Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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2. Paraguay.

Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts stellten die Jesuiten dem spanischen Hofe vor, daß die unordentlichen Sitten und gegebnen Aergernisse der Spanier die größten Hindernisse des Fortganges ihrer Missionen seien; ohne solche würden sich die unbekanntesten Theile von Amerika zur Kirche, mithin unter den Scepter der katholischen Majestät wenden. Sie baten sich einen Strich Landes aus, wohin ohne ihre Erlaubniß kein Spanier kommen dürfte, und verpflichteten sich dabei nicht nur zu einer Kopfsteuer ihrer Heerde, sondern auch zu Stellung einer gewissen Mannschaft in des Königes Dienst. Sie erhielten dazu die Erlaubniß.

So brachten sie zuerst funfzig wandernde Familien zusammen, die sie überredeten, sich bei ihnen niederzulassen. Sie kleideten sie, gewöhnten sie zum Ackerbau, unterrichteten sie in HandwerkernAeltere Mehrheitsform. – D. und Künsten und erweiterten sich dergestalt, daß ihr Staat von 50 zuletzt auf 300,000 Familien stieg und sie 60,000 Mann gewaffneter, wohlgeübter Völker ins Feld stellen konnten. Verschiedne Völkerschaften gehörten zu ihm, zum Theil wilde und tapfre, andre sanft und kunstreich, unter denen die Guaranier die zahlreichsten waren, wie denn auch Guaranisch die Staatssprache dieses Reichs war. Nichts geht über die Ordnung, zu der die Väter Alles gewöhnt hatten, in Schlaf und Wachen, in Religionsübungen und Geschäften. Sogar eine Gemeinschaft der Güter war eingeführt; und doch ward Jedem die Arbeit, wozu er tüchtig war, so wie sein Lohn angewiesen. Fehler wurden väterlich bestraft, die Menschen überhaupt als Kinder behandelt; Ausschweifungen gab es fast keine. Die Väter geboten, die Amerikaner folgten; diese liebten ihre Abhängigkeit, auch wenn sie sich nach dem Tode sehnten. Denn fehlen konnte es nicht, daß Völker, die aus den Wäldern oder aus einem umherirrenden Leben in diesen der Sonne ausgesetzten Staat gezogen und gleichsam zur Ruhe gesetzt wurden, es häufig mit dem Leben bezahlten. Schleichende Fieber, Blattern und andre Krankheiten rissen Viele dahin; und auch diese murrten nicht. Man glaubt einen Traum zu lesen, wenn man die Einrichtung dieser Republik an Fest- und Werktagen, bei Hochzeiten, bei Arbeiten, Ernten und Lustbarkeiten nach den verschieden Jahreszeiten liest; die Art, wie sich der christliche Orden den Volksbegriffen der Amerikaner bequemte, war vielleicht unübertrefflich.S. das Schreiben des Jesuiten Juan de Escandos, imgleichen des P. Nußdorfer's in den »Beiträgen zur Geschichte von Paraguay«, Frankfurt und Leipzig 1768. 1769, desgleichen Dobritzhofer's »Geschichte der Abiponer«, Wien 1783, ein lehrreiches Buch. – H. [Vgl. Herder's Werke, X. S. 35; XIII. S. 584 ff. – D. Wer vermag zu sagen, was aus diesem Staat worden wäre, wenn er in der Stille hätte fortblühen und sich unbemerkt und ungestört erweitern mögen? Ueber Peru und Chili hin hätte er sich, vielleicht über das ganze innere Süd-Amerika verbreitet.

Dazu aber hatte der Orden zu viele Feinde. Die Klagen sind bekannt, die mehrere spanische Bischöfe, unter andern der ehrwürdige Palafox über die Anmaßungen der Jesuiten laut geführt hatten;S. Palafox' Briefe an Papst Innocenz X. Frankfurt 1773. In der Sammlung von Schriften, die Jesuiten in Portugal betreffend (3 Bde. in 4°. 1761), sind mehrere gegen sie gerichtete Schriften gesammelt. Im zweiten Bande ist auch eine Karte ihres Paraguay ersichtlich. – H. und obgleich die Mitglieder und Freunde des Ordens diese Klagen lange unkräftig machten, kam doch eine Zeit, da das Eis brach.

