Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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3. Am Nordpol eine christliche Aurora.

Auch in die Gegenden, wo im Winter die Nacht sechzehn Stunden dauert, wo die Sonne zur Zeit des kürzesten Tages in sieben Wochen gar nicht über den Horizont kommt und nur am Mittag eine Dämmerung von wenigen Stunden veranlassen kann, in andere, wo sie anderthalb Monate hindurch gar nicht erscheint: auch in diese kalten, dunklen, mit Schnee und Eis bedeckten Gegenden kam mit dem Anfange des verflossenen Jahrhunderts ein Strahl der christlichen Aurora. Wohl ihnen, wenn sie eine Sonne der Erleuchtung und Erwärmung würde für diese dürftigen, in einer nackten Natur mit Sturm und Frost kämpfenden Menschenvölker!

Im Jahr 1708 erinnerte sich Hans Egede, ein Prediger in Norwegen, nachdem er etwas über ein Jahr im Amt gestanden, einmal gelesen zu haben, daß in Grönland einst christliche Einwohner gewesen, von denen man jetzt nichts wisse. Er erkundigte sich bei einem Freunde zu Bergen, der öfters auf dem Walfischfang gewesen, nach dem jetzigen Zustande Grönlands und fühlte ein herzliches Mitleiden mit den seiner Meinung nach dort zurückgebliebenen, verfallnen Normännern, die er als Normann aufsuchen, denen er das Evangelium bringen müsse. Lange beängstete ihn dieser Wunsch; da er aber Frau und Kind, ja auch Anverwandte zu versorgen hatte, suchte er sich solchen aus dem Sinn zu schlagen. Vergeblich; ihn zwang sein Gemüth, im Jahr 1710 an die Bischöfe von Bergen und Drontheim zu schreiben, die ihm im Jahr 1711 antworteten und sein Vorhaben lobten. Jetzt ward sein Wunsch bekannt; Frau und Hausgenossen stellten sich ihm entgegen. »Ich bin wol recht unglücklich,« sprach sie, »daß ich einem Mann, der sich und mich ins Unglück stürzen will, mein Herz geschenkt habe.« Er stärkte sie, und bald war sie es, die ihn stärkte, die seinen sinkenden Muth erhob. Sein Vorhaben ward, sobald es bekannt wurde, verunglimpft, so daß der gute Egede sich darüber in einer Schrift entschuldigen mußte;»Schriftmäßige und vernünftige Resolution und Erklärung über die Einwürfe und Verhinderungen, den Vorsatz, die heidnischen Grönländer zu bekehren, betreffend«. 1715. – H. Hindernisse fand es die Menge. Indessen legte er sein Amt nieder, und glücklicherweise für ihn traf Karl XII. die Kugel vor Friedrichshall 1718; Dänemark bekam Friede. Jetzt gingen langweilige Händel mit den Kaufleuten an; denn neben der Missions- sollte auch eine Handelsgesellschaft nach Grönland errichtet werden; endlich trat er den 2. Mai 1721 mit seiner Frau und vier kleinen Kindern aufs Schiff, genannt die Hoffnung. Welche Mühe dies Schiff hatte, nur zu landen, welchen Anblick diese Menschen den Grönländern gewährten, welche Mühe es dem eifrigen Mann gekostet, ihre Sprache zu lernen, ihr Land kennen zu lernen, ihr Zutrauen zu gewinnen, endlich welche Uebel er erduldet, da die Colonie mehrmals verpflanzt werden mußte und bisweilen der Lebensunterhalt ausblieb: das Alles höre man aus seinem eignen treuherzigen Munde.Hans Egede, »Ausführliche und wahre Nachricht vom Anfange und Fortgange seiner Mission«, 1741. – H. Bei allen Hindernissen ließ indeß die Gnade des Königes Friedrich's IV. dies Werk nicht sinken, und im Jahr 1733 kamen drei Brüder der mährischen Gemeine an, die fortan ihm neues Leben gaben.Cranz, »Historie von Grönland«, wo im ersten Theil, Buch 4, auch Egede's Geschichte erzählt wird. Eine Schrift, mit dem ruhigen gesunden Verstande geschrieben, der überhaupt die Missionsberichte der Brüder auszeichnet. – H.


Auch in Lappland bekam mit dem vergangenen Jahrhundert die Mission neue Wärme. Seit 1643 hatte sich der Bischof von Drontheim, Bredel, um sie Mühe gegeben; im Jahr 1707 sandte Friedrich IV. den Geistlichen Paul Resen durch Lappland, und im Jahr 1714 kam die Einrichtung zu Stande. Thomas von Westen war der erste thätige Mann in diesem Werk; und die Vorschriften der Missionare sind wahrhaft evangelisch. Gelindigkeit wird ihnen anempfohlen und menschliche Theilnehmung; die Lappen vom Aberglauben und dem Betruge der Zauberer zurückzubringen, sie vor dem schädlichen Branntwein zu bewahren, ihren Geist zu schärfen und ihnen sonst nützlich zu werden, ist außer dem Predigen die Pflicht der Missionare. Im Jahr 1752 stiftete König Friedrich V. zu Bergen ein lappländisches Seminarium, und die Mission dauert fort. Ihr haben wir unter Andern Knud Leem's Nachrichten über die Lappen, besonders über ihre Sprache, zu danken.Dänisch und latein, in 4°. Kopenhagen 1768. Deutsch im Auszuge (übersetzt von Gunner, Leipzig) 1770. – H.


