Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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6. Französische Akademie.

Um die Einrichtung dieser Akademie unter Richelieu, um ihre Erneuung mit dem Jahrhunderte unter Ludwig haben wir uns nicht zu bekümmern, noch wie jedes Mitglied derselben seinen Jeton verdient habe; daß aber ein Parlement über die Reinheit der Sprache zu ihrer Erhaltung und Fortbildung einer großen Nation nothwendig und heilsam sei, hat bei allen ihren Mängeln und leeren Begrüßungen die französische Akademie erwiesen.

Pelisson und d'Olivet haben ihre Geschichte geschrieben. Wenn Fénélon bei seiner Aufnahme in dieselbe das Werk des Ersten, als seines Vorgängers, mit dem gebührenden Lobe durchgeht, spricht er:Recueil des harangues prononcées par Mrs. de l'Académie Française, II. 389. – H. »Seitdem gelehrte und verständige Männer auf die wahren Regeln der Sprache zurückgekommen sind, mißbraucht man nicht mehr, wie man es sonst that, Geist und Wort; man hat eine Schreibart angenommen, die einfacher, natürlicher, kürzer, nervigter, bestimmter und genauer ist, als die alte war. An Worte heftet man sich nicht weiter, als sofern sie Gedanken ausdrücken, und man läßt keine zu, als wahre, feste, den Gegenstand, in welchen man sich einschränkt, umschließende Gedanken. Die einst so prachtvolle Gelehrsamkeit zeigt sich nicht weiter, als sofern man ihrer bedarf; selbst der Witz verbirgt sich, weil die Vollkommenheit der Kunst darin besteht, daß man die einfache Natur so unbefangen nachahme, daß der Witz selbst Natur werde. Man nennt also nicht mehr Geist oder Witz, was nur blendende Phantasie ist; man widmet das Wort nur einem geregelten Genius, der zum innern Gefühl spricht, der der Natur, ihr, der immer einfachen und anmuthigen, Schritt vor Schritt folgt, der alle Gedanken auf Grundsätze der Vernunft zurückbringt und nichts schön findet als das Wahre. Man hat sich überzeugt, daß die blühende Schreibart, so süß und gefällig sie ist, sich nie über das Mittelmäßige erheben könne, daß das wahre Erhabne allen geborgten Zierrath verschmähe und sich nur in der Einfalt finde.« – Wenn dies das Ziel war, das der französischen Akademie vorstand (den Edleren derselben stand es gewiß vor), so segnet man das Institut, das ihnen dies Ziel vorsteckte.

Man rückte der Akademie vor, daß bei ihrem Bestreben um Reinheit und Regelmäßigkeit der Sprache sie diese arm und scheu gemacht habe; höre man unsern Erzbischof auch hierüber:Réflexions sur la Rhétorique et sur la Poétique, par Fénélon, III. – H.

»Unsrer Sprache fehlen viele Worte und Redarten; selbst dünkt es mich, daß man sie seit hundert Jahren gezwungen und arm gemacht hat, indem man sie reinigen wollte. Wahr ist's, sie war noch etwas ungestalt, etwas zu wortreich; indeß wünscht man sich diese alte Sprache zurück, wenn man sie in Marot, Amyot, im Cardinal d'Ossat und in andern, den lustigsten und ernsthaftesten Werken wiederfindet. Sie hatte, ich weiß nicht was an Kürze, Naivetät, Kühnheit, Lebhaftigkeit, Leidenschaft, was wir nicht haben. Man hat seitdem, wenn ich nicht irre, mehr Worte ausgestoßen als aufgenommen. Ich wollte keins verlieren und neue erwerben; ich möchte jeden Ausdruck aufnehmen, der uns fehlt, und der, ohne Gefahr eines Mißverständnisses, einen angenehmen Klang hat.

»Prüft man die Bedeutung der Worte näher, so ergiebt sich, daß es fast keine reine Synonyme giebt. Manche von ihnen drücken ohne Hilfsworte ihren Gegenstand nicht ganz aus; daher die öftern Umschreibungen. Hier müßte man abkürzen, indem man jedem Object, jeder Empfindung und Handlung ihren eignen einfachen Ausdruck gäbe. Selbst mehrere Synonyme wünschte ich für ein Object; denn alle Zweideutigkeiten zu vermeiden, ist das beste Mittel, wenn man die Redarten ändert. Harmonie befördert man dadurch, wenn man aus mehreren Synonymen das wählt, was dem Ganzen des Vortrags am Besten zustimmt.

