsriesin).

So ähnlich ist die kluge, gute Suzanne Desprès.

X.

Ich weiß, was sie falsch macht, wenn sie die Hilde Wangel zu erringen sucht. Es giftet mich: wenn sie bei dem Turmstieg aufhört, nach dem Turm, und anfängt, nach den Orchesterfotölchs zu sehn. Es giftet mich zuvor: daß ihre Hilde kein hartes Geschöpf mit kalt verstiegenster Schwärmerei: sondern eine Person voll sämtlicher Erfahrungen des Körpers ist (nicht bloß der Phantasie).

Die kommt nicht aus dem Norden: sondern aus Ménilmontant (welcher Ort sich mit einem pariserischen Rixdorf unvollkommen deckt). Ich behalte den leisen Argwohn, als wären die Wikinger, wovon Hilde träumt, Zuhälteriche.

Dies alles, bald Entferntheiten, bald Absichtlichkeiten, wurmt mich. Und die Orloff ist eine … nicht bessere, doch richtigere Hilde. Die Eysoldt wäre noch malerischer (– und seelendünner). Sie könnten aber beide das nicht, was dieses Frauenzimmer am Schluß macht.

XI.

Da hält sie, die Desprès, ein weißes Tuch, einen Wollschal … sie zerreißt ihn mit ihren von unbekannter Macht geführten Händen (als der Mann abgestürzt ist), sie jubelt, – man weiß nicht, ob es nicht ein Jammern ist. Jubel, gewaltig mit dem urhaften Klagschrei eines getroffenen Menschengeschöpfs. »Mon maître« … schreit sie; »mon maîaîaître.« Langhingezogen.

Eine wie von Messern zerschnittene Seligkeit. Blutende Weibkreatur; jung; in triumphierendem Schmerz.

Mon maîaîaître.

Etwas nie zu Vergessendes.

XII.

Ja, dieser ganze Schluß ist unvergeßbar. Den Halvard Solneß haben wir so stark, so hinreißend, so wahr nicht gesehn wie durch Herrn Lugné-Poë.

Ein Gewaltmensch ohne Spur von Zurechtmachen. Mit Zügen eines alternden, befittichten Raubtiers. Mit beiden Füßen in dieser Welt; doch im erweiterten Augenstern schwillt es manchmal wie ein Schatten grauen Wahnsinns. Keiner hat Ibsens Worte vor dem Turmstieg so gesprochen wie er. Keiner ist so zur letzten Tat geschritten wie dieser unbedeutende Schauspieler. Gewaltig; einfach und doch schon (ein bißchen) wie in Sphärenfernen. Bassermanns Halvard zerfließt; dieser wird leben. Ich zähle den Schluß des (oft … unrichtigen) Abends zu den großen Eindrücken, die man in Schauspielhäusern empfangen kann.

XIII.

Suzanne Desprès stecke die Gastreisen auf.

Sie begann halbfertig damit. Sie wird so nicht vollkommener.

Sie muß wissen, daß sie kein Ausstellungsgegenstand ist; sondern (im weltstädtischen Sinn) eine Pflanze. Man soll ihr begegnen, auf sie stoßen, zufällig entzückt sein.

Sie darf sich entwurzelt nicht beäugen lassen; für Entgelt befühlen lassen. Dazu reicht es nicht.

Es reicht zu manchem, was mehr ist.

1909. 27. November.


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