Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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10. Idee
zum ersten patriotischen Institut
für
den Allgemeingeist Deutschlands.Dieser Aufsatz wurde durch einen der ehrwürdigsten, allgemein hochverehrten Fürsten Deutschlands veranlaßt, für welchen der Verfasser diese Idee im Jahr 1788, vor seiner Reise nach Italien, aufgesetzt hatte, und verdient von der Adrastea aufbewahrt zu werden. – Anmerkung des Herausgebers. – [Der Aufsatz gehört in das Ende des Jahres 1787. Vgl. »Herder's Leben« in unserer Ausgabe, Th. I. S. XCIX f. Die Antwort des Markgrafen von Baden, auf dessen Wunsch Herder den Plan entworfen hatte, und der aus diesem Plan hervorgegangene neue steht in den »Erinnerungen aus dem Leben J. G. von Herder's«, III. 132 ff. – D.]


§ 1.

Da Einheit und Mannichfaltigkeit die Vollkommenheiten sind, die alle dauernden Werke der Natur und ihrer Nachahmerin, der Kunst, bezeichnen, so ist es wol unzweifelhaft, daß auch die höchste, schwerste und nützlichste Kunst der Menschen, die Einrichtung einer Nation zur allgemeinen Wohlfahrt, nach diesen Eigenschaften streben müsse und unvermerkt strebe. Je getheilter eine Nation ist, desto mehr Kräfte kann sie vielleicht haben; die Kräfte werden sich aber einander nicht kennen, mithin auch nicht auf einen gemeinschaftlichen Endzweck wirken. Ein Beispiel davon giebt die mittlere europäische, insonderheit die deutsche Geschichte. An Mannichfaltigkelt und Kraft hat es unsrer Nation von je her nicht gefehlt. Von jenen Zeiten an, da Deutschland ein Tummelplatz von Stämmen und ziehenden Völkern war, durch alle Jahrhunderte hin, da einzelne Gebiete und Provinzen kämpften, stritten, arbeiteten, strebten und erfanden, bis vielleicht selbst auf unsre Zeit war unser Vaterland ein Staatskörper, der seine eignen Kräfte nicht immer kannte, sie also auch nicht zu einem gemeinschaftlichen Zweck mit gehaltener Festigkeit anwenden konnte, ja vielmals zu falschen und fremden Zwecken gegen sich selbst mißbrauchte. Es ist also wol kein Zweifel, daß, je mehr Licht in diesen ungeheuren Wald menschlicher Bemühungen kommt, je mehrere helle Köpfe und thätige Hände sich zu dem einen großen Endzweck, der Nationalwohlfahrt, verstehen und verbinden lernen, desto mehrere Festigkeit, Ordnung und gesetzmäßige Freiheit muß der Staat von innen, desto mehr bestimmte Macht, Würde und Weisheit muß er in seinen Wirkungen von außen gewinnen; und in beiden Fällen wird er dem höchsten Vorbilde einer belebten Maschine, dem menschlichen Körper selbst, nacheifern, in dessen sämmtlichen Gliedern nur eine gemeinschaftliche Seele lebt. Nach unsrer deutschen Verfassung sind also alle Bemühungen ruhmwürdig, die nicht nur Licht zu verbreiten, sondern auch Licht zu vereinigen suchen, daß eine gemeinschaftliche Flamme werde. Alle Bemühungen, die dahin zwecken, daß die sämmtlichen Völker und Provinzen Deutschlands sich in ihren besten Köpfen, in ihren thätigsten Gliedern einander kennen, verstehen und in ihren Arbeiten fürs Wohl des Ganzen helfen und beistehen lernen, damit allenthalben nur ein Gesetz der Vernunft und Billigkeit regiere und jede blinde Parteilichkeit entkräftet werde, sind unsterbliche Wohlthaten für die gesammte Nation, die sich mit jedem Schritte mehr belohnen und tausendfache Früchte hervorbringen müssen.


§ 2.

