Johann Gottfried Herder
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Johann Gottfried Herder

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12. John Locke. Die Freidenker.

Locke's berühmtestes Buch ist sein Versuch vom menschlichen Verstande, der nicht nur in mehrere Sprachen übersetzt, sondern auch beinah Grundlage der Philosophie worden ist, die das Jahrhundert hinab England, Schottland, Frankreich selbst forttrieb. Insonderheit hat seine Lehre von der Verbindung (Association) der Ideen und das dritte Buch seines Werks vom Gebrauch und Mißbrauch der Worte viele und feine Bemerkungen im gesammten Reich der Wissenschaften veranlaßt. In beiden Stücken traf man auf die Quelle mancher Irrthümer, und so ward der Arzt Locke wirklich auch ein Arzt des menschlichen Verstandes.

Denn hangen nicht unsre abstractesten Gedanken an Worten? Sind diese schlecht erfunden, bezeichnen sie halb oder gar nicht, was man durch sie bezeichnen wollte, oder versteht man sie unrecht und glaubt an Worten Sachen zu haben, da sie doch nur Zeichen der Sachen oder unsrer Gedanken von ihnen sind: in welcher Oede irrt der Verstand umher! Bald ein Verführter, bald ein Verführer.

Und was die Verbindung unsrer Begriffe betrifft, wie sonderbar verbinden manche Menschen! Associationen, die man kaum in Träumen erwartet.

Dem Scholasticismus der Schule von Jugend an feind, wollte Locke sein Buch auch nicht einmal in eine Schulform der Logik und Metaphysik gebracht wissen; denn eben diese hielt er für »kein geringes Hinderniß der Wissenschaft selbst«; das Disputiren darüber erklärte er für »den übelsten Weg zur Erkenntniß«;Brief an Wilhelm Molineux. – H. ohngefähr wie Heinrich Wotton auf seinem Leichensteine das Disputirjucken die Krätze der Kirche nannte.Der berühmte Ritter und Gesandte unter Elisabeth und Jakob I., der als Propst des Eton-Collegiums starb. Seine Grabschrift ist:
  Hic jacet hujus sententiae primus auctor:
  Disputandi pruritus Ecclesiarum scabies
  Nomen alias quaere.
– H.

Die Lücken, die Locke's treffliches Buch enthält, fanden nach seinem Tode den gutmütigsten Ergänzer, Leibniz. Ein unverdorbner junger Mann, der Locke's Buch Vom menschlichen Verstande zuerst, sodann Leibniz' Neue Versuche über den menschlichen Verstand,Nouveaux Essais sur l'Entendement humain in den Oeuvres philsophhiques de Leibnitz, publiés par Raspe 1755. – H. die jenes Schritt vor Schritt berichtigen und allenthalben weitere Aussicht geben, mit Nachdenken liest, dann ihnen Shaftesbury's Werke hinzuthut, hat aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts drei Männer gehört, die, auch wo sie von einander abgehn, ihm leitende Genien der Wissenschaft sein können, zum reellen, nicht zu sophistischem Traumerkenntniß. Mit diesen drei Männern, sollte man glauben, hätte die Zeit transscendentaler Nachtwandrerei schon damals aufgehört. Und ist sie noch nicht vorüber?


Im Hause des Grafen Shaftesbury,Des Ministers, nicht des Philosophen, welche Beide oft mit einander verwechselt werden, da sie doch die verschiedensten Charaktere, die es geben kann, waren. Der Minister war Großvater des Philosophen. Jener ist aus der Geschichte Englands sattsam bekannt; man hat von ihm eine eigene Lebensbeschreibung. Die wenigen Begegnisse seines Enkels, des Philosophen, sind Th. 10. S. 372 ff. der »Britischen Biographie« (deutsche Übersetzung) zu finden. – H. in welchem Locke als Freund lebte, war ihm eine nähere Ansicht der Behandlung politischer Dinge fast unvermeidlich geworden; auch hievon hat sein Land, ja die Menschheit selbst viel Gutes geerntet. Im Jahr 1668 hatte sein Graf die Provinz Carolina in Amerika zum Geschenk erhalten; den Auftrag zu ihrer Constitution bekam von ihm Locke. Dieser constituirte den 95. und 97. Artikel also:

»Daß jeder Einwohner Carolina's einen Gott und eine öffentliche Verehrung desselben anerkennen müsse, übrigens aber nach Lage der Sache und der Provinz weder Juden noch Heiden, noch Andre, die von der Reinheit der christlichen Religion abweichen, aus der Provinz entfernt, vielmehr in ihr Gelegenheit finden sollten, mit der Wahrheit und Billigkeit, mit der Friedfertigkeit und unbeleidigenden Gemüthsart des Christentums bekannt, durch gute Begegnung und Ueberzeugung, durch Sanftmuth und Gefälligkeit gewonnen zu werden. Sonach sollten jede sieben und mehrere Personen, die in einer Religion übereinkommen, eine Kirche oder Gemeine ausmachen, der sie einen von den übrigen unterschiednen Namen geben könnten.«

Der hohen Geistlichkeit Englands fuhren diese Artikel gegen die Stirn; der Primat der englischen Kirche ward feierlich zwischen beide Artikel geschoben, welchen Zusatz Locke natürlich nicht für den seinen erkannte. Auch blieb ihm fortan bis an seinen Tod der Name Latitudinarier;Breitmesser; ein sinnreich erfundener Name, um die hohe Kirche von der breiten zu sondern. – H. weder seine Briefe über die Toleranz, noch seine Vernunftmäßigkeit des Christenthums, noch seine Paraphrasen über die Schrift haben ihn mit den high churchman ganz versöhnen mögen.

An seinen Kopf wollte man sogar unter der papistischen Regierung Jakob's II.; von Holland wurde seine Auslieferung dringend begehrt.

Ob und wiefern Locke an Monmouth's verfehlter Unternehmung Theil genommen habe, kümmert uns, da jene Staatsverwirrung sich längst entwickelt hat, wenig; seine Grundsätze über die Regierung (on government) hat die Zeit gebilligt. Wenn noch zu unsrer Zeit Tuckers gegen ihn schreiben, so ist's ohne Gefahr.When the benevolence of this writer is exalted into charity, when the spirit of his religion corrects the rancour of his philosophy, he will learn a little more reverence for the system to which he belongs, and acknowledge in the most intutor'd tribes some glimmerings of humanity and some decisive indications of a moral nature. Dunbar gegen Tucker. – H. Locke hielt sich für keinen Staatsverbrecher. Begnadigung wollte er selbst aus seines Universitätsfreundes, Wilhelm Penn's, Hand nicht annehmen, weil er sich keiner Schuld bewußt sei; er kehrte nach England zurück, als mit Wilhelm Recht und Sicherheit dahin zurückkehrten.

Locke's Constitution für Carolina, welche große Bestätigung hat sie ein Jahrhundert später durch die Constitution von Amerika erhalten! Seine Grundsätze über die Staatsverfassung, Religionsfreiheit u.s.w sind Prinzipien des gesunden Menschenverstandes worden. Grundsätze, für die Algernon Sidney sein Leben hingeben mußte, behauptete Locke frei und durfte sie behaupten; die türkischen Sclavenprinzipien Filmer's, Hobbes' u. A. brachte sein freidenkender Geist in die ihnen gebührende Verachtung. Lasset uns die Wahrheit nicht verlassen, Ihr Freunde der Wahrheit! Unter dicken Vorurtheilen des Herkommens, der Dummheit, des Eigennutzes, des Stolzes schreitet die Zeit zwar langsam vorwärts, aber sie schreitet.