Als im Jahr 1752 zwischen den Besitztümern Spaniens und Portugals am Uraguay eine neue Grenzvertheilung vorgenommen werden sollte, vermöge welcher ein Theil des Staats der Jesuiten unter portugiesische Hoheit kam, wollten sie oder angeblich diese Völker sich nicht theilen und abtreten lassen. Es entstanden Unruhen und Aufstände, die man den Jesuiten Schuld gab; zwei Feldzüge mußten beide Mächte gegen Völker der Mission thun, die dann den portugiesischen Hof und dessen scharfsehenden Minister in ein solches Feuer gegen die Jesuiten setzten, daß nicht nur die traurige Zerstörung ihres Staats in Amerika,S. Dobritzhofer, Theil I. S. 41 f. – H. sondern bald auch ihre Vertreibung aus Portugal, dann aus Spanien, endlich die Aufhebung ihres Ordens selbst erfolgte. In Amerika lag der Keim dieser Aufhebung. Die Schätze, die man dort und allenthalben bei ihnen zu finden glaubte, die ohne Zweifel übertriebnen Gerüchte, die man von ihrem Handelszusammenhange durch die ganze Welt ausbreitete, ihre Unvorsichtigkeit endlich, sich aus diesem bisher fast versteckt gewesenen Winkel der Erde zwischen die besitzenden Mächte Europa's gedrängt zu sehen und Widerstand zu leisten: dies und Mehreres, woran der nach dem Könige von Portugal geschehene Schuß nicht Schuld war, beschleunigte ihr Verderben. So fiel das Reich, woran sie ein Jahrhundert gearbeitet hatten, in wenigen Jahren, und mit ihm alle die Hoffnungen, die man der Krone Spanien zugesichert hatte. Sic transit gloria mundi!S. Dobritzhofer's »Geschichte der Abiponer«, Nußdorfer und andre deutsche Jesuiten, die den Vorgang sehr unparteiisch erzählen. – H.

Da indessen im Plan der Vorsehung kein Gutes verloren geht, so ist ohne Zweifel die Mühe, die der Orden an diese Völker gewandt, sie zur Ordnung und Arbeitsamkeit, zu Künsten, Handwerken und Manufacturen zu gewöhnen, auch nicht verloren. Die Folgen davon werden zum Vorschein kommen; es ist ein Baum, der in den Wüsteneien still wächst. Wie tapfre Nationen leben dort zwischen den Bergen, in jenen fast unbesuchten Einöden! Viele beritten, einige mit Feuergewehr begabt, voll Sinnes und Muthes. Den Missionen haben wir wenigstens Nachrichten von diesen Völkern wie von den Erzeugnissen des Landes, mithin auch manche nützliche Frucht und Arznei zu danken. Und bliebe der Name der Jesuiten in Allem verhaßt, was durch sie der Menschheit Gutes geleistet worden, bleibt immer ruhmwürdig und wird gewiß den Nachkommen ersprießlich.

Auch dafür werden diese der Vorsehung danken, daß eben nicht auf jenem engen Wege Süd-Amerika christianisirt oder humanisirt worden. Freilich gingen die Jesuiten mit ihren Untergebnen anders um als die Spanier; aber vom Stande der Einfalt, in dem die meisten dieser Völker lebten, zu einer Jesuitenschule war der Sprung zu groß. Der natürliche Geist der Nationen erkrankte.


Beilage.
Montesquieu über Paraguay.