Wenn irgend eine Zeit zu allgemeinen Versuchen und Anstalten dieses großen Werks vorbereitet und bequem war, so scheint es die unsrige. Die allgemeine Menschenvernunft hat Licht und Stimme gnug gewonnen, um aus dem Gemälde der Barbarei voriger Jahrhunderte, aus ihren tausendfachen Irrungen, Unordnungen und leeren Bemühungen die Lehre anzuerkennen und laut zu sagen, »daß Finsterniß und Vorurtheil, daß gesetzwidrige Macht und Parteilichkeit, daß Verkennung seiner selbst und des Maßes seiner Kräfte, Vernachlässigung der unentbehrlichen Mittel zum Wohl des Ganzen keine guten Folgen haben können und nie gehabt haben«. Das Beispiel großer Männer auf dem Thron und im Cabinet, auf Richterstühlen und in Schriften ist vor uns, die diese Lehre anerkannten und mit einer Wirksamkeit ausübten, die wir noch anstaunen und bewundern. In alle Provinzen von Deutschland sind Strahlen dieses Lichts gedrungen, selbst wo man sie mit Gewalt zu verdrängen sucht, machen sie sich Bahn und glänzen in verborgenen Winkeln vielleicht desto stiller und reiner. Man sieht Werke des menschlichen Geistes in Gegenden erscheinen, wo man sie nicht erwartet hätte, und das Gründlichste und Beste entzieht sich vielleicht dem Auge des Publicums, entweder aus Mangel der Aufmunterung oder gar aus bescheidner Furcht, und weil es in der Unterdrückung schmachtet. Man sieht hie und da Anstalten zum Vorschein kommen, die eine Reihe der aufgeklärtesten Ueberlegungen voraussetzen, und leider auch gut gemeinte Anstalten scheitern, denen vielleicht blos eine fremde freundschaftliche Ueberlegung, eine glückliche Communication mit anderweit gemachten Erfahrungen fehlte. Die große Anzahl unsrer gelehrten und politischen Journale zeigt, welche Menge von Keimen sowol der Wissenschaft als politischer Bemühung in Regung sei und sich entweder als Kraut oder als Unkraut zeige. Die große Anzahl geheimer Gesellschaften, die meistens nur deswegen geheim sind, weil sie sich ans Licht hervorzutreten nicht wagen, zeigen auch in ihren Mißbräuchen und Verderbnissen, daß eine Gährung da sei, deren Wirkungen man nur dadurch zuvorkommt, daß man die Gemüther der Menschen öffentlich auf allgemeine, bessere Endzwecke leitet. Das Mißverhältniß unsrer deutschen Provinzen gegen einander in den Graden der Aufklärung, verglichen mit ihrer Lage und der Zeit, seitdem sie diese Aufklärung genossen haben, dringt noch mehr auf eine Vereinigung ihrer Stimmen und Einsichten. Große Provinzen, gegen welche sich andre Gegenden von Deutschland das ihnen angestammte Recht erlauben, sie für Barbaren halten zu dürfen, wollen sich nicht mehr dafür halten lassen; sie murren und sind unzufrieden mit den Vorzügen, welche jene sich blos deswegen anmaßen, weil das Licht der Aufklärung und guten Einrichtung sie früher traf. Sie wollen von der Eintheilung Deutschlands in zwo Hälften, deren eine licht, die andre dunkel sei, nicht mehr wissen und sagen: »Was thut Ihr jetzt denn mehr als wir? Indessen hindert sie oft ihre geographische oder politische Lage nebst vielen andern Umständen, unter welchen der Mangel an gelehrten Hilfsmitteln und an Communication keine kleinen Hindernisse sind, hervorzutreten und sich der Reihe allgemeiner Bemühungen so anzuschließen, wie sie es wünschten. Jedem Landesherrn und seinem Lande muß daran gelegen sein, daß dies Mißverhältniß der Provinzen Deutschlands gehoben werde. Es muß ihnen daran gelegen sein, daß allenthalben, wo man in Deutschland lebt, man auch zu Deutschland gehöre, die Sprache unsers Vaterlandes rein spreche und schreibe, in Bekanntschaft mit demjenigen sei, was auch außer unsern Grenzen Vorzügliches gedacht, gethan, gewünscht und erstrebt werde, daß also von ihren Bezirken der Vorwurf der Barbarei und Winkelunwissenheit verbannt werde. Eine aufgeklärte Provinz hat vor einer unaufgeklärten eine ungeheure Uebermacht, die sich auf alle Stücke der Staatshaushaltung, auf die kleinsten und größten Geschäfte, folglich auch auf alle Zwecke des Landesherrn verbreitet. Sein Sinn wird nur befolgt, nach dem Köpfe und Hände da sind, die ihn befolgen können, und selbst wenn er bei guten Vorsätzen in Ansehung der Mittel irrte, kann es ihm gewiß nicht gleichgiltig sein, ob eine aufgeklärte Vernunft ihm ihre Zweifel und Gegengründe aus eigner oder fremder Erfahrung bescheiden und mit aller Stärke der hellen Wahrheit vorlegt, oder ob ein blindes Vorurtheil des alten Herkommens boshafte Pasquille und Lästerungen gegen ihn schmiede.


§ 3.