»Die Griechen hatten eine Menge zusammengesetzter Worte; die Lateiner, obwol weniger frei hierin, ahmten den Griechen ein Wenig nach. Dergleichen Zusammensetzungen kürzen ab und helfen zur Pracht der Verse. Die Lateiner bereicherten ihre Sprache mit fremden Wörtern, die ihnen fehlten. Sie hatten z. B. kein Wort für die Philosophie, die in Rom spät aufkam. Als sie Griechisch lernten, borgten sie daher Worte, um über Wissenschaften zu raisonniren. Cicero, so besorgt er um die Reinheit der lateinischen Sprache war, bedient sich, wenn er sie nöthig hat, griechischer Worte mit aller Freiheit. Anfangs ließ man das griechische Wort als einen Fremdling ein; man bat um die Erlaubniß, sich seiner bedienen zu dürfen; bald wurde die Erlaubniß Besitz und Recht.

»Ich höre, daß die Engländer kein Wort für unerlaubt halten, das ihnen bequem ist. Sie nehmen von ihren Nachbarn Worte, wo sie sie finden. Dergleichen Besitznehmungen sind erlaubt. Blos durch den Gebrauch wird hier Alles gemeinsam. Worte sind nur Schälle, die man willkürlich zu Zeichen der Gedanken macht. An sich selbst haben diese Schälle keinen Werth; sie gehören Dem, der sie borgt und dem sie abgeborgt werden. Was liegt daran, ob ein Wort in unserm Lande geboren sei oder aus der Fremde zu uns komme? Eine Eifersucht wäre hier kindisch, wo es auf nichts ankommt, als auf eine Art die Lippen zu bewegen und die Luft anzustoßen.

»Auch in Ansehung der Ehre haben wir hier nichts zu schonen. Unsre Sprache ist ein Gemisch von Griechisch, Latein, Deutsch mit einigen gallischen Resten. Da wir nur von diesem Anleih, das unser Stammgut worden ist, leben, wozu diente eine falsche Scham, mehr zu borgen, um uns zu bereichern? Von allen Seiten lasset uns nehmen, was wir brauchen, um unsre Sprache klarer, kürzer, präciser, harmonischer zu machen. Alles Umherreden schwächt den Ausdruck.«

So weise, so frei urtheilt und räth Fénélon; und hat sich seine Sprache dieser Freiheit nicht bedient? Welche gebildete Sprache Europa's ist, um eine Idee, auch nur den Schein einer Idee genau auszudrücken, freier und reicher an neugeschaffenen Worten? oft so glücklich geschaffen, daß vom ersten Augenblick an, da man das neue Wort hört, es unvergeßlich wird und so trifft, daß Jeder es nachspricht. Mit einem neuen glücklichen Wort erleuchtete sich oft ein ganzer Horizont von Gedanken; es ging mit ihm wie eine neue Welt auf. Unsre deutschen Puristen dachten einst nicht, wie Fénélon dachte: ihnen war das Wort als Wort etwas; die Wirkung des Worts auf dieser Stelle, im kleinsten Mehr und Minder seines Eindrucks, blieb von ihnen unbeachtet.

Wol Niemand konnte über die Schicksale und das Verdienst mehrerer Akademien um die Sprache bessere Auskunft geben als Fontenelle, ihr Nestor. So sprach er nach einem in ihrer Mitte überlebten halben Jahrhundert:A l'ouverture de l'Académie Française 1741. – H.

»Die drei Menschenalter, die Nestor gesehen hatte, habe ich beinah auch in dieser Akademie durchlebt; mehr als zweimal hat sie sich unter meinen Augen erneut. Wie viel Talente, Genies, Verdienste, alle einzeln in irgend einem Punkt der Achtung werth, alle verschieden gegen einander, sind sich gefolgt! wie oft hat das Ganze seine Gestalt verändert, um in allen Zeiten des Zweckes würdig zu bleiben, dem sich die Gesellschaft bei ihrer Entstehung weihte! Bald hatte die Poesie bald die Beredsamkeit, bald Wissenschaft bald Witz den größern Theil an einem zusammengesetzten Körper, der immer sich gleich und immer verschieden war. Auf Glauben meiner langen Erfahrung wage ich's zu sagen, daß er die hohe und edle Bestimmung, die seine Pflicht ist, nie verleugnen werde.

»Lange und sehr nah habe ich eine andre berühmte Gesellschaft kennen gelernt, von der ich hier, obwol ohne Veranlassung, nach Art des gesprächigen Nestor's, Erwähnung thue. Als die Akademie der Wissenschaften durch ein berühmtes Mitglied dieser Gesellschaft eine neue Gestalt erhielt, belebte sie sich zu dem Zweck, jenen Geschmack an den abstracten und erhabnen Wissenschaften, mit denen sie sich beschäftigt, so viel möglich zu verbreiten. Sonst bedienten sich diese Wissenschaften, wie ehemals in Aegypten, einer gewissen heiligen Sprache, die nur ihre Priester und einige Eingeweihte verstanden; der neue Gesetzgeber wollte, daß, sofern es anginge, sie die gemeine Sprache sprächen. Mich machte er zu ihrem Dolmetscher, weil er darauf rechnete, daß sie mir über die Kunst der Sprache treffliche Lehren ertheilen würden.