Esprit des lois, L. IV. Chap. 6. – H.»Die alten Griechen, überzeugt von der Notwendigkeit, daß Völker, die unter einer Volksregierung leben, zur Tugend erzogen werden müßten, machten, um diese ihnen einzuhauchen, sonderbare Veranstaltungen. Wenn wir im Leben Lykurg's die Gesetze sehen, die er den Lacedämoniern gab, glauben wir die Geschichte der SeverambenEin bekannter Roman, der eine idealische Volks- und Sittenverfassung darstellt. – H. zu lesen. Die Gesetze von Kreta waren das Urbild der Gesetze Lacedämon's; Platon's Gesetze sollten sie verbessern. –

»Das Außerordentliche, das man in den Anstalten der Griechen wahrnimmt, haben wir im Abschaum unsrer neuern verderbten Zeiten wiederkommen gesehen. Ein Gesetzgeber, der ein honneter Mann war, hat ein Volk gebildet, dem die Frömmigkeit ebenso natürlich scheint als der Muth den Spartanern. Penn ist ein wahrer Lykurg; denn obgleich Jener den Frieden, Dieser den Krieg zum Gegenstand hatte, gleichen sie sich doch in Ansehung der besondern Bahn, auf die Beide ihr Volk setzten, in Ansehung ihrer Gewalt über freie Menschen, in Ansehung der Vorurtheile, die sie überwanden, der Leidenschaften, die sie sich unterwarfen.

»Paraguay stellt uns ein zweites Beispiel dar. Man hat einer Gesellschaft, die das Vergnügen zu herrschen als das einzige Gut des Lebens ansieht, ein Verbrechen aus ihrer Einrichtung daselbst machen wollen; immer aber wird es schön sein, Menschen zu regieren, indem man sie glücklicher macht.Die Indier in Paraguay stehen unter keinem einzelnen Gebieter; sie zahlen nur ein Fünftheil des Tributs und haben Feuergewehr, sich zu vertheidigen. (Anmerkung von Montesquieu). – H.

»Glücklich für diese Gesellschaft, daß sie die erste gewesen, die in diesen Gegenden die Idee einer Religion, verbunden mit Menschlichkeit, zeigte! Indem sie die Verwüstungen der Spanier gut zu machen suchte, fing sie an, eine der größten Wunden zu heilen, die je das menschliche Geschlecht empfing.

»Die feine Empfindlichkeit der Gesellschaft für Alles, was sie Ehre nennt, ihr Eifer für eine Religion, die den Zuhörer viel mehr demüthigt als den Lehrer, haben sie große Dinge unternehmen machen, und sie sind ihr geglückt. Zerstreute Völker hat sie aus Wäldern hervorgezogen, sie bekleidet,sie bekleidet steht bei Montesquieu hinter verschafft. – D. ihnen einen sichern Aufenthalt verschafft, und hätte sie nichts gethan, als daß sie die Arbeitsamkeit unter den Menschen vermehrte, so that sie viel.

»Die ähnliche Anstalten machen wollen, werden nach Platon's Republik die Gemeinschaft der Güter einführen, die Hochachtung, die er für die Götter verlangte, und eine Absonderung von Fremden, die allein die Sitten erhält; den Handel wird der Staat treiben, nicht die Bürger; sie werden ihrem Staat unsre Künste geben, nicht unsern Luxus, unsre Bedürfnisse, ohne unsre Begierden.

»Das Geld werden sie verbannen; denn es macht das, was die Menschen Glück nennen, über die Grenzen der Natur hinausgehn; es gewöhnt daran, unnütz zu erhalten, was man unnütz zusammengescharrt hat, vervielfacht ins Unendliche unsre Begierden und supplirt gleichsam die Natur, die unserm Vermögen enge Grenzen gesetzt hat, indem es Leidenschaften aufregt und Menschen durch Menschen verderbt.

Montesquieu führt diese Stelle des Plutarch aus den »Fragen über griechische Gebräuche« (29) an. Plutarch spricht von dem Handel mit den Illyriern; jene Obrigkeit habe man Verkäufer (πωληταί) genannt. – D. »Als die Epidamnier merkten, daß durch den Umgang mit den Barbaren ihre Sitten verfielen, wählten sie eine Obrigkeit, die im Namen des Staats und der Stadt den Handel mit Fremden schlösse. Auf solchem Wege werden die Sitten vor dem Verderbniß bewahrt, und die Gesellschaft genießt zugleich die Vortheile des Handels«.



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