Schon unsre Sprache allein, sie möge als ein gelehrtes oder politisches Werkzeug angesehen werden, verdient einen Vereinigungspunkt ihrer verschiedenen Provinzen, der ihnen sämmtlich eine neue Triebfeder zur Cultur dieses unentbehrlichen Werkzeuges würde. Unsre Nation kann sich rühmen, daß sie von den ältesten Zeiten an, die wir kennen, ihre Sprache unvermischt mit andern erhalten habe, so wie sie auch selbst unüberwunden von andern Völkern geblieben und mit ihren Wanderungen vielmehr auch ihre Sprache weit umher in Europa angepflanzt hat. Es ist also billig, daß diese Sprache nicht nur daure, so lange die Nation dauert, sondern sich auch aufkläre, läutre und befestige, wie sich die Nation in ihrer Verfassung befestigt und aufklärt. Unglaublich viel trägt eine geläuterte, durch Regeln bestimmte Sprache zur festen, bestimmten Denkart einer Nation bei; denn es ist ein Zeichen, daß wir uns selbst gering achten, so lange wir uns gegen uns und gegen andre Nationen unsrer Sprache schämen. Die Geschichte zeigt, daß alle herrschenden Völker der Weltperioden nicht durch Waffen allein, sondern vielmehr durch Verstand, Kunst und durch eine ausgebildetere Sprache über andre Völker oft Jahrtausende hin geherrscht haben, ja, daß selbst, wenn ihre politische Macht verfallen war, das ausgebildete Werkzeug ihrer Gedanken und Einrichtungen andern Nationen als ein Vorbild und Heiligthum werth geblieben. Die griechische, lateinische und arabische Sprache zeigen dieses in der alten und mittlern Zeit; in der neuern hat es zuerst die spanische, nachher die französische Sprache bewiesen, welche Vortheile, ja, welch ein geheimes Uebergewicht eine Nation erlange, deren Sprache sich gewissermaßen zu einer herrschenden zu machen gewußt hat. Billig also ist's, daß die deutsche Sprache wenigstens innerhalb der Grenzen ihrer Nation herrschend werde, daß deutsche Fürsten sie verstehen, rein sprechen und lieben und, durch ihr Exempel gereizt, der deutsche Adel sowol als jede andre feinere Gesellschaft ihr die Biegsamkeit und den Glanz zu geben suchen, durch den sich die französische so sehr auszeichnet. Dies wird geschehen, wenn unsre reinere Büchersprache immer mehr die Sprache der feineren Gesellschaften und jedes öffentlichen Vortrages zu werden sucht, da sie bisher von diesem allgemeinen Gebrauch noch weit entfernt gewesen; denn bekanntermaßen wird unsre Büchersprache, im reinsten Sinne genommen, beinahe nirgend geredet. Sie ist ein künstliches Gewächs, das aus der Mundart mehrerer Provinzen durch angenehme und vorzügliche Schriftsteller allmählich heraufgesproßt ist. Eine Provinz hat daran mehr Theil als die andere, keine aber darf sich eines ausschließenden Vorzuges rühmen; denn aus mehreren Gegenden Deutschlands haben merkwürdige Schriftsteller zu ihr beigetragen und fahren in diesem Verdienst fort. Die wachsende Cultur unsers Vaterlandes kann also keinen andern Weg nehmen, als diese geläuterte Büchersprache unter feinern Menschen aller deutschen Provinzen gemein zu machen, über die Gesetze derselben, von der Orthographie und Interpunction an bis zu den feinsten Wendungen des Stils, sich durch gute Vorbilder mehr als durch zwingende Regeln zu vereinigen und die Bekanntschaft dieser Muster mit wählender Sorgfalt weiter umher zu verbreiten. Da der Geschmack unsers Vaterlandes noch nichts weniger als bestimmt und sicher ist, indem in manchen Gegenden das Schlechte dem Guten gleich oder wol gar höher als dieses geschätzt wird und bei der großen Menge schlechter Schriftsteller, die dennoch Leser und Nachahmer finden, sich unsre neuere Literatur einer neuen Barbarei zu nähern scheint: so muß jedem Manne von Geschmack jede öffentliche Anstalt willkommen sein, die ohne Despotismus, aber mit der ganzen Würde der Vernunft und Wahrheit dem Bessern vor dem Schlechtern ihre Stimme giebt, jenes mit Ruhme nennt und dieses verschweigt, überhaupt aber in allen Feldern der Wissenschaft, die zum Wohl des Vaterlandes gehören, die noch ungebauten Plätze sowol als die glücklich angebauten patriotisch bemerkt, mithin dem Geschmack der Deutschen eine Ausbreitung, Richtigkeit und Festigkeit zu geben sucht, die ihm vielleicht noch fehlt. Die übertriebene Nachahmungssucht andrer Nationen, die man uns zur Last legt, würde dadurch eingeschränkt und in eine Nacheiferung verwandelt, die in einer Masse gesammelter Kräfte nicht anders als von gutem Erfolg sein könnte. Eine Menge Unkraut verlöre sich, wenn edlere Gewächse allein die öffentliche Aufmerksamkeit an sich zögen und den Anbau fänden, der ihnen gebührt.