Dem kleinen Freistaat Holland gebührt hier Preis und Achtung. Er, der sich der ärgsten, der spanischen Religionsverfolgung mit einer beispiellosen Mühe und Anstrengung entzogen und beinah ein Jahrhundert hindurch für seine Freiheit gekämpft hatte, sogleich und fortan nahm er diese auch für die europäische Menschheit, die zu ihm flüchtete, in Schutz; unschuldig Verfolgte beschützte er mit Großmuth. Für diese Freiheit ließen gegen die Cabale des Oranischen Moritz die de Witts und Oldenbarneveldts ihr Leben; für sie duldete Hugo Grotius Gefängniß und Verbannung, er, ein Genius freimüthig-ruhiger Aufklärung, voll Geistes der Alten. Eben diese erkämpfte Freiheit, die in der Grundverfassung Hollands lag, gab Descartes Raum, zu denken, Spinoza eine Freistätte, zu schreiben; sie nahm den gequälten Orobio, die Flüchtlinge Frankreichs nahm sie auf und gewährte den Verbannten Englands Zuflucht. In ihr bereitete Karl II. die Wiedererlangung seiner Krone, Wilhelm von Oranien die Rettung Englands aus den Händen der Tyrannei, aus den Ränken des Papstthums. Nach Grundsätzen dieser Freiheit zwang Wilhelm den aufgeklärten, sanften Tillotson zur Uebernahme des Kirchenprimats seines neuerworbenen gährenden Reiches; in ihr dachte William Temple, ein heller Kopf, der sich außerhalb England Freiheit zu denken erworben hatte und für seine letzten Jahre das Privatleben eines Weisen wählte. In ihr Sommers und Alle, die für Wilhelm wirkten. In Hollands Freiheit schrieben Bayle, Le Clerc, Barbeyrac; in ihr haben Algernon Sidney, Locke, Shaftesbury ihre Ideen ausgebildet und kehrten damit, Diese zur Ruhe, Jener zum Tode nach ihrer stürmigen Halbinsel zurück. In Holland ward öffentlich, was nirgend sonst den Zugang zum Licht erhalten konnte. Werde wieder, was Du warst, Freistätte der Völker, und wenn einst (lang sei die Katastrophe entfernt!) das Weltmeer über Dich ausbricht, so lasse sich auf der traurigen Meereshöhe dort und hier des alten Hollands Geist hören:

»Unter den Wellen liegen hier begraben,
Die einst, als in Gefahr
Des Menschengeistes Freiheit war,
Die Freiheit ihm gerettet haben.«


Kein schärferes Urtheil ist über Locke gesprochen als von Shaftesbury selbst, seinem Freunde und Schüler. Bei Gelegenheit der herausgekommenen Schrift Tindal's schreibt er an seinen studirenden Freund:Letters to a Student. Uebersetzt im »Britischen theologischen Magazin«, B. III. St. 3. – H.

»Ueberhaupt ist so viel gewiß, daß Die, die man heut zu Tage Freidenker nennt, Hobbes' Grundsätze angenommen haben. Selbst Locke, so sehr ich ihn wegen seiner andern Schriften, als über die Regierung, die Polizei, den Handel, die Münzen, über die Erziehung, die Toleranz u. s. w., verehre, und so sehr ich, da ich ihn gekannt, für seine Aufrichtigkeit als eines höchsteifrigen Christgläubigen stehen kann, geht auf diesem Wege; die Tindals und alle andern sogenannt freien Schriftsteller folgen ihm. Locke war's, der den ersten Streich that; denn Hobbes' Charakter und seine sklavischen Grundsätze von der Regierungsform nahmen seiner Philosophie alles Gift. Locke war's, der alle ersten Grundsätze niederriß, alle Ordnung und Tugend aus der Welt verbannte und selbst die Ideen von ihnen, die doch mit der Idee von Gott eins sind, unnatürlich machte, indem er den Grund derselben in unsern Seelen aufhob.Bekanntermaßen leugnete Locke die angebornen Ideen der Cartesianer. – H. Angeboren ist ein Wort, mit welchem er jämmerlich spielt; das rechte Wort, ob es gleich weniger gebraucht wird, ist connatural, mitnatürlich; denn was hat die Geburt oder der Ausgang des Fötus aus Mutterleibe hier zu thun? Die Frage ist nicht von der Zeit, da die Ideen hineinkommen, oder von dem Augenblick, da ein Körper aus dem andern kam, sondern ob die Natur der Menschen so beschaffen sei, daß, wenn sie erwachsen sind, zu dieser oder jener Zeit, früher oder später (am Wann ist nichts gelegen), die Idee und das Gefühl von Ordnung, Regierung und Gott nicht unfehlbar, unvermeidlich, nothwendig in ihnen entstehen werde.