Was ist von diesen Missionen zu sagen? Die Güte der Absicht leuchtet hervor; die dabei gebrauchten Mittel ordnen sich, wie Alles, nach Ort und Zeiten. Der Freidenker hat gut sagen: »Was sollen den armen Grönländern und Lappen christliche Begriffe, die sie nicht verstehen, die für ihre Lebensweise nicht gehören? Ist ihnen der dogmatische Katechismus, sind ihnen, da sie nie aus ihrem Lande gekommen sind, die Bücher der Schrift, die Geschichten und Bilder aus Palästina verständlich? Ist die Religion, deren sie bedürfen, ihnen nicht ins Herz geschrieben? Wenn nun der ehrbare Grönländer, der ohne Gesetze und Obrigkeit sittlich lebt, wenn der thätige, muntre Lappe mit fremden, ihm nutzlosen Formeln und Gebräuchen lasterhafte Sitten, Krankheiten, Blattern, Branntwein und den Tod empfängt, hat er gewonnen oder verloren?«

»Gehört dies zum Christentum?« wird der Gegner sagen; »zum evangelischen gewiß nicht.« Ihm sind die scholastischen Formeln und das Unverständliche aus Palästina ebenso fremde als ärgerliche Sitten und der völkeraufreibende Branntwein. Freilich gehört ein redliches Herz, ein heller Verstand und eine sanfte Hand dazu, diese Unmündigen zu erziehen, sowie ein wachsames Auge, sie vor Aergernissen zu bewahren; hat dies nicht aber der Stifter der Religion in Ansehung jedes Unmündigen, geschweige ganzer Völker empfohlen und die Laster des Gegentheils davon hart verpönt? Ist nun, wie die Geschichte zeigt, das Christenthum in der Hand der Vorsehung das große Band, alle Völker der Erde einander zu nähern und sie mit einander zu verbinden; soll diese Religion, wie es offenbar ist, nicht nur eine Schule, sondern auch eine thätige Werkstatt der Menschlichkeit sein: wer mag ihr Grenzen setzen, wohin sie nicht kommen dürfe? Indem sie in der einen Hand Werkzeuge bringt, der Menschen Leben zu erleichtern und zu verschönen, trägt sie in der andern die Palme stiller Tugend und Sanftmuth. Thäte sie in jenen Gegenden nichts, als Lappen und Grönländer vom Betruge der Angikocks befreien, ihren Verstand über die Natur, die um sie ist, aufklären, ihren Geist durch Schrift und Sprache behender machen und ihr vom Klima gedrücktes mühsames Leben durch ihnen nützbare Künste erleichtern: wie viel hätte sie gethan! Ueberhaupt sät der Ackermann seinen Samen; die Kraft der Natur erzieht und reift jeden in seiner Art. In der festen Einfalt manches Volkes keimt vielleicht, wenn die Vorsehung ihm eine reine, nicht verderbende Cultur zuführt, der Same zu Verfassungen, wie Minos und Plato, Fénélon und Berkeley sie kaum zu dichten vermochten; denn die reinste Natur ist allenthalben höchst einfach.

Heil also den Völkern, zu denen ohne fremde Gebräuche eine rein menschliche Religion kam! Heil der milden dänischen Regierung, die ihre neubekehrten Völker unterstützt, nicht aber neue Lasten auflegt! Im Jahr 1729 sang ein Grönländer am Geburtstage des Kronprinzen, und der Chor sang ihm nach, also:S. Egede, »Beschreibung von Grönland«, Uebersetzung von Krünitz, Berlin 1763, S. 173. – H.

Grönländischer Chor am Geburtstage des Kronprinzen.

Heut am Morgen, als ich ausging,
                             Amna Ajah!Dieser Freudenruf des Chors wird immer wiederholt. – H.

Sah ich aufziehn Flagg' und Wimpel,
Hörte die Kanonen lösen;
»Warum löst Ihr die Kanonen?
Warum wehen Flagg' und Wimpel?«
Fragt' ich, und sie sagten mir:
                             Amna Ajah!

    »Königs Sohn ist heut geboren,
Der nach seinem Vater König,
Der wie er regieren wird;
Darum wehen Flagg und Wimpel,
Darum lösen wir Kanonen.«

    »Auf!« sprach ich zu meinen Freunden,
»Lasset uns dem Königssohne
Lieder singen, der einst unser
König sein wird, wie sein Vater!
                             Amna Ajah!
Priester sandt' uns dieser Vater,Egede ward von den Grönländern sehr verehrt. – H.
Daß wir lernen Gott erkennen,
Daß wir nicht zum Teufel fahren,Abneigung von den Zaubereien der Angikocks-Betrüger. – H.
Mach es auch so, junger König.
Lieb uns einst, wie jetzt Dein Vater,
Und wir wollen Dich auch lieben,
Wollen, wie einst unsre Väter,
Deine treuen Diener sein!
Dein ist Alles, was wir haben;
Liebet Gott und ehrt den König!
Auf! und trinket hocherfreut
Unserm Könige Gesundheit!
Segen unserm Königssohn!«



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