§ 4.

Diese und andre Ursachen haben einige Fürsten Deutschlands auf den Gedanken gebracht, eine aus mehreren und vielleicht einst aus allen Provinzen gesammelte deutsche Akademie mit ihrem Ansehen und ihrer Unterstützung zu bekräftigen. Es war schon unsers unsterblichen Leibniz großer Gedanke, in mehreren Provinzen Deutschlands Akademien der Wissenschaften anzulegen und sie unter einander zu verbinden. In Berlin brachte er sein Werk zu Stande; Zeitumstände und endlich der Tod hinderten ihn, daß er in Dresden und Wien seinen Zweck nicht erreichen konnte.Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 289, 293. – D. Das Bedürfniß der Zeit hat sich seitdem geändert, indem es an Akademien und Societäten der Wissenschaften in unserm Vaterlande weniger als an einem Vereinigungspunkt mehrerer Provinzen zur allgemeinen, praktischen Geistes- und Sittencultur fehlt. Die deutsche Akademie tritt also keinem der schon vorhandenen ruhmwürdigen und verdienten Institute in den Weg, sie läßt jeder Akademie und Societät die Erweiterung und Bearbeitung der Wissenschaften, die für sie gehören; vielmehr hofft sie von ihren Bemühungen selbst Nutzen zu ziehen, sofern solche zu ihrem Zweck dienen. Dieser ist kein andrer als Vereinigung der getheilten, zum Theil unbekannten und zerstreuten Kräfte zu einem Ziel der patriotischen Aufklärung. Alles, was dahin abzweckt, gehört für diese Akademie, es betreffe solches das Werkzeug unsrer Gedanken, die Sprache, oder jede Wissenschaft, sofern sie nach der jetzigen Zeitenlage zum Wohl unsers Vaterlandes gehört. Alle kleinfügige Parteilichkeit, jede Verachtung andrer Provinzen und Religionen wird von ihr ausgeschlossen sein; denn Alles, was in Deutschland lebt, kann und soll für Deutschland wirken und denken. Kein getheiltes politisches Interesse einzelner Reichsstände soll wissentlich je die Ruhe ihres Kreises, die Klarheit ihres Urtheils oder den reinen Eifer ihrer Bemühungen stören; denn Deutschland hat nur ein Interesse, das Leben und die Glückseligkeit des Ganzen. Zu diesem Zwecke ist es schwer, ausschließende Classen ihrer Arbeiten und Bemühungen anzugeben, und zum Theil sind diese Classen mißlich, weil sie meistens mit der Zeit zu drückenden Einschränkungen werden. Einige Linien indeß wären diese:

1. Die Sprache. Die Glieder der Akademie werden sich nicht nur selbst bemühen, in ihren Schriften Muster der Reinigkeit, Stärke und jener ungekünstelten Einfalt zu werden, die unsre Nation ihrem Charakter gemäß am Besten kleidet, sondern sie werden auch, Jeder aus seiner Provinz, die Schriften nennen und mit dem ihnen gebührenden Ruhme bezeichnen, die dies Gepräge an sich tragen. Die Akademie hofft dadurch und durch ihre gemeinschaftlichen Bemühungen überhaupt zur Verbreitung dieser Schriften etwas beizutragen und, indem sie entweder ruhmwürdige Preise aussetzt oder vorzügliche Schriften, die ihr dargebracht werden, mit Preisen belohnt, auf mehrere Weise dem oft unterdrückten Guten emporzuhelfen. Für despotischen Gesetzen über die Sprache wird sie sich mit größter Sorgfalt hüten, dagegen sich desto mehr befleißigen, durch Beobachtungen, Vorschläge und kritische Regeln unsrer Sprache die schöne Sicherheit allmählich zu verschaffen, an der es ihr in Vergleich andrer Sprachen noch sehr fehlt. Alles, was zur Geschichte der Sprache, zu ihrer Bildung in einzelnen Provinzen, zu ihrer Grammatik, ihrem Stil, ihren Wörterbüchern gehört, wird der Akademie werth sein, und kein Werk des deutschen Geistes und Fleißes, es sei poetisch oder in Prose, Übersetzung oder eigene Arbeit, wird, sofern es die Vollkommenheit unsrer Sprache betrifft, ihrer Aufmerksamkeit unwerth scheinen.