»Da kommt der leichtgläubige Locke mit seinem Indier, mit seinen Geschichten von wilden Nationen, die, wie Reisebeschreiber (wahrlich gelehrte Schriftsteller! und wahrhafte Leute! und große Philosophen!) ihn versichert, keine solche Idee haben, und bedenkt nicht, daß dies nur eine Negative nach einem Hörensagen und so beschaffen ist, daß der Glaube des Indiers, der es leugnen soll, ebensowol in Zweifel gezogen werden kann als die Glaubwürdigkeit oder das Urtheil der Erzähler, von welchen man nicht annehmen kann, daß sie mit den Geheimnissen solcher Wilden gnug bekannt gewesen, deren Sprache sie nur sehr unvollkommen verstanden, und denen wir fromme Christen durch unsre wenige Barmherzigkeit Ursache gnug gegeben haben, viele Geheimnisse uns zu verbergen. In Ansehung der Arzneimittel und Kräuter ist dieses bekannt. Allein Locke, der mehr Glauben hatte und belesener in den neuen Wundergeschichten als in der alten Philosophie war, ließ einen Beweisgrund für die Gottheit fahren, den Cicero selbst, ob er gleich ein offener Skeptiker war, nicht verstoßen wollte, den sogar der vornehmste der atheistischen PhilosophenLucrez. – D. vormals zugestand und nur durch ein Primus in orbe Deos fecit timor erklärte.

»Solchergestalt hat die Tugend nach Locke keinen andern Maßstab. Gesetz oder Richtschnur als die Mode oder die Gewohnheit: Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Billigkeit hangen nur von Gesetzen oder vom Wollen ab. Nach seinem Sinn ist Gott freilich ein vollkommen frei handelndes Wesen, frei nämlich zu wollen, was auch noch so böse ist; denn wenn er es will, so wird es gut. Tugend kann Laster, Laster kann Tugend sein, wenn es ihm gefällt. Auf solche Weise sind weder Recht noch Unrecht, weder Tugend noch Laster an sich selbst etwas; es ist auch keine Spur, kein Begriff von ihnen in die menschliche Seele geprägt. Die Erfahrung und unser Katechismus lehren uns Alles! Vermutlich muß es auch so etwas sein, was die Vögel ihre Nester bauen und, wenn sie flügg sind, fliegen lehrt. Ihr Theokles lacht hierüber und frägt mit aller Bescheidenheit einen Lockianer, ob der Begriff von einer Frauensperson nicht ebenfalls durch den Katechismus gelehrt und dem Mann vorgesagt worden. – Dies ist eine armselige Philosophie« u. s. w.

Hätte Shaftesbury unsers Leibniz Schrift über Locke lesen können, so würde er, was er ihm vorrückt, zwar auch bemerkt, aber glimpflicher zurechtgerückt gefunden haben. Doch wenn jede Begeisterung für Wahrheit und Tugend zu verzeihen ist: für die ersten Grundsätze des Rechts und der Wahrheit wäre nicht auch ein vielleicht übertriebner Eifer verzeihbar?Daß Shaftesbury übrigens Locke's Buch Vom menschlichen Verstande nach Verdienst zu schätzen wußte, zeigt eine andre Stelle dieser Briefe. »Niemand,« sagt er, »hat mehr beigetragen, die Philosophie aus der Barbarei zu reißen, sie der Welt und Personen, die sich ihrer sonst schämen würden, nützlich zu machen, als Locke. Niemand hat eine bessere Methode zu denken gezeigt. Vor allen Dingen wundre ich mich, wenn ich höre, daß ihn einige englische Geistliche deswegen getadelt, weil er der Vernunft zu viel eingeräumt und sie sogar bei der Religion für nothwendig ausgegeben.« Allerdings war dieses der Fall. Die hohe Kirche stieß sich daran, daß das Christenthum vernunftmäßig (reasonable) sein sollte. – H.

