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Pallenberg

I.

Ich sah ihn vormals in Operetten – wo er als ein mährisch-jüdisch-amerikanischer Exzentric erschien. Mit Spazierstöcklein fuchtelnd; Wendungen dreimal wiederholend; Sätze talmudisch zerblätternd; einpräglich an Bildkraft. Er hat mittlerweile die Bilder mehr gewechselt als den Grundzug des Spiels.

Der Grundzug liegt im Ghetto.

Noch zählt er nicht zu den Glattgekämmten und Wässriggewordenen und Abgerahmten und Ausgelaichten. Nicht zur niedergeebneten, geleckten Taufjudenschaft. Sondern ist ein kraftvolles Stücke Pöbel, voller Wildheit. Ich weise seit Jahren auf Siegfried Berisch, einen Itzig-Spieler – in dessen ungebändigter Schicht manche Laus zu kriechen scheint. Heut ist er schon gekämmt.

II.

Pallenberg schreitet, wenn er malt, nicht nur zum Häßlichen, sondern tapfer bis zum Ekligen wie … ja, wie wer?

Wie Novelli. Da liegt die zweite Wurzel seiner Kraft; neben dem Ghetto. Hesperische Komödianten kennt er möglicherweise nicht: im Blut hat er sie. Pallenberg ist als Geiziger eine Ratte; ein Hamstervieh. Sein Harpagon duftet schlecht. Triefäugig; schmalnasig; dreckbehaart. Das Weh um den Verschwender-Sohn fällt ihm, statt aufs Herz, auf den Darm.

(Schildkraut ist gegen ihn an Keuschheit und Zurückhaltung ein Schleswig-Holsteiner.)

III.

Pallenberg, als Argan, herzt seine Töchter wild, fast unanständig … Als Buntschuh greift er der tief Ersehnten, nicht Erringbaren unter das Rockende. Er ist ein herrliches Gassenzeug – und starrt von Wüste.

IV.

Er knausert nicht mit hundertfältigem Anblick. Tänzelt, spreitet, krümmt sich, schlappt, schlurft, fleezt, spricht mit den Händen, greift zu, wirft weg, fährt los, fällt um, backpfeift sich, brüllt, ist erschöpft, wird plötzlich überraschend stumm und nickend, hebt einen Mantel, befühlt Stoffe, tätschelt Partner, prüft Hängendes und Festes, schießt auf, jagt weg, tritt vor, glotzt in die Zuschauer, witzelt in die Reihen, höhnt Mitspieler … und fragt allemal: nu, was kann ich?

Er kassiert Beifall; will eine Quittung, – sofort.

V.

Einer spricht bei Molière von Geflügel und Rindvieh – Pallenberg wiederholt das von dem andern gesagte »Rindvieh« so, daß es zu diesem gesagt scheint, als Beschimpfung. Er läßt keinen zu Wort kommen. Wenn die übrigen dran sind, redet er weiter. Er wiederholt ihre Sätze, verzerrt sie durch Tonfall, zerpflückt sie. Rabulistik im Gleichklang. Nach dem Muster: »Heimann, schrei nicht so. Wer schreit? Ich schrei'? Er schreit! Schreit er: ich schrei'!« Er kann nicht aus seiner Haut – die verkürzt ist. (Er soll auch nicht.)

VI.

Aber strahlt einstens der andre Pol aus ihm? nicht das Ghetto – sondern das Ursprüngliche: Propheten, Sinaigäste, Herren der Inbrunst, Schmiede der Gewissenswucht, Könige, Gesetzgeber für die Menschheit?

VII.

Als Figaro sinkt Pallenberg seiner Mutter an die Brust und hat die Dreistigkeit zu rufen: »Mammi!« Als Figaro sagt er zu der Schauspielerin Eibenschütz, da sie hustet: »Setz' dich, mein Kind, du bist erkältet!« Reiskuchen wird erwähnt: – Harpagon ruft plötzlich: »Der stopft!« Vor dem Hypochonder fällt ein ärztlicher Ausdruck: Bradypepsie – Pallenberg spricht ihn zwinkernd so, daß Brady, ein Wiener Nachtlokal, herausguckt. Als Geiziger fügt er den Worten »Ich schmecke nichts« unhemmbar zu: »Ich bin also geschmacklos.« Er spricht mit der größten Aufdringlichkeit in alles hinein. Er trieft von Lazzi, von allem Stegreif-Ulk. Er ist hinreißend ein älterer Spaßmacher in neuerer Zeit.

VIII.

Auch ein Gestalter? – Die Rede der Gliedmaßen ist mehr entwickelt als die Rede des Antlitzes. Alle Glieder sind Zungen. Ewiges Spielen der Finger. Im Gedächtnis bleibt, wenn er als Tobias Buntschuh, als Krüppel beim Scheiden des geliebten Mädchens die Hände … nicht ausstreckt, nur fast ausgestreckt hätte. Sie geht.

Im Gedächtnis bleibt, wie er als Figaro seine Mutter – nicht küßt; sondern abküßt,

IX.

Mit alledem ist er doch ein Teilmacher. Voll Kinkerlitzchen. Theater gibt er stets. Ich gehöre nicht zu Denen, die vor einem schlechtweg erhabenen Aujust-Genie fordern, er sei zum Klassikerbeleben da. Wenn er doch nun einmal seine beste Kraft als Aujust besitzt – und für jede Dramenaufführung der geborene Sprenger ist.

Als Possen-Tscheche: himmlisch. Als Argan: meinetwegen. Eine Hypochondermiene zwischendurch. Doch er malt nicht einen wirklichen Hypochonder: sondern er phantasiert Ulke hin über das leider notwendige bißchen Grundcharakter, das Molière dem Hypochonder gab; Ulke, die genau so in ganz andren Rollen sind. Stegreif-Talmud.

Vollends den Figaro entwest er so, als sei der Held ein zum Schießen ulkiges Original. Eine Kruke. Die aufrührischen Worte des letzten Aktes mährisch-herrnfeldisch geschrien.

Ja: schafft er Gestalten – oder Einzelheiten? Wohl gibt es eine verbindende Linie zwischen den Einzelheiten … aber die heißt Pallenberg (nicht die Gestalt).

Gibt er letzte Beseeltheit – oder letzte Gefallsucht?

X.

Er ist in keinem Augenblick verloren an die Seele – sondern beklopft in jedem Augenblick die Wirkung. Noch sein Schmerz ist … mehr ergreifender Radau als innen Leuchtendes.

Ein Umrißkünstler, lockend; er paßt hier zu Reinhardt. (So gewiß er an bändigungsloser Kraft steil alles überragt.)

Er spricht gegenwärtig bereits deutsch. In ihm wirtschaftet strebendes Entschlossensein. Wird er das Letzte gewinnen? Dieser absonderlich wunderbare Mann ist so tüchtig, daß er auch das Letzte nicht lassen kann, bis es ihn – vielleicht, vielleicht – segnet.

1917. 1. Juni.


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