2. Deutschlands Geschichte. So vielen Fleiß die Gelehrten unsers Vaterlandes zur Aufklärung einzelner Punkte und Perioden der deutschen Geschichte angewandt haben, so bekannt ist der Vorwurf, daß wir sowol über die Begebenheiten einzelner Länder als über die gesammte Geschichte Deutschlands, ohngeachtet einiger neuerer schätzbaren Werke, unsern Nachbarn noch wert nachstehn, wenigstens daß ein patriotisches Studium dieser Geschichte noch bei Weitem nicht eine allgemeine Liebe der Nation sei. Und doch ist zum patriotischen Geist des gesammten Ganzen dieses Studium unentbehrlich. Die Poesie kann Scenen der Menschheit schildern, ja auch einzelne Auftritte der Begebenheiten unsrer Nation rührend und merkwürdig machen; da aber nach dem Zustande Deutschlands ein allgemeines Nationaltheater in den Wirkungen, die man von ihm gehofft hat, beinahe unmöglich ist, so muß ohne Zweifel eine philosophische Geschichte ersetzen, was der Dichtkunst abgeht. Und sie kann dies reichlich, wenn sie, sowol in Theilen als im Ganzen, ihrem Beruf treu bleibt, die Begebenheiten und Veränderungen dem Licht der unparteiischen Wahrheit darzustellen und jede derselben mit Patriotismus fürs Ganze, für die Heiligkeit der Gesetze sowol als für die Rechte der Menschheit unparteiisch zu schildern. Die vortrefflichen Proben, die einzelne Schriftsteller über Provinzen sowol als über Theile der allgemeinen Geschichte gemacht haben, lassen hoffen, daß auch in den fehlenden Theilen die Mängel mit rühmlichem Fleiß werden ersetzt und das Ganze zu einer untadelhaften Vollkommenheit gebracht werden, sobald sich der öffentliche Blick des gesammten Vaterlandes darauf wendet. Wir erscheinen später, gegen andre Nationen betrachtet, aber wir kommen desto bereiteter und geprüfter. Die Hilfswissenschaften der Geschichte, Alterthümer, Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Gesetzgebung und Staatsverfassung in verschiednen Zeiten sind zum Theil schon bearbeitet oder werden in jeder neuen Bemühung und Berichtigung der Akademie die werthesten Hilfsarbeiten sein, indeß sich ihr Blick unverrückt auf eine patriotische Geschichte des gesammten Vaterlandes heftet. Je unparteiischer und redlicher diese bearbeitet wird, je brauchbarer alle mühsamen Vorarbeiten zum allgemeinen Zweck des Gesammtgeistes und der öffentlichen Bildung eingeleitet werden, desto mehr wird die Akademie sich ihres Zweckes freuen und ihre Wünsche für erreicht achten. Der Sectengeist einzelner Länder wird ersterben, die Finsterniß, die in verschlossenen Winkeln herrscht, wird von dem Licht der Menschlichkeit, der Vernunft, Billigkeit und Wahrheit vertrieben werden, sobald es den Gemüthern Derer einleuchtet, die am Ruder der Wirksamkeit und des Staats sind.