Der Vorwurf indeß ist offenbar zu hart, daß Locke zwar nicht selbst Freidenker gewesen, Freidenker aber doch zu seinem Gefolg gehabt habe; ein ungerechter Vorwurf. Unfalls gnug, wenn mein Kahn leicht und brüchig ist; was kann ich dafür, wenn Andre sich hinter mir einsetzen und ins hohe Meer rudern?

Freidenker sollen wir Alle sein, d. i. wir sollen dem Recht und der Wahrheit frei nachstreben, ihnen nacheifern, frei von allen Fesseln des Ansehens und Vorurtheils, mit ungeteilter Seele. Wenn aber ein wilder Geist sich einen Freidenker nennt und einen andern bescheidnen Mann zum Deckmantel seiner Frechheit mißbraucht, wenn dann ein Dritter, ein ohnmächtiger Sclave des Vorurtheils, Jenem diesen Ehrennamen als Ekelnamen nachwirft, sind sie in gleichem Falle? Der Name Freidenker, wie verschieden Männern ist er gegeben, die fast nichts mit einander gemein haben! Ein trefflicher Herbert von Cherbury und Hobbes, ein Collins und Blount, Woolston und Chubb, Bolingbroke und Hume neben einander gestellt, geben einen Index expurgatorius, der von dem geringen Verstande seiner Sammler zeigt. Shaftesbury selbst, der den guten Locke zum Vorgänger der Tindals machen wollte, hat dem schwarzen Kirchenverzeichniß der Freidenker nicht entgehen mögen.S. Leland's »Abriß der vornehmsten deistischen Schriften«, Hannover 1755. Die deutschen Kirchengeschichtler sind ihm gefolgt und führen ein noch bunteres Gemisch auf. – H. Unmittelbar hinter Blount steht er in ihm, ob er gleich Briefe an einen jungen Theologen geschrieben, ihm das Studium seiner Wissenschaft vorgezeichnet, ja sogar PredigtenD. Whichcot's Predigten.– H. mit einer Vorrede begleitet hatte. Locke hat Niemand in dies Register zu setzen gewagt.

Es war eine Zeit in England (hoffentlich ist sie nicht mehr), da man, um Bischof oder Dechant zu werden, gegen die Freidenker oft so grob schrieb, daß dem Lesenden schaudert. Bücher der Art legt man jetzt mit verachtendem Unwillen aus der Hand. Selbst wenn Bentley oder Swift gegen Collins mit aller Uebermacht des Verstandes und der Gelehrsamkeit wegwerfend oder hämisch schreiben, haßt man an Jenem die Grobheit, an Diesem das Rümpfen (sneer). So, fühlt ein Jeder, müssen Religion und Wahrheit nicht vertheidigt werden. Und wenn die gemachten Einwürfe gar nicht einmal Religion, Gottseligkeit und Wahrheit, sondern Kirchenverfassung, Ansehen und Einkommen der Geistlichkeit, Auslegungen eines alten Buchs, Umstände einer längstverlebten Geschichte beträfen! Hierüber grob sein, verleumden, verfolgen, ist ebenso abgeschmackt als verächtlich.

Kein Mann von Ehre, von Verstande und edlerem Gefühl spreche also den Namen Freidenker in dem bedeutungslosen oder verleumdenden Pöbelsinn aus, in welchem er oft den würdigsten Menschen Verdruß und Unheil zuzog; vielmehr gebe man ihm seine edle Bedeutung wieder. Ein freier Geist ist der größte Vorzug des Menschen; freies Denken, worüber es sei, kann und soll uns weder Lordschaft noch Priesterthum rauben. Dies sind nicht Grundsätze der Whigs etwa allein, sondern Forderungen der Menschheit.

