Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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13. Gedanken aus Berkeley.Diese Gedanken sind aus mehreren Excerpten gezogen, die der Verewigte zu dem Denkmal, das er seinem hochverehrten Berkeley errichten wollte, aus dessen Schriften gesammelt hatte. Sie können hier dem angefangenen unvollendeten Umriß des geistigen Bildes eines der menschenfreundlichsten Männer zur Beleuchtung dienen. – Anm. d. Herausg. Ein weiser Staat hat keine Sache, die ihm näher am Herzen liege als die Erziehung der Jugend.


Die Seele wie der Boden wird, ungebraucht, hart; Denken und Lernen ist Pflügen und Eggen.


Ist's nicht ein böses Omen und Phänomen, wenn unsre großen Männer sich in den Kopf setzen, das Lernen und die Erziehung zu verlachen?


Ein Feind des Lernens ist ein Barbar, und ist ein solcher Barbar nicht ein Feind des Landes?


Homers Compendium der Erziehung: Μύϑων τε ῥητῆρ' ἔμεναι πρηκτῆρά τε ἔργων.»Beredt in Worten und rüstig in Thaten zu sein«. S. Ilias, IX. 443. – H. ist eine gute Lehre für die neue Erziehung. Das halbe Lernen und Studiren, aus Mangel des wahren und rechten Vortrags in unsern Schulen und Collegien, ist nutzlos.


Das Thor, reich zu werden, sollte gegen Alle zugeschlossen sein, außer dem Fleiß und Verdienst. Jeder andre Reichthum (wealth) ist dem Publicum schädlich.


Der wahre Grund des Wohlseins liegt in der Zahl, Frugalität und dem Fleiß des Volks. Alle andre Mittel sind eitel.


Kein Epikureer kann ein Patriot sein.


Das bloße Geldgewinnen oder von Hand zu Hand geben ohne Industrie ist kein Object, einer weisen Regierung würdig.


Geld ist nur sofern nützlich, als es Fleiß befördert. Ob andre Mittel dazu nicht so nützlich seien als das Geld?


Es giebt nur zwei allgemeine Methoden, wodurch Menschen am Nationalfonds von Reichthum und Macht Theil nehmen: Fleiß und Erbschaft. Es wäre also nicht weise in der Civilgesellschaft, den Theil zu verkleinern, der dem Verdienst und der Industrie gebührt.


Nicht alle Arten des Verthuns sind dem Publicum gleich wohlthätig; und wer ist am Geschicktesten, schlecht zu verthun?


Für eine Nation ist's Verderben, sich niederzusetzen und zu spielen, sei es mit Silber oder mit Papier.


Giebt es keine Kunst, den menschlichen Stolz (pride) zu leiten, damit er dem öffentlichen Zweck (public aim) diene? Und dieser ist: das Volk zu beschäftigen.


Sollte nicht der öffentliche Zweck in einem wohlregierten Staat sein, daß jedes Glied nach seinen gerechten Ansprüchen durch Fleiß und Verdienst auch Macht habe?


Ein Entwurf für die Wohlfahrt der Nation, sollte er nicht die ganze Nation ergreifen?


Ob nicht Nachahmung fremder Nationen, denen wir in Umständen gar nicht ähnlich sind, eine Ursache der Armuth unsrer Nation sei?


Für die Armen sorgen, heißt die Wurzeln nähren, damit der Stamm aufschieße und Früchte trage bis zum Gipfel.


In Holland hat der Arme keine Ressource als seine Arbeit, und doch giebt's dort keine Bettler.


Oeffentliche Glückseligkeit wird durch Gesetzgebung, öffentliche Glückseligkeit hält die individuelle in sich.


Alles spricht über Politik, und vielleicht ist in keiner Zeit weniger politische Weisheit verstanden. Ungebundenheit (license) soll Endzweck der Regierung sein, Volkslaune (populare humour) Ursprung der Regierung. Keine Achtung für die Gesetze, keine Anhänglichkeit an die Constitution; wenig Empfänglichkeit für Dinge von Consequenz; gelehrte Zänkereien über Kleinigkeiten; müssige Projecte über Religion und Regierung, als hätte das Publicum beide zu wählen; allgemeine Verachtung aller Autoren, göttlicher und menschlicher; Gleichgiltigkeit gegen prävalirende Meinungen, gleichviel, ob sie Ordnung oder Unordnung hervorbringen: dies sind die Symptomen des gegenwärtigen Zeitalters.