3. Alles, was zur thätigen Philosophie der Nationalbildung und Glückseligkeit gehört, ist der letzte und höchste Zweck der Akademie, von welcher also auch nichts ausgeschlossen wird, was dazu dient. Jede hellere Wahrheit, die schädliche Vorurtheile und böse Gewohnheiten aufhebt oder vermindert, jeder praktische Versuch und Vorschlag zur bessern Erziehung der Fürsten, des Adels, des Landmannes und Bürgers, leichtere und bessere Einrichtungen in allen öffentlichen Anstalten, in Handhabung der Gerechtigkeit, im Umgange der Stände gegen einander, in Einrichtung der Kirchen und Schulen, in einer vernünftigen Staatswirthschaft und menschlichen Staatsweisheit werden Gegenstände des Nachdenkens, der Ueberlegung und Erfahrung der Akademie werden. Denn Niemand kann es leugnen, daß in unserm Vaterlande hie und da noch Vorurtheile und Thorheiten gelten, die in benachbarten Ländern öffentlich dafür erkannt sind und auch bei uns von jedem vernünftigen Herrn und Unterthan dafür erkannt werden. Niemand kann es leugnen, daß die Theilung in viele Staaten, Secten und Religionen den allgemeinen Menschenverstand, die allgemeine Klugheit und Billigkeit aufhalte, deren Grundsätze in andern Ländern längst zu einem sittlichen und politischen Calcül gebracht sind, an welchem Niemand mehr zweifelt. Diese Grundsätze auch für uns immer mehr ins Licht zu setzen, sie auf einzelne Fälle und Erfahrungen anzuwenden, Ungerechtigkeiten und Barbareien entgegenzuarbeiten, die jeder Fremde mit Lächeln oder mit Verachtung sieht, dagegen dem Licht der Wahrheit Wege zu bahnen, das sich allenthalben selbst läutert und mit der Zeit als Wahrheit zeigt: Bemühungen dieser Art setzt sich die Akademie vor. Aus allen Provinzen werden die Mitglieder bei ihrer Versammlung einen kurzen, wahren Bericht von dem erstatten, was in ihrer Provinz für die Menschheit an öffentlichem Guten gedacht, gewollt, bewirkt ist; sie werden dadurch die Mitglieder andrer Provinzen aufmuntern und belehren oder gegenseitig von ihnen aus Erfahrungen derselben freundschaftliche Berichtigung, Aufmunterung und Lehre annehmen. Die Landesherren oder ihre Räthe, die vielleicht selbst der Akademie zuweilen beiwohnen oder durch die Mitglieder ihrer Provinz von den Rathschlägen und Ueberlegungen der Versammlung Nachricht erhalten, werden ohne Schmeichelei und Verleumdung wie auf einem freien Schauplatz die Stimme der Wahrheit auch aus andern Provinzen hören und sich gewöhnen, sie hören zu mögen. Denn von ihren edeln und guten Einrichtungen werden die Acten der Akademie gleichsam ein fortgehendes Tagebuch, mithin in einigen Jahren die Annalen der Menschlichkeit, allgemeinen Billigkeit und Weisheit unsrer Nation werden. Der Starke wird den Schwachen begeistern, der Erfahrne den Wohlmeinenden belehren, auch entfernte Provinzen und verschiedene Religionen werden sich einander kennen, ertragen und lieben lernen, so daß nicht nur manche gelehrte Streitigkeit, manches Vorurtheil, das nur auf Unwissenheit beruhte, dadurch wegfallen, sondern auch eine Nacheiferung erweckt werden dürfte, an der die größte und kleinste Provinz Theil nimmt. Es versteht sich von selbst, daß alle Anzüglichkeiten gegen Landesherren und ihre Diener, gegen Religionen und Gelehrte sowol aus den Schriften als Unterredungen dieser Versammlung wegbleiben müssen, geschweige daß irgend eine Bitterkeit, ein literarischer oder politischer Groll in jene alten Zänkereien ausschlagen wollte, die nur für die Synoden dunkler Jahrhunderte gehörten. Der Zweck dieser Akademie ist reine, unparteiische Wahrheit, das Band ihrer Mitglieder ist Nationalinteresse, gegenseitige Achtung und Schonung.


§ 5.

Um diese angegebenen Zwecke der Akademie zu befördern, dürfte die Einrichtung derselben vielleicht folgende sein.

1. Jeder Landesherr, der an diesem patriotischen Institut Antheil nimmt, wählt aus seinem Lande oder aus seinen Ländern so viele Mitglieder, als er zum Besten seines Staats und zum Nutzen Deutschlands für nothwendig erachtet. So wäre es bei der ersten Einrichtung; künftig aber dürfte es besser sein, wenn statt der abgegangenen Mitglieder die Akademie, und besonders jede Provincial-Deputation neue Mitglieder bei ihrem Landesherrn in Vorschlag brächte.

2. Diese Glieder aus einer Provinz machen eine Provincial-Deputation aus. Einer von ihnen hat den Namen des Aeltesten oder Direktors, der zwar seinen Mitbrüdern keine Gesetze geben oder Arbeiten vorschreiben darf, sich doch aber mit ihnen über die Vertheilung der Arbeiten vereinigen mag. An ihn gehen vom Secretär der gesammten Akademie oder auch von den Deputationen andrer Provinzen Briefe, Anfragen u. dgl. ein, und er consultirt darüber seine Mitbrüder oder eröffnet ihnen den Inhalt.

3. Jede dieser Provincial-Deputationen stattet der Akademie bei ihrer öffentlichen Versammlung in einem oder in mehreren Mitgliedern einen Bericht von dem ab, was ihr zum Zweck der Akademie in ihrem Bezirk Merkwürdiges vorgekommen ist. Diese Berichte von Einrichtungen, Unternehmungen, Vorschlägen, Wünschen, Büchern u. s. w., mit genauester Wahrheit und mit philosophischem Geist vorgetragen, machen die eigentlichen historischen Acten der Akademie aus. Aus allen Provinzen Deutschlands, die an diesem Institut Theil nehmen, werden sie bei der öffentlichen Versammlung vorgelesen und als eine Geschichte der Akademie oder als ein Jahrbuch des deutschen Nationalgeistes zusammen gedruckt; da übrigens alle andern Abhandlungen der Mitglieder entweder einzeln oder ihrem Inhalt nach in getrennten Theilen bekannt gemacht werden. Denn erschiene Alles, was vorgelesen wird, in fortgehender vermischter Reihe, so müßte hier sehr bald die Folge eintreten, die sich bei den Schriften andrer Akademien gezeigt hat, daß sie durch die große Anzahl ihrer Bände unübersehbar, mithin weniger nützlich werden.