Für Anton Collins, den Freidenker, so schwach seine Schriften sein mögen, spricht Locke's Testament also:

»Die Kenntniß, die ich von Ihrer vollkommenen Tugend habe, leistet mir die Gewähr für das Pfand, das ich Ihnen anvertraue. Die Liebe und Achtung, die ich an dem jungen Menschen gegen Sie bemerkt habe, wird ihn geneigt machen, sich von Ihnen leiten zu lassen, weshalb ich ihm nichts weiter hievon zu sagen brauche. Möchten Sie lang und glücklich in dem Genuß der Gesundheit, Freiheit, Zufriedenheit und aller der Segen leben, welche die Vorsehung Ihnen zugetheilt hat, und wozu Ihnen Ihre Tugend ein Recht giebt! Sie liebten mich, weil ich lebte, und werden, nun ich todt bin, mein Andenken erhalten. Der ganze Nutzen, den es Ihnen gewähren soll, ist, daß dieses Leben eine Scene der Eitelkeit sei, die bald vorübergeht und keine gründliche Beruhigung als in dem Bewußtsein, recht gehandelt zu haben, und in der Hoffnung eines andern Lebens verschafft. Dies ist's, was ich aus der Erfahrung sagen kann, und was Sie gegründet finden werden, wenn Sie den Überschlag machen. Leben Sie wohl! Ich wünsche Ihnen alles Wohlergehn.

Den 25. August 1704.

Johann Locke.«


Beilage.
John Jortin. Ueber die Kirchengeschichte.Jortin's »Anmerkungen über die Kirchengeschichte«. Theil 1. Bremen 1755. Vorrede. Warum ist die Übersetzung dieses Buchs, von einem ebenso liebenswürdigen als gelehrten und classischen Autor geschrieben, nicht vollendet? – H.

In dieser Welt, einem großen Krankenhause, herrscht unter andern Krankheiten, womit das menschliche Geschlecht geklagt wird, ein unmäßiger Eifer, oder ein Geist der Parteilichkeit, welcher, wenn er zu einer gewissen Höhe steigt, von den sanften Banden der Vernunft nicht kann zurückgehalten werden. Sie fahren von einander wie ein Faden, der vom Feuer berührt wird. Dann spielt die Einbildungskraft und macht häßliche Gesichtszüge; der Mensch geräth in Wuth und schlägt auch zuweilen aus Irrthum auf seinen Freund,

Fit pugil et medicum urget.Hor. Sat., II. 3. 30. – D.

»Wären dies die Beschwerlichkeiten alle, so sollten wir die Mängel und Verwirrungen solcher Menschen so geduldig ertragen wie das verdrießliche Wesen Derer, die Schmerzen haben, und, wie Seneca sagt, den gütigen Eltern gleichen, die über Schmähungen ihrer kranken Kinder lächeln;More optimorum parentum, qui maledictis suorum infantium arrident. Seneca – H. denn es giebt sowol alte als junge Kinder, und vielleicht muß man den ersten mehr durch die Finger sehen als den letzten, da jene sich von Schmerzen nicht wollen befreien lassen, die unheilbar sind.

»Hier kann die weltliche Obrigkeit einen trefflichen Dienst thun, um unter ihren zänkischen Unterthanen entweder den Frieden zu erhalten oder doch sie abzuhalten, daß Einer dem Andern keinen Schaden zufüge. Ziehe nicht das Schwert, sagt Pallas zum Achilles; mit Worten schmähe, so viel Du willst.Ἀλλ' ἄγε, λῆγ' ἔριδος, μηδὲ ξίφος ἕλκεο χειρί·
Ἀλλ' ἤτοι ἔπεσιν μὲν ὀνείδισον, ὡς ἔσεταί περ. – H.

»Viel schlimmer als der schwärmerische Eifer ist der ruhige Geist der Religionstyrannei, welcher aus Herrschsucht, aus häßlichem Eigennutz und aus atheistisch-politischen Ursachen entsteht. Mit vorbedachtem Rath nimmt er seine Maßregeln und verfolgt sie bis zum Ende, ohne die geringste Scheu für Wahrheit zu haben, ohn' einige Regungen von Mitleiden und Menschenliebe zu zeigen.

»So ist das Christenthum aus der Art geschlagen, und die Sache ging fort vom Bösen zum Schlimmem, von Thorheit zum Verderbniß, von Schwäche zur Gottlosigkeit; worauf die Reformation wichtige Verbesserungen machte.