Und Niemand nahm sich's an.

Und doch muß der Staat auch von geltenden Meinungen Notiz nehmen, ihres Einflusses halber auf Leben und Handlungen der Menschen, mithin aufs Publicum. Das Betragen der Menschen ist die Folge ihrer Grundsätze; also müssen gute Principien gelten.

Aeußere Form und Structur der Regierung thut nicht Alles, da die Majorität durch ihre inneren Triebräder (ways of thinking) geleitet wird. Notionen darf der Staat nicht übersehen; sie sind Principien des Lebens und können die größten Unordnungen und Uebel hervorbringen.


Der Mensch ist ein fürchterliches Thier, beides, durch seine Leidenschaften und seine Vernunft. Seine Leidenschaften reizen ihn oft zu den größten Uebeln, und seine Vernunft beut ihm dazu die Mittel an. Dies Thier zu zähmen und es biegsam zur Ordnung, zum Menschen zu machen, ihm einen Sinn von Gerechtigkeit und Tugend zu geben, ihn von übeln Wegen durch Furcht zurückzuhalten, zu seiner Pflicht anzuspornen durch Hoffnung, ihn innen und außen zu bilden für die Gesellschaft, ist der Zweck aller bürgerlichen und religiösen Institute, das Bestreben aller Weisen und Guten zu allen Zeiten. Immer ist Erziehung für das beste Mittel dazu gehalten.


Sind die Handlungen der Menschen Effecte ihrer Principien, d. i. ihrer Begriffe, ihres Glaubens, ihrer Persuasionen, so sind frühgesäte Principien die Samenkörner für den Herbst im reifen Alter. Man spricht von Notionen sehr leicht, und doch haben sie den gewaltigsten Einfluß. Meinungen und Notionen sind ein beständiger Zaum unsrer Lüste und halten unsern Leidenschaften die Stange, wenn sie sie auch nicht in jedem Augenblick controliren und regieren.


Was zäumt die wilden Begierden des Menschen? was macht die Welt bewohnbar als die prävalirenden Notionen von Ordnung, Tugend, Pflicht und Providenz? Das Auge der Obrigkeit ist hiezu nicht genug; thäte Jeder alles Böse, was er könnte, sobald sich Gelegenheit und Verhehlung darbietet, so wäre in der Welt nicht zu leben.


Ein System von heilsamen Notionen ist absolut nothwendig zur Stütze einer jeden bürgerlichen Constitution. Ordnung ist notwendig, nicht nur zum Wohlsein, sondern auch daß ein Staat existire. Ordnung und Regelmaß der Handlungen ist aber kein Effect der Lüste und Leidenschaften, sondern des Urtheils; dieses wird von Notionen und Meinungen geleitet. In jedem Staat muß also ein System von heilsamen Notionen sein, prävalirende Meinungen, angenommen entweder durch Privatvernunft und Nachdenken, oder gelehrt und eingeprägt durch die allgemeine Vernunft des Publicums, d. i. durch das Landesgesetz. Wo Menschen ihre eigne Vernunft nicht brauchen können oder wollen, um für sich selbst zu denken und zu untersuchen, da werden freilich die ihnen beigebrachten Notionen mehr mit dem Gedächtniß als dem Urtheil gefaßt; folglich sind's Vorurtheile. Diese aber sind nicht weniger brauchbar und wahr, obgleich ihre Gründe nicht von Jedermann eingesehen werden.


Vorurtheile sind Meinungen, angenommen ohne Gründe und Untersuchung. Die ersten Notionen über gesellschaftliche, moralische, bürgerliche Pflichten werden alle als Vorurtheile aufgenommen. Die junge Seele kann nicht leer bleiben; gieße in sie nicht etwas Gutes, so wird sie das Böse bekommen! Mache, was Du willst, es wird doch immer eine gewisse Neigung von der Erziehung zurückbleiben; ist's also nicht besser, daß sich diese Neigung auf das richte, was lobenswerth und der Gesellschaft nützlich ist? Diese Neigung wirkt immer, wenn sie gleich nicht immer prävalirt. Die ersten Begriffe haben den frühesten Einfluß, schlagen die tiefste Wurzel, geben Farbe und Complexion dem folgenden Leben. Nicht Gold, Ehre, Macht bewegt die Menschen zu handeln, sondern die Meinungen, die sie von diesen Dingen haben. Sagt also die Obrigkeit: »Ich will von Handlungen Notiz nehmen, nicht von Meinungen«, so ist sie schwach; denn wie die Meinungen so die Handlungen.