4. Die Mitglieder der Akademie sind entweder ordentliche oder Ehrenmitglieder. Jene verbinden sich zu den Arbeiten und Bemühungen, die der Zweck des Instituts fordert, die Ehrenmitglieder werden zu diesem Zweck nach Belieben beitragen und ihn sonst auf alle Art zu befördern suchen; die kleinste und leichteste Beförderung wird diese sein, daß sie damit stillschweigend als Abonnenten der akademischen Denkschriften angesehen werden, womit sie aber nicht verbunden sind, jede einzeln gedruckte, in der Akademie vorgelesene Abhandlung oder jedes von der Akademie mit ihrem Beifall beehrte Werk zu kaufen, wenn sie, wie doch zu hoffen ist, der innere Werth desselben nicht selbst reizt. Sie sind nicht verbunden, jede öffentliche Versammlung der Akademie zu besuchen, ob es dieser gleich zur Ehre und Aufmunterung gereichen wird, sie in ihrem Kreise zu sehen. Die ordentlichen Mitglieder dagegen verbinden sich dazu, und ihre Landesherren, die sie zu diesem Geschäft bestimmt haben, werden ihnen nicht nur die Zeit zur Reise und die Reisekosten huldreich gönnen, sondern, da wahrscheinlich der größte Theil derselben in öffentlichen Geschäften ist, ihnen das Maß dieser Geschäfte sofern gnädig erleichtern, daß ihnen zu einigen Arbeiten der Akademie Raum bleibt. Uebrigens wird auf den geistlichen oder weltlichen Stand dieser Mitglieder nicht gesehen, gnug, wenn sie im Stande sind, die Zwecke der Akademie zu befördern.

5. Der Versammlungsort der Akademie wird mitten in Deutschland sein, damit von allen Seiten die Ankunft der Mitglieder oder andrer Zuhörer, die das Institut mit ihrer Gegenwart beehren wollen, erleichtert werde. Es wird ein Ort dazu erwählt werden, der nebst den Bequemlichkeiten des Aufenthalts auch den Vortheil habe, daß er unter den Einflüssen keines Hofes stehe. Zur Zusammenkunft wird eine bequeme Jahrszeit gewählt und solche vom Secretär der Akademie den Directoren der Provincial-Deputationen kund gethan werden. Die Dauer ihrer Zusammenkunft kann nicht bestimmt werden, da sie von den Geschäften und Beiträgen der Akademie abhängt. Es gehört zu diesen Geschäften, daß jeder offene, patriotische Kopf, wenn er auch nicht als Mitglied der Akademie aufgenommen ist, Arbeiten, die zum Zweck des Instituts gehören, entweder der Akademie in ihrer Versammlung oder füglicher der Provincial-Deputation, zu welcher er ein Zutrauen hat, am Ort ihres Aufenthalts zur Bekanntmachung und Prüfung darlegen könne. Es steht auch bei ihm, ob er dies bei mehr als einer Deputation thun wolle. Durch diese vorläufige Prüfung werden die Arbeiten der Akademie bei ihrer Versammlung verkürzt und erleichtert, weil es sonst gewöhnlich der Fall sein müßte, daß Werke, die bei der Versammlung selbst überreicht werden, erst zur Prüfung ausgesetzt und das Urtheil über dieselben oder die Belohnung derselben ein Jahr aufgeschoben würde. Diese Belohnung bestünde bei entschieden wichtigen Werken in einem Preise, der aber dem Verfasser das Recht über sein Manuscript, es gegen ein Honorarium selbst drucken zu lassen, nicht benähme. Bei andern Arbeiten wird die Belohnung blos ein rühmliches Urtheil sein können, das dem Verfasser zum Druck seiner Schrift theils den Weg bahnen, theils die gute Aufnahme derselben beim Publicum erleichtern dürfte. Wichtigen und nützlichen Werken, denen etwa ein Verleger fehlt, wird die Akademie gleichfalls auf eine oder die andre Weise die Hand bieten, damit sie erscheinen. Bei Allediesem aber versteht sich, daß die Akademie von Zudringlichkeiten frei und ihres Urtheils mächtig bleibe. Jedes Mitglied, jede Deputation, der die Akademie die Prüfung eines Werks aufgetragen hat, muß für die unparteiische Treue und Wahrheit ihrer Berichte stehen, und auch nachdem diese erstattet sind, muß kein Mitglied oder keine Deputation die Akademie in der Entschließung stören, die sie darüber zu nehmen für gut findet. Die Stimmen in einem streitigen Fall werden durch ein suffragium mit Kugeln entschieden, wenn nämlich die Frage bis auf Ja oder Nein gebracht worden. So wäre es auch der Unparteilichkeit gemäß, daß bei allen vorgeschlagenen neuen Mitgliedern die Stimme der Akademie durch ein gleiches suffragium gehört würde.