»Jetzt wird die christliche Welt in die verbesserte und nicht verbesserte eingetheilt; man kann aber vernünftigerweise glauben, daß noch vor der Bekehrung der Juden und Heiden in der Christenwelt selbst mehr Harmonie, mehr gegenseitige Gefälligkeit und Duldung werden angetroffen werden, als jetzt sich darin finden.

»Die Abschaffung selbst geringer Mängel, der Fortschritt vom Guten zum Bessern sollte allezeit der Gegenstand nicht nur heißer Wünsche, sondern auch bescheidner, friedfertiger Bemühungen jedes Menschen sein; denn Bescheidenheit und Klugheit sind weder jenes Mahl des Thiers in der Apokalypse, noch jene Klugheit der Welt, die das Evangelium verdammt. Auch die polite Gelehrsamkeit oder die freien Künste helfen den Verstand öffnen und erweitern; sie geben ihm einen edlen und freien Weg zu denken, nicht zu dem, was wir gemeiniglich Freidenkerei nennen. Die Gelehrsamkeit hat ein liebenswürdiges Kind, die Bescheidenheit; diese fürchtet und schämt sich nicht, ihre Gestalt auch in der theologischen Welt zu zeigen. Die Zahl ihrer Freunde ist angewachsen, und so lang unsre bürgerliche Einrichtung besteht, haben sie keine Gefahr, mit einem Affen und einer Schlange in einen Sack zusammengenäht und in den nächsten Fluß geworfen zu werden.Strafe der Vatermörder in Rom. – D.

»Wollte Jemand sagen: »ich rathe zur Gleichgiltigkeit,« so müßte ich dies erdulden, so gut ich kann. Ich bin aber doch nicht ohne Gegenmittel, wie er ist. Denn »Geduld wird mir helfen, und Vernunft kann ihn nicht heilen.« Diese Worte sind von einem frommen, klugen, gelehrten, liebreichen, freundlichen Bischof geborgt, den niemals Einer, der werth ist, genannt zu werden, tadelte, obgleich er von Solchen, welche den Tillotson einen Atheisten nennen, vermutlich verlästert wurde. Wenn diese zwei trefflichen Männer und Erasmus, Chillingworth, Johann Hales, Locke, Episkopius, Grotius und viel Andre, die ich nicht nennen will, zu einer Zeit gelebt und sich versammelt hätten, die Frage zu bestimmen: »Was macht einen Menschen zum Christen? Was für ein Glaubensbekenntniß soll für hinlänglich gehalten werden?« ohngeachtet der Verschiedenheit ihrer Meinungen über einige theologische Punkte würden sie mit einander übereingestimmt haben. Andre dagegen hätten uns bei solcher Gelegenheit mit einem weitläuftigen Register von Nothwendigkeiten bereichert, davon der Schluß gewesen wäre, daß, um ein guter Christ zu sein, man nothwendig ein sehr gelehrtes und ein sehr listiges und ein sehr kluges Ding sein müsse; denn einige dieser Nothwendigkeiten sind von einer so feinen Natur, daß der Verstand sie schwerlich begreifen oder das Gedächtniß behalten kann:

»Dreimal hascht' ich darnach, dreimal entflohe das Bild mir
Leicht wie der Wind, wie die Luft, dem schnell verfliegenden Schlaf gleich.«Ter frustra comprensa, manus effugit imago,
Par levibus ventis, volucrique simillima somno.
– H. [Virg. Aen., II. 793. 4. – D.]

»Das bisher Gesagte soll weder unterweisen, noch rathen, wohl aber ein Vorurtheil mäßigen, das in dem Herzen eines Engländers und eines Geistlichen tief verborgen liegt, daß, wie seine eignen Thäler, Hügel. Flüsse und Städte an Schönheit und Bequemlichkeit alle Dinge in der Welt übertreffen, auch seine Religionseinrichtung von allem Schein eines Mangels, von jedem Schatten einer Unvollkommenheit frei sei. Das kann man nennen amare focus et lares« u. s. w.»Sein Haus und seinen Herd lieben«. – H.



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