Daß ein Mensch thue, was er wünscht, daß ihm gethan werde, seine Obern ehre; daß er glaube, daß Gott seine Handlungen sehe, sie lohne oder strafe; zu denken, daß Der, der sich der Falschheit und Ungerechtigkeit schuldig macht, sich selbst mehr schade als irgend Jemand anderm: dies sind Principien, auf die jeder weise Gesetzgeber vor Allem dringen wird, sie in das Herz eines jeden Einzelnen unter seiner Aufsicht zu pflanzen.


Was nicht durch jedes Menschen eigne Beurtheilung erreicht werden kann, muß durch Vorschrift eingeführt und durch Gewohnheit eingeprägt werden, d. i. in allen civilisirten Staaten muß frühe Instruction sein von heilsamen Begriffen, auch für Die, die ihre Gründe nicht einsehen. Nimmt man diese weg, z. B. die Notionen oder Vorurtheile, die Beziehung auf Scham, Wohlanständigkeit, Gerechtigkeit, Wohlwollen (charity) haben, so habt Ihr Ungeheuer, unfähig zur menschlichen Gesellschaft.

Den meisten Menschen fehlt Zeit, Gelegenheit und Fähigkeit, Conclusionen aus ihren Principien zu ziehen und Moralität auf menschliches Wissen zu gründen. Allerdings ist Röm. 1, 20 wahr; aber dies wird nur von Denen gesehen, die ihre Augen öffnen und diese Dinge genau sehen. Durch die ganze Welt hin sind nur wenige solche genaue Beobachter und Forscher, Wenige, die sich's zum Geschäft machen, Meinungen zu zergliedern und sie bis zu ihrer Quelle zu verfolgen, zu untersuchen, woher Wahrheiten entspringen, und wie sie sich aus einander entwickeln. Kurz, alle Menschen sind voll Opinionen, Wissenschaft ist in wenigen.


Die Menge können keine Philosophen sein, d. i. Dinge in ihren Ursachen einsehen. Allenthalben sehen wir, daß alle Geschäftsleute nach Regeln und Schlüssen handeln, deren Theorie sie nicht ergründen, z. B. Gründe der Geometrie und Arithmetik. So auch in Moral, Politik und Religion. Frühgefaßte Regeln, nicht Opinionen bringen die besten Effecte hervor. Man sehe rings um sich!


Der Unterschied zwischen Vorurtheilen und andern Meinungen besteht nicht darinnen, daß jene falsch sind, diese wahr, sondern daß jene auf Treu' und Glauben angenommen, diese durch vernünftige Ueberlegung erlangt sind. Wer die Unsterblichkeit der Seele auf Glauben annimmt, hat eine ebenso wahre Notion, als der sich in diese Meinung raisonnirt hat. Es folgt nicht, daß etwas, weil es ein Vorurtheil ist, falsch sei. Werden falsche Dinge früh beigebracht, so liegt der Fehler an Denen, die sie beibrachten, nicht an Denen, die sie annahmen.

Auch in Euklid nimmt man verschiedene Propositionen simpliciter an, und überhaupt nehmen Menschen Schlüsse in Allem an ohne Deduction der Wissenschaft. Wie Gottesfurcht, Vorschriften der Eltern und Lehrer, die Weisheit der Gesetzgeber, gesammelte Erfahrung der Zeitalter die Stelle der Beweise vertreten, so sind Disciplin, Notionen, Constitutionen, menschliche und göttliche Gesetze ebenso viele Wegweiser, die dem Menschen den Weg zeigen, welchen er zu gehen hat. Es müssen also unter ihnen die Stützen des Menschengeschlechts Treu' und Glauben sein und bleiben; der undenkende Theil von jedem Alter, Geschlecht und Stande muß diese Notionen empfangen und ihr Glaube an sie erhalten werden.


Die neuern Entwürfe, die Religion und Moral trennen wollen, sind unvernünftig und der bürgerlichen Gesellschaft schädlich. Man sehe nur den wilden Zustand indisciplinirter Menschen, deren Seele mit keiner Doctrin genährt, von keiner Instruction gebrochen, durch kein Princip gouvernirt wird! Man zieht Wilde an. Was man an ihnen bewundert, ist nicht Unschuld, sondern Unwissenheit, nicht Tugend, sondern Notwendigkeit; dies selbst ist auch bei Thieren. Gieb ihnen nur die Mittel, zu überschreiten, und sie kennen keine Grenzen!