6. Das Ganze der Akademie bedarf eines Secretärs und eines Präsidenten; Beide sind nothwendig, damit das Zerstreute eine Einheit gewinne und erhalte, Beide werden von der Akademie als solche auch besoldet. An den Präsidenten adressiren sich alle Geschäfte und Anfragen, die das Ganze der Akademie angehen, und in nöthigen Fällen tritt er mit den Directoren einzelner oder aller Provincial-Deputationen in Unterhandlung. Vor Eröffnung der Akademie ordnet er die Geschäfte, eröffnet sie sodann durch eine Rede, in welcher Nachricht gegeben wird, was an jedem Tage vorkommen soll, und besorgt, außer den Pflichten eines ordentlichen Mitgliedes, die Stimmensammlung und die übrigen Geschäfte des Ganzen. Der Secretär ist der Expeditor des Präsidenten in akademischen Sachen; außer der Versammlung besorgt er die Correspondenz, bei der Versammlung führt er das Protokoll, fertigt unter der Aufsicht des Präsidenten die Acten zum Druck aus und besorgt die Versendung derselben an die gehörigen Orte. Die Manuscripte und Bücher der Akademie hat er unter seiner Aufsicht, so wie er auch die eingesandten Berichte und Vorlesungen der Mitglieder abliest, die durch wichtige Ursachen verhindert worden sind, in Person zu erscheinen; es sei denn, daß sie ihr Geschäft einem Mitgliede ihrer oder einer andern Provincial-Deputation aufgetragen haben. So unterschreibt er auch mit dem Präsidenten der Akademie und dem Director der Deputation die Diplome neuer Mitglieder und fertigt solche denselben zu. Ueberhaupt besorgt er das ganze Secretariatsgeschäft, das bei einem Institut dieser Art vorfällt. Es wird also nothwendig sein, daß er mit dem Präsidenten an einem Ort lebe.

7. Die ordentlichen Mitglieder der Akademie können nicht wohl ohne Besoldung sein, es sei nun, daß diese an ihre Personen oder, was vielleicht besser ist, an ihre Arbeiten geknüpft werde. Denn da sie einmal dem Zweck der Akademie einen Theil ihrer Zeit, ihrer Kräfte und Mühe aufopfern und in Deutschland selten Plätze sind, wo man eins dieser Stücke verlieren oder aufgeben könnte, so hieße es, das ganze Gebäude auf Sand bauen, wenn man ihnen nicht diese öffentliche Mühe belohnte. Blos aus Nothdurft würden sich die fähigsten und wirksamsten Männer der Ehre, akademische Mitglieder zu sein, entsagen müssen oder würden ihr Geschäft nur sehr säumig und beiläufig treiben. Es ist also ein Fonds der Akademie nöthig, aus welchem nicht nur die Kosten bei ihrer Zusammenkunft, das Gehalt des Präsidenten und Secretärs, die Aufmunterungen, die sie ausgezeichneten Werken angedeihen läßt, sondern auch die Belohnungen der ordentlichen Mitglieder der Akademie bestritten werden könnten. Die Bestimmung und Einrichtung dieses Fonds würde für die patriotischen Fürsten, denen dieses Institut sein Dasein zu danken hätte, eine Kleinigkeit sein, und Deutschland könnte sich rühmen, daß nach Jahrtausenden jetzt zum ersten Mal seine Regenten aus freier Gnade eine gemeinnützige Anstalt für die Nachkommenschaft gegründet hätten. Alle ruhmwürdigen und guten Anstalten in dieser Art sind bisher in einzelne Provinzen eingeschränkt geblieben, und was fürs Ganze einer weitern Aufklärung und Cultur geschrieben und bewirkt worden, ist von Privatpersonen, vielleicht unter einer Last von Geschäften, unbemerkt und unbelohnt oder vielleicht gar verfolgt und angefeindet gethan worden. Es wäre also ein neuer und desto rühmlicherer Kranz für die Fürsten und Stände Deutschlands, wenn sie durch diesen patriotischen Beitrag das Versäumniß voriger Zeiten einholten und vielleicht für ewige Zeiten das erste Institut für den Allgemeingeist Deutschlands gründeten. Durch eine Communication und Verbindung dieser Art würden hundert nützliche Folgen entstehen, an die man jetzt selbst noch nicht denkt.Hier folgte das Gedicht »Schwungkräfte der Menschheit« (Werke, I. S. 155–158). – D.


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