»Die Kunst der Sprache ist mit der Kunst zu denken genauer verknüpft, als man glaubt. Die französische Akademie scheint sich nur mit Worten zu beschäftigen; diesen Worten aber entsprechen oft so feine Ideen, daß, diese zu ergreifen, sie gerade so auszudrücken, wie man sie hat, oder vielmehr wie man sie empfindet, es Mühe kostet, weil man sie, täuschender, aber starker Aehnlichkeiten wegen, mit andern Ideen gern verwechselt. Sprachen sind nicht durch Vernünftelei oder durch akademische Auseinandersetzungen eingeführt worden, sondern durch ein dem Anschein nach blindes Zusammentreffen unendlich vieler in einander geflochtenen Zufälle; und doch herrscht in ihnen eine Art sehr feiner Metaphysik, die Alles leitete. Nicht als wenn jene rohen Menschen, die dieser Metaphysik folgten, sich vorgesetzt hätten, ihr zu folgen; sie war ihnen ganz unbekannt; nichts aber ward mit Bestand angenommen, was sich nicht den Naturideen des größten Theils der Denkenden gemäß fand. Darauf hinaus gingen auch die Beratschlagungen unsrer Versammlung. Mit Mühe brachten sie das zu Stande, was man einst ohne Mühe that; wie ein Erwachsner die Sprache, die ein Kind, ohne daran zu denken, faßt, nicht ohne Fleiß und angestrengte Aufmerksamkeit lernt.

»Eine der mühsamsten Sorgen der Akademie ist's, in unsrer Sprache diese versteckte Metaphysik zu entwickeln, die, um bemerkt zu werden, ein durchdringendes Auge fordert. Der Geist der Ordnung, der Klarheit, der Genauigkeit, den zarte Untersuchungen dieser Art fordern, ist der Schlüssel zu den höchsten Wissenschaften, wenn man ihn nur auf eine ihnen gemäße Weise zu brauchen weiß. Mit dieser Hilfe kann jenes Wissen, das die Meister der Wissenschaft in ihren Werten nicht sowol mittheilen, als nur von Weitem, von einer fast unzugänglichen Höhe zeigen, bis zu einem gewissen Punkt herabsteigen und sich der Fassungskraft einer größern Anzahl bequemen.«

Trefflicher Zweck, den Jeder in seinem Felde befördern sollte! In der gemeinsten Rede sprechen wir Alle, ohne daß wir es bemerken, Metaphysik; daß wir die rechte und recht sprechen, daß wir mit klaren Begriffen, in einer natürlichen Ordnung dies allenthalben ohne Zwang thun, dies ist die wahre Philosophie, vor der jene dunkle Metaphysik, die sich selbst kaum versteht, wie die Nacht vorm Tage zurückweicht. Uebersetzt Jemand verwirrte Begriffe, dunkle Knäuelperioden ins Französische, sie lösen sich von selbst oder zeigen den Mangel ihrer Verbindung. Wenn Leibniz das Deutsche als eine Sprache der Treue und Wahrheit rühmte, so ist, nicht ohne Beihilfe der Akademien, das Französische eine Sprache der feinern Cultur worden, ein Wetzstein des Urtheils und des sich hell mittheilenden Verstandes. In allen gebildeten Sprachen Europa's hat das Französische eine Wirkung gethan, die, oft verkannt, dennoch wahr bleibt. Die langen Perioden der Italiener, Spanier, Engländer, Deutschen hat sie zerlegt; den Vortrag, der fast ohne Zwischenpunkte fortging, hat sie gebunden. Mögen die Florentiner mit den Lombarden Kriege führen, daß diese nicht ächt Boccaccisch, sondern Französisch-Italienisch schreiben, mag Monboddo den Engländern, mögen Altdeutsche manchem unsrer Schriftsteller ein Gleiches Schuld geben: die Schuld liegt an der gemeingewordnen Denkart, die allenthalben das Verwirrte haßt und Klarheit liebt. Der Erzbischof von Gnesen, wenn er seiner Nation artige Gedichte schrieb, dichtete im Polnischen mit Horazens Geist französisch. Auf Worte und Phrasen kommt es hiebei nicht an, obwol auch diese sich unvermerkt einschleichen, sondern auf die Gedankenreihe selbst, und in ihr auf Leichtigkeit, Ordnung, Klarheit. Lessing schrieb kräftig und rein Deutsch, sorgfältig vermied er französische Worte und Phrasen; und wie viele seiner Lieder, seiner Epigramme und Fabeln, seiner Wendungen im Gespräch und jeder Belehrung sind französisch! Mich dünkt also, wir treten Fénélon bei: »Von allen Nationen lasset uns brauchen, was Gutes wir von ihnen brauchen können, wenn wir nichts Besseres haben!« Ist dies Letzte der Fall, so zeige man es uns durch Lehre, oder kräftiger durch Beispiel!



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