Dagegen eine Societät von Menschen, in Principien des Christenthums genau erzogen: Geiz, Ueppigkeit, Ehrsucht etc. haben bei ihnen keinen Zugang. Ueberall sind religiöse Notionen von größtem Einfluß; sie sind der stärkste Zaum gegen Laster, der mächtigste Sporn zu einem würdigen Leben. Wir mögen die Ursachen der Dinge oder die Handlungen der Menschen zu allen Zeiten betrachten, so werden wir überzeugt, daß nichts wahrhaft Großes und Gutes in das Herz Dessen kommen kann, der an keine Grundsätze der Religion gebunden ist, der keine Providenz glaubt, nichts in jenem Leben hofft oder fürchtet.

Strafe und Belohnung haben das größte Gewicht für Menschen, die der Religion am Meisten. »Halte mein Gebot, und Du wirst leben; es sei Dein Augapfel!« Sprüche Sal. 7, 2. Dabei darf Niemand den freien Gebrauch der Vernunft und Untersuchung aufgeben; ein Mensch von guter Einsicht wird diese Notionen nicht verwerfen, die durch Gesetze festgestellt sind.


Die persönliche Autorität des Fürsten thut nicht Alles; Gehorsam gegen jede Civilmacht richtet sich nach der religiösen Furcht gegen Gott.


Was für einen Halt können Obrigkeiten auf das Gewissen Derer setzen, die kein Gewissen haben? was kann man auf Principien Derer bauen, die keine haben? Kein Fürst kann glauben, vom Volk respectirt zu werden, das Gott nicht respectirt.


Confucius sagt: »Ich kann Streitigkeiten hören und decidiren, so gut als irgend Jemand; ich wollte aber Streitigkeiten hinwegthun, daß sich die Menschen ihrer enthalten, aus innerer Liebe und Achtung zu einander.«


Man glaubt, republikanische Form der Regierung könne ein Volk groß und glücklich machen. Aber in keiner Bauordnung kann ein gutes Gebäude von schlechten Materialien aufgeführt werden; keine Form von Regierung kann einen Staat glücklich machen bei schlechten Unterthanen.

Ohne Principien der Religion aber sind Menschen kein Material für eine Gesellschaft, viel weniger für eine Republik. Religion ist das vereinigende Centrum. Religion ist der Cement, der die verschiedensten Theile des Staatskörpers bindet. So dachten alle weisen Männer zu allen Zeiten; und dachten sie recht, so ist jede andre Meinung falsch.


Um die Menschen vom Untergang zu retten, sandte Jupiter den Mercur mit dem Befehl, Scham und Gerechtigkeit unter ihnen einzuführen als die festesten Bande der Gesellschaft. Werke der Gesetzgebung nennt Plato göttliche Werke.Plato, De legibus, VIII [p. 835 C]. und Protag. 34 – H.


Die Meinungen der Meisten (in Kutschen oder zu Fuß) sind Vorurtheile. Ist eine Meinung nützlich der Menschheit und dem Staat, so gnug: Nutzen und Wahrheit muß man nicht trennen!


Der größte Theil von Denen, die Vorurtheile verbannen wollten, würden ihren Verlust am Meisten fühlen. Erbärmlich wären sie dran, wenn ohne alle Vorurtheile die Menschen auf der scharfen Wage des Verdienstes und innern Werths sollten gewogen werden. Manche Vorurtheile sind in der Wahrheit, Vernunft und Natur gegründet, als Achtung für Kenntnisse und Gelehrsamkeit, für das Alter, Honnetetät, Muth, anerkannt in allen civilisirten Staaten.


Gott, der in sich Anfang, Mittel und Ende aller Dinge und Zeiten begreift, wirkt durch die ganze Schöpfung; er influenzirt durch Instinct, durch Licht der Natur, Erklärung seines Willens. Es ist Pflicht der Obrigkeit, diese göttlichen Eindrücke zu cultiviren in den Gemüthern aller Derer, die ihrer Aufsicht und Sorge übergeben sind. Man sage nicht, es sei dies Gottes Werk und nicht der Menschen. Guter Menschen unerläßliche Pflicht ist's, durch ihr ganzes Leben dem Willen der Vorsehung thätig zu Hilfe zu kommen.Hier folgte das Gedicht »Die Nacht« (Werke. I. S. 108–110